*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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11.3.4     Arbeitsgruppe Global Governance: Politikwechsel statt neuer Institutionen

Die Arbeitsgruppe der PDS stimmt dem Bericht der AG 4 insgesamt zu, weil sie der Ansicht ist, dass globale Kooperation bei der Lösung vieler grenzüberschreitender Probleme hilfreich, in einigen Fällen sogar unabdingbar ist. Es macht daher Sinn, die Vision einer solchen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu entwickeln und inhaltlich wie auch institutionell zu konkretisieren. Wir stimmen auch deshalb zu, weil die Mehrheit in der AG 4 akzeptiert hat, dass einige für uns wichtige Einwände, die wir gegenüber einer in unserer Sicht naiven Konzeption von Global Governance und gegen die aus unserer Sicht zu sehr auf institutionelle Probleme gerichtete Stoßrichtung der Diskussion vorgebracht haben, im Bericht sichtbar geworden sind, teilweise als Modifikationen des Berichtstextes, teilweise als kontroverse Positionen.

Die kurzen kritischen Anmerkungen beinhalten nicht die Ablehnung einzelner Handlungsempfehlungen, sondern eine Kritik an den analytischen Grundlagen und an der Gewichtung einzelner Elemente der Analyse und der    Handlungsempfehlungen. Die Kritik lässt sich –in schematischer Verkürzung – in drei Punkte zusammenfassen, die wir der Kürze halber als Thesen formulieren:

1)   „Global Governance“ muss sich zentral auf bereits bestehende ökonomische und politische Globalisierungsstrukturen und -strategien beziehen.

Der oft im Zusammenhang mit der Diskussion um Global Governance vorgebrachten und auch im Bericht (trotz einiger differenzierender Halbsätze) vorherrschenden These, der Globalisierung der Ökonomie müsse jetzt eine Globalisierung der Politik folgen, liegt die Vorstellung zugrunde, dass es einen Vorlauf der Ökonomie gäbe, der jetzt durch die Globalisierung der Politik, eben durch Global Governance, einzuholen sei. Dies mag für einzelne Bereiche zutreffen, für die überwiegende Zahl der relevanten Gebiete für die wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung der Welt halten wir diese Vorstellung für falsch. Wir stellen vielmehr fest, dass

–    es erstens seit dem Ende des zweiten Weltkriegs eine in vielen internationalen Organisationen globalisierte Politik gibt,

–    zweitens diese für die Entwicklung der ganzen Welt bedeutungsvolle Politik zunächst durch den Kalten Krieg und nach dessen Ende durch die Interessen der Industrieländer strukturiert worden ist und nach wie vor wird, und dass

–    drittens in den letzten Jahren die Tendenzen zur ökonomischen und politischen Hierarchisierung der Welt zugenommen haben und an die Stelle eines demokratischen Multilateralismus ein „multilateral gestützter Unilateralismus“ der USA tritt, der sich in Nichtbeachtung, Austritt aus und Kündigung von internationalen Abkommen sowie in der Instrumentalisierung bestehender Organisationen durch die USA ausdrückt, und

–    viertens die „globalisierte Politik“ vor allem auf der Ebene internationaler Regierungskonferenzen, wie in der G8 oder der EU stattfindet und mit einer Entdemokratisierung einher geht. Zum einen werden Parlamenten und der Öffentlichkeit demokratische Kontrollrechte entzogen, zum anderen verschärft sich über die in den Gremien formulierten Leitlinien der internationalen Politik das Machtungleichgewicht zwischen Industrie-, Entwicklungs- und Schwellenländern.

Obgleich der Bericht derartige bereits bestehende Strukturen und Tendenzen erwähnt und gelegentlich problematisiert, widmet er ihnen sehr viel weniger Aufmerksamkeit als etwa den institutionellen Reformen der deutschen Politik zur Unterstützung einer Global Governance. Diese Gewichtung hat die Kompromissbildung in der AG 4 unterstützt. Sie hat aber die Frage umgangen bzw. offen gelassen, wie die Entwicklung globaler Politik der letzten Jahrzehnte einzuschätzen ist und überwiegend den Eindruck erweckt, die Politik stünde vor der Möglichkeit eines Neuanfangs ohne radikale Korrektur der Fehlentwicklungen.

2)   „Global Governance“ im Sinne der im Bericht definierten Nachhaltigkeitsstrukturen muss aus unserer Sicht als radikale Korrektur der Fehlentwicklungen entwickelt werden, die seit Mitte der 70er Jahre und verstärkt in den 90er Jahren die Welt bestimmen.

Im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts ist die Kluft zwischen Arm und Reich – zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern sowie in den einzelnen Länder – tiefer geworden. Der Raubbau an den Naturressourcen und die Belastung der Umwelt haben zu einer Gefährdung der natürlichen Lebensbedingungen für große Teile der Menschheit geführt. Die Zahl der Kriege und der innergesellschaftlichen Gewaltausbrüche hat zugenommen. Die Ursachen dieser dramatischen Entwicklung liegen nicht im Fehlen internationaler Institutionen. Die Politik mancher internationaler Organisationen – wie etwa des IWF – hat sogar im Gegenteil zu den Finanzkrisen und sozialen Krisen der Entwicklungsländer und zur Vertiefung der Spaltung zwischen dem Norden und dem Süden beigetragen. Dies liegt vor allem daran, dass der IWF strukturell durch die Länder des Nordens dominiert wird und die Interessen der großen Finanzinstitutionen des Nordens gegenüber den Entwicklungsländern durchsetzt. Global Governance kann daher nicht in erster Linie als Aufbau neuer Institutionen, sondern sie muss in erster Linie als Korrektur der Struktur und der Politik bereits bestehender Institutionen betrieben werden. Dazu gehören im Falle des IWF vor allem die Demokratisierung der Stimmrechtsstruktur, eine Neubestimmung des Auftrags und eine kontinuierliche, transparente und demokratische Formulierung der Politik. Der Text des Mehrheitsberichtes plädiert für eine solche Korrektur, betrachtet sie aber nicht als Hauptaufgabe von Global Governance.

3)   Die Korrektur der globalen Fehlentwicklungen erfordert eine sehr weitgehende Veränderung der welt- und gesellschaftspolitischen Kräfteverhältnisse, die nur durch anhaltende soziale und politische Mobilisierung zu erreichen sein wird und harten Widerstand überwinden muss.

Die Globalisierung von Wirtschaft und Politik hat nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner produziert, die überwiegend im Norden zu finden sind. An ihrer Spitze stehen große internationale Finanz- und Industriekonzerne, die in der Lage sind, starken Einfluss auf die Regierungen ihrer Länder zu nehmen. Sie haben diesen Einfluss während der letzten beiden Jahrzehnte dazu genutzt, eine neoliberale Offensive gesellschaftlicher Gegenreform in Gang zu setzen, die unter dem Mantel schicksalhafter Globalisierung die Spaltung der Welt vertieft und gesellschaftliches Gemeinwohl zunehmend privaten Gewinninteressen unterwirft. Hiergegen hat sich in den letzten fünf Jahren auch in den Industrieländern Widerstand entwickelt. Global Governance kann unseres Erachtens nur dann erfolgreich entwickelt werden, wenn sie sich auf diesen Widerstand stützt, ihn aufnimmt und zu parlamentarisch gestützten Veränderungen der Politikorientierungen weiterentwickelt. Die große Rolle, die der Endbericht der Zivilgesellschaft zuweist, ist in diesem Sinne einerseits zu begrüßen. Sie könnte andererseits zu Miss­ verständnissen Anlass geben: es geht nicht um Zivil­ gesellschaft – also nichtstaatliche Organisationen und Bewegungen schlechthin, sondern um zivilgesellschaftlichen demokratischen Widerstand gegen die Dominanz des Neoliberalismus, der seinerseits ebenfalls als Exponent nicht- oder sogar antistaatlicher Zivilgesellschaft auftritt. Auch in dieser Frage ist der Bericht offen, aber nicht entschieden.

Um es zusammenzufassen: Wir halten die einzelnen Ausführungen im Bericht der AG Global Governance nicht für falsch und stimmen ihnen deshalb zu. Was wir kritisieren, ist die Unentschiedenheit der Diagnose und der Mangel an Gewichtung bei der Analyse und den Handlungsempfehlungen. Wir wissen, dass beides die Bedingung für einen konsensualen Bericht war, der immerhin auch in unserem Sinne vernünftige Empfehlungen enthält. Auf der anderen Seite sollten zwei Gefahren nicht übersehen werden, die eine derart offene Konzeption von Global Governance mit sich bringt: Zum einen kann die Unentschiedenheit in der Diagnose über den Zustand der Welt und die Ursachen der Fehlentwicklungen die Illusion fördern, Global Governance vor allem als mehr oder minder wertfreie Institutionenbildung betrachten und betreiben zu können, die beliebigen Inhalten dienen kann. Zum anderen kann die Abwesenheit demokratischen Widerstandes als emanzipatorischer Kernbestandteil im Konzept von Global Governance dazu führen, dass das Konzept zugunsten der vorherrschenden Macht- und Kräfteverhältnisse instrumentalisiert wird – Global Governance als Weltherrschaft des Neoliberalismus. Das würde nicht nur den Interessen der Arbeitsgruppe der PDS, sondern mit Sicherheit auch den Absichten der Kommissionsmehrheit widersprechen.




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