*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

 zurück weiter  Kapiteldownload  Übersicht 


2.2.2       Neue Akteure und Instrumente

Finanzinnovationen

Die gestiegene Attraktivität von Anlagen auf Finanzmärkten führt zu jenen Finanzinnovationen, die das globale Finanzsystem seit Mitte der 70er Jahre radikal verändert haben. Wie technische Innovationen folgen auch Finanzinnovationen einer spezifischen „Logik“: Mit ihnen ist es möglich, Kapital mobiler und vielfältiger (hinsichtlich Fristen, Währungen, Laufzeiten, Zinsen, Risiken etc.) auf den Märkten der Welt anzulegen, zumal seit den späten 50er Jahren die Konvertibilität von mehr und mehr Währungen hergestellt und seit Mitte der 70er Jahre Beschränkungen des Kapitalverkehrs aufgehoben wurden. So ist die Globalisierung der Finanzmärkte extrem befördert worden; es ist daher nicht abwegig, die finanzielle Globalisierung als „politisches Projekt“ (und nicht allein als eine ökonomische Tendenz) zu bezeichnen. Insbesondere fällt die Geschwindigkeit auf, mit der Finanzinnovationen auf den Markt gebracht werden, darunter in erster Linie neue Derivate und unter diesen insbesondere die Optionen.

Der Bestand an Derivaten nahm in den 90er Jahren um mehr als das zehnfache zu. Interessant erscheint, dass die börsengehandelten Derivate hier lediglich um das sechsfache zunahmen, während die Bestände an außerbörs­ lich gehandelten Derivaten um das 15-fache zulegten (vgl. hierzu auch Tabelle 2-1).

   Erleichtert werden die Innovationen durch eine massive Konzentration bei den Banken. Einzelne spektakuläre Großfusionen6 verdeutlichen die Tendenz der Zusammenfassung des traditionellen Kreditgeschäfts von Banken, von Versicherungen, der Außenhandelsfinanzierung und des Investmentbanking zu „Allfinanz“-Konzernen. Auf den Devisenmärkten hat die Konzentration zu einem deutlichen Rückgang der Zahl der Devisenhändler geführt. Viel weniger Banken als noch vor wenigen Jahren stellen für eine breite Palette von Währungspaaren Ankaufs- und Verkaufskurse fest. Der rasch zunehmende elektronische Handel (im Jahre 2000 bereits 85 bis 95 Prozent des Interbankhandels gegenüber 20 bis 30 Prozent im Jahren 1995) wird nur noch von zwei Maklern weltweit (Cognotec und Currenex) abgewickelt (BIZ 2001a: 112f.). Zwar ist es nicht möglich, heute bereits Auswirkungen dieser Konzentration auf Kursspannen und die Kursvolatilität oder auf die Liquidität zu erkennen. Doch befürchtet die BIZ, dass die engeren Kursspannen Einnahmeeinbußen gebracht haben und diese wiederum Anlass waren „weniger Mittel für das Marktmachergeschäft“ bereitzustellen (BIZ 2001a: 113). Dies kann in Zeiten angespannter Marktverhältnisse (also im Verlauf von Finanzkrisen), wenn Liquidität benötigt wird, den adversen Effekt haben, dass die Bereitstellung von Liquidität nicht ausgeweitet, sondern eingeschränkt wird.

Institutionelle Anleger

Versicherungskonzerne, Investment- und Pensionsfonds – so genannte Institutionelle Anleger – sind in den 90er Jahren zu entscheidenden Akteuren auf den Finanzmärkten geworden (Deutsche Bundesbank 2001a). Sie verwalteten 1996 bereits ein Vermögen von 21 Billionen US-Dollar – für viele Länder ist das ein erheblicher Teil des gesamten nationalen Sparvermögens der privaten Haushalte. Auch ein großer Anteil des Aktienbesitzes ist von den Haushalten zu den Pensionsfonds übergegangen. Während zum Beispiel in den USA im Jahre 1950 die Haushalte noch 90 Prozent der emittierten amerikanischen Aktien in ihrem Besitz hatten, waren es 1994 nur noch knapp 50 Prozent. Gleichzeitig stieg der Anteil der Aktien, die von Pensions- und Investmentfonds gehalten wurden, von weniger als ein Prozent auf mehr als 45 Prozent (Clark 2000: 62). Darüber hinaus konzentriert sich das Fondsvermögen in Deutschland auf eine relativ kleine Gruppe institutioneller An­ leger: 80 Prozent der von Kapitalanlagegesellschaften in Deutschland verwalteten Vermögen gehören zu den drei Großbanken Deutsche Bank (etwa 25 Prozent), Dresdner Bank und Commerzbank (jeweils etwa 15 Prozent) sowie den Sparkassen- und Genossenschaftsbankzentralen (eben­ ­ so jeweils etwa 15 Prozent).

Die Anlagepolitik der institutionellen Anleger ist allerdings noch – teilweise aufgrund regulatorischer Beschränkungen – zumeist national beschränkt. Der Anteil ausländischer Anlagen liegt in den meisten Ländern bei wenig mehr als zehn Prozent. Nur kleine und sehr offene Länder wie die Niederlande machen hier eine Ausnahme. Dort betragen die internationalen Anlagen ca. 60 Prozent des jeweiligen Gesamtvermögens (BIZ 1998: 100). Die Anlagestrategien der Pensions- und Investmentfonds, besonders aber der Hedge-Fonds (s. 2-1) haben sich in den vergangenen Jahren stärker internationalisiert. Für (nationale) Kapitalmärkte kleinerer Länder haben auch vergleichsweise geringe Anteile internationaler Investitionen ein außerordentlich großes Gewicht. Die Fonds waren an der „finanziellen Invasion“ der lateinamerikanischen und asiatischen „Emerging Markets“ führend beteiligt, und sie waren die ersten, die bei Anzeichen der Krise aus den Märkten geflohen sind. Überdies verhindert der (noch) geringe Internationalisierungsgrad der Anlagen nicht, dass die institutionellen Anleger ihren Entscheidungen einheitliche internationale Standards, „Benchmarks“, d. h. Mindestrenditeansprüche, zugrunde legen. Dabei dienen die Renditen von Staatsanleihen der entwickelten OECD-Länder als Orientierung. Eine besondere Rolle übernehmen dabei die Rating-Agenturen. Ihre Einschätzungen sind in der Regel an Risiko und Rendite    für potenzielle Anleger orientiert; die Kosten des Rating sowie die Konsequenzen des möglichen „Downgrading“ (wie umgekehrt die Entlastungen durch ein ebenfalls mögliches „Upgrading“) haben die Schuldner zu tragen.

Die den institutionellen Anlegern zugeschriebene Qualität als Institution der Vermögensanlage „kleiner Leute“ muss zumindest für Deutschland in doppelter Hinsicht relativiert werden. Zum einen haben die nur wenigen Groß­ anlegern offenstehenden Spezialfonds mittlerweile die Publikumsfonds im Anlagevolumen deutlich übertroffen. Auch an Hedge-Fonds können sich nur vermögende Anleger mit hohen Einlagen beteiligen. Sie sind hoch spekulativ, und sie haben eine sehr große Hebelwirkung (s. Kasten 2–1).Mit vergleichsweise geringem Kapitaleinsatz, der oft obendrein kreditfinanziert ist, können große Marktbewegungen ausgelöst werden. Bei dem Beinahe-Zusammenbruch des LTCM im September 1998 ist offenbar geworden, dass spekulative Fonds die Stabilität des Finanzsystems insgesamt unterminieren können und somit ein Systemrisiko darstellen. Daher gibt es von Seiten des Financial Stability Forum (FSF) Vorschläge zur Kontrolle der Fonds mit großer Hebelwirkung. Auch der IWF deutet vorsichtig auf das Gefährdungspotenzial des Handels mit Instrumenten hin, die das Kreditrisiko von einem Anleger zum anderen verlagern, ohne dass der Markt transparent genug ist, um durch Nutzung verläss­ licher Informationen Risiken realistisch einschätzen und bewerten zu können. Der Fall des Enron-Konzerns hat diese Risiken deutlich werden lassen. Wie bedeutsam diese werden können, zeigt das Volumen dieses Marktes, das sich zwischen 1997 und 2001 auf etwa 1,6 Bil­ lio­ - nen US-Dollar verneunfacht hat (IWF 2002: 36).

   Unternehmensfinanzierung

Auch die Unternehmensfinanzierung hat sich im Zuge der finanziellen Globalisierung verändert. Der Anteil externer Finanzierung der Unternehmen in den OECD-Ländern hat bis 1995 abgenommen, die Finanzierung aus dem cash-flow hat entsprechend zugenommen. Während die einen darin ein erhebliches Potenzial für weiteres Wachstum der globalen Finanzmärkte erblicken, schlussfolgern ande­ ­ re, dass das schnelle Wachstum der Bestände und vor allem der Umsätze an den internationalen Finanzmärkten in den 80er und 90er Jahren nicht auf besonders stark wachsende Finanzierungsbedürfnisse des Unternehmenssektors zurückzuführen sei. Das Wachstum wurde auch nicht durch einen besonders starken Anstieg der Investitionen verursacht, denn die Investitionsquote in den OECD-Ländern nahm nicht zu, sondern eher ab: in der Europäischen  Union von ca. 25 Prozent in den 60er auf 20 Prozent in den 90er Jahren, in Japan von ca. 35 auf deutlich unter 30 Prozent; nur in den USA lag die Quote in den 90er Jahren mit fast 20 Prozent zwar niedriger als in den beiden anderen Blöcken, aber genau so hoch wie in den 60er Jahren (Europäische Kommission 1999: 307). Jedoch hat es eine gewisse Verschiebung der externen Finanzierung zu Lasten der Banken, zu Gunsten der Wertpapierfinanzierung – und hier in erster Linie der Aktienfinanzierung – gegeben. Die Anleihefinanzierung spielt für den Unternehmenssektor in Europa – anders als in den USA – nach wie vor eine geringe Rolle: Die Finanzierung durch Bankkredite lag in der Europöäische  Union 1999 sechsmal so hoch wie die Anleihefinanzierung (45 zu 7,5 Prozent des BIP), während in den USA die Anleihe- (fast 30 Prozent des BIP) knapp zweieinhalb mal so hoch lag wie die Bankfinanzierung (gut zehn Prozent des BIP) (Committee of Wise Men 2000: 10). Darin wird allerdings nicht nur ein Vorteil des Finanzierungssystems der USA gegenüber den europäischen Konkurrenten gesehen. Im „Wall Street Journal“ heißt es: „Yet some contend that this shift of lending from the banks to debt-securities markets magnifies the danger. Banks have relationships with the borrower, but bondholders don’t, and they tend to act quickly and all on the same information.“ (Sherer, Sapsfor 2000). Es ist der „irrationale Überschwang“ (Shiller 2000), der Aktienbesitzer zum Kauf reizt, wenn andere dies auch tun; die Kurse eines Papiers steigen folglich. Der gleiche irrationale Überschwang führt allerdings auch zum Verkauf, wenn andere dies auch tun und der Wert der Aktie zu fallen droht, ganz unabhängig davon, wie sich das jeweilige Unternehmen tatsächlich wirtschaftlich entwickelt.

Hier wird ein Grundproblem von Finanzmärkten deutlich. Sie können die allokative Effizienz von Kapital verbessern. Aber sie weisen auch Informationsasymmetrien auf, die (1) zu „Adverse Selection“, also zur Auswahl nicht der besten Schuldner (oder Projekte) seitens der Kreditgeber, (2) zu „Moral Hazard“, also zum nicht verantwortungsvollen Umgang mit Fremdkapital und (3) zu einer Art kollektiver Irrationalität von individuell durch und durch rationalem Verhalten beitragen.

Handel mit Wertpapieren

Das eigentlich dynamische Moment der Finanzmärkte ist der Handel mit Wertpapieren (im Unterschied zur Ausgabe neuer Wertpapiere). Der Bestand von Anleihen nahm von 1990 bis 2000 weltweit um mehr als das Doppelte zu, der Anleihehandel dagegen um das Siebenfache (vgl. Tabelle 2-1).Das gleiche gilt für Aktien: Während die Marktkapitalisierung in den Jahren von 1990 bis 2000 (jeweils Jahresende) um mehr als das Dreifache zunahm, steigerte sich der Aktienhandel im gleichen Zeitraum um das Zehnfache. Während 1990 jede Aktie durchschnittlich noch 19 Monate gehalten wurde, waren es 1999 nur noch elf Monate – eine Verringerung von über 40 Prozent in nur acht Jahren9 (World Federation of Exchanges 2001a, 2001b, 2001c).

Parallel zu dieser Entwicklung ist eine zunehmende Kurs­ orientierung (im Gegensatz zur Orientierung an der Dividende, der Umsatzstärke etc.) der Anleger festzustellen, denn nur so ist zu erklären, dass die Aktienmärkte eine derartige Dynamik aufweisen, obwohl die Divi­ denden­ renditen „in den meisten G10 Ländern seit Anfang der achtziger Jahre dem Trend nach gefallen sind. Außer in    Japan, Italien und Schweden liegen die Dividendenrenditen nahe ihren Tiefstwerten“ (BIZ 1999).

Die Aufwertung des Handels mit Wertpapieren gegenüber dem klassischen Kreditgeschäft (Verbriefung oder Securitization von Finanzbeziehungen) ist für global ausgerichtete Banken zunehmend charakteristisch. Sie treten weniger als langfristige Geldgeber denn als Vermittler von (jederzeit liquidierbaren) Finanzmitteln auf und beziehen als Investmentbanken ihre Gewinne weniger aus Zinsdifferenzen für Spareinlagen und Kreditausleihungen als aus Provisionen für Käufe und Verkäufe von Aktien oder Anleihen bzw. für Beratungstätigkeiten; entsprechend fördern die Banken auch die beschriebenen Prozesse. Wenn sich international ausgerichtete Wirtschaftsunternehmen über die Ausgabe von Aktien oder Anleihen auf internationalen Kapitalmärkten finanzieren, können die Unternehmenswerte und die entsprechenden kalkulierbaren Renditen mit denen alternativer Anlagen verglichen werden. Unternehmen konkurrieren also mit alternativen Anlagemöglichkeiten (von Staatsanleihen bis zu Fondsbeteiligungen) um die potentiellen Anleger. Daher rührt die Bedeutung, die dem Konzept des „Shareholder Value“ beigemessen wird. Denn damit werden die Vergleichbarkeit des Werts eines Unternehmens auf Vermögensmärkten mit anderen Anlageobjekten und die Transparenz des Zustandekommens des Werts (des Shareholder Value) zum Prinzip des Managements.



6 In Deutschland z. B. die Bildung der HypoVereinsbank, die Fusion von Dresdner Bank und Allianz, in der Schweiz die Bildung der UBS, in Japan die Fusionen von Dai-Ichi Kangyo Bank, Fuji Bank und der Industrial Bank of Japan, von Sumitomo Bank und Sakura Bank sowie von Tokai Bank, Asahi Bank und Sanwa Bank oder die Fusion von Deutsche Bank und Bankers Trust.

zurück zum Text



9 Im Jahr 2000 wurde eine Aktie im Durchschnitt sogar nur noch gut sechs Monate gehalten, was einer Verringerung um fast 60 Prozent entspräche.

zurück zum Text



 zurück weiter  Top  Übersicht 


Volltextsuche





















Abbildung 2-5

Abbildung 2-6











































































Kasten 2-1




















































Abbildung 2-7