*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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   2.3.3       Finanzierungsprobleme kleiner und mittlerer Unternehmen

2.3.3.1    Kleine und mittlere Unternehmen in Industrieländern (unter besonderer Berücksichtigung Deutschlands)

Die Globalisierung der Finanzmärkte hat die Rahmenbedingungen für die Finanzierung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) beträchtlich verändert. Offene Kapitalmärkte, neue Kreditunterlegungsvorschläge (im Zusammenhang mit den Regeln, die vom Baseler Ausschuss (Basel II) erarbeitet werden) und alternative Kreditbeschaffung bestimmen die Diskussion und tragen zur Verunsicherung und auch zu einer abwartenden Haltung bei der Kreditvergabe und dem Zugang zu Risikokapital bei. Hier sind Maßnahmen und Regelungen im nationalen wie internationalen Rahmen zu entwickeln, die es KMU auch in Zukunft ermöglichen, ihre Unternehmenstätigkeit zu erhalten und die Innovationsfähigkeit und Beschäftigungswirksamkeit zu entfalten.

Nach EU-Definition gelten Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten oder einem Jahresumsatz von bis zu 40 Millionen Euro oder einer Bilanzsumme von weniger als 27 Millionen Euro, solange sie unabhängig sind, das heißt, dass Nicht-KMU Beteiligungen von weniger als 25 Prozent halten (Europäische Kommission 1996). Nur wenige haben die Rechtsform einer Aktiengesellschaft. Der Anpassungsdruck, dem KMU ausgesetzt sind, entsteht nicht nur auf globalisierten Güter- und Dienstleis­ tungsmärkten. Auch oder gerade die Globalisierung der Finanzmärkte hat die Rahmenbedingungen für die KMU beträchtlich verändert. Für den Mittelstand wird es immer schwieriger, sich die notwendigen Kreditmittel zu beschaffen.

Auch wenn viele Fortschritte bei den Baseler Beratungen durchgesetzt werden konnten, ist nach dem heuti­ ­ -gen Stand noch nicht auszuschließen, dass sich durch Basel II die Finanzierungskosten für KMU insgesamt erhöhen.

Die Gründe dafür liegen im verschärften Wettbewerb auf den internationalen Finanzmärkten, den Vorschlägen des Baseler Ausschusses (Basel II) und einer verschärften Risikoeinschätzung der Finanzinstitute, die durch die Einführung neuer IuK-gestützter Risikomanagementsys­ teme gestützt wird.

Zu Beginn der Verhandlungen im Baseler Ausschuss musste davon ausgegangen werden, dass die neuen Vorschriften den Zugang zu Eigenkapital und insbesondere zu Krediten deutlich erschweren bzw. insgesamt für kleine und mittlere Unternehmen deutlich verteuern würden.

Vor allem die Vorschriften einer bankexternen Bewertung (externes Rating), die sehr restriktive Berücksichtigung in Deutschland bewährter und üblicher Sicherheiten (z. B. Realkredite) und die Nichtberücksichtigung des geringeren Risikos eines breiten Portfolios von Kleinkrediten von kleinen und mittleren Unternehmen, Selbständigen und Privatkunden sowie die deutlich höhere Eigenkapitalunterlegungspflicht von in Deutschland bei der Unternehmensfinanzierung üblichen längeren Krediten stießen auf berechtigte Kritik.

Ein großer Teil der Kritikpunkte konnte in den bisherigen Verhandlungen durch die deutsche Verhandlungsführung beseitigt werden, so sind z. B. berücksichtigt

–    Die Einführung eines auf bankinternen Ratings basierenden einfachen Ansatzes zur Ermittlung der Eigenkapitalanforderungen für das Kreditrisiko im Foundation-Ansatz;

–    Die Festlegung eines ermäßigten Gewichtungssatzes in Höhe von 50 Prozent für den gewerblichen Realkredit im Standardansatz;

–    Die Berücksichtigung verminderter Kreditrisiken von KMU-Krediten über die Retail-Klausel;

–    Die teilweise Berücksichtigung der längerfristigen Kreditfinanzierung durch eine Abmilderung der Laufzeitenzuschläge.

Es bleibt allerdings bisher offen, ob eine Entlastung der für die deutsche Investitionsfinanzierung typischen länger­ fristigen Kredite durchgehend erzielt und die Frage der Bewertung der von Banken gehaltenen Wagniskapital­ beteiligungen positiv geklärt wird.

Auch angesichts der bereits erzielten Entlastungen ist für einen Mittelständler mit schlechtem Rating (sofern hier nicht die Retail-Klausel greift) eine Verteuerung der Kredite zu erwarten. Es besteht die Gefahr, dass Beteiligungen sowohl von privaten als auch von öffentlich-rechtlichen, genossenschaftlichen und besonders von Bürgschaftsbanken deutlich teurer werden, in manchen Fällen wohl prohibitiv teuer. Es ist daher unabweisbar, dass die deutsche Verhandlungsführung hier auf grundlegende Änderungen dringt. Bisher ist noch nicht belegbar sicher gestellt, dass Basel II nicht insgesamt zu einer Verteuerung der Kreditversorgung von KMU führt.

Erst die Vorlage einer empirisch nachvollziehbaren Auswirkungsstudie (Impact Study), wie sie für Herbst 2002 geplant ist, kann darüber mehr Gewissheit verschaffen. Bis dahin sollte eine Zustimmung durch Deutschland nicht erfolgen.

Basel II verstärkt jedoch auch andere, von verschärfter internationaler Konkurrenz getriebene Entwicklungen. Bei der Umsetzung der geforderten Nachbesserun­ gen wird die Kreditfinanzierung für kleine und mittlere Unternehmen deutlich schwieriger. Mehr als ein Drittel der kleinen und mittelständischen Unternehmen wurde nach Zeitungsberichten bereits von ihren Hausbanken aufgefordert, sich nach anderen Kreditgebern umzu­ sehen.20

Alternative Finanzierungswege sind zwar zunehmend in der Diskussion, aber für große Teile der kleinen und mittleren    Unternehmen nicht relevant. Eine Finanzierung über den Euro-Rentenmarkt kommt in der Regel erst für Unternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu 500 Millionen Euro in Frage. In Deutschland erreichen aber nur etwa ein Prozent aller Unternehmen die Umsatzgrenze von 50 Millionen Euro bzw. benötigen ein Finanzvolumen dieser Größenordnung. Wagniskapital wird noch überwiegend über Unternehmensgründungen des neuen Marktes erschlossen, der derzeit auch in der Krise steckt. Selbst wenn alternative Finanzierungswege in der Zukunft sehr wahrscheinlich an Bedeutung gewinnen werden, wird es für drei Viertel der kleinen und mittleren Unternehmen im kommenden Jahrzehnt kaum eine Alternative zur Kreditfinanzierung geben.

Zwar werden die neuen Baseler Vorschriften das ohnehin prozyklische Verhalten der Kreditinstitute nur leicht verschärfen21, aber die meisten Institute ändern unabhängig von den neuen Vorschriften ihre Kreditvergabepolitik an kleine und mittlere Unternehmen.

Sorge bereitet die verschärfte internationale Konkurrenz der Banken, die z. B. in den USA und in Großbritannien bereits zu einer Vermachtung von Strukturen auf den Kreditmärkten und zu fühlbaren Engpässen in der Kreditversorgung von ganzen Regionen, Branchen, den meisten kleinen und mittleren Unternehmen sowie deutlich verminderten Zugangsmöglichkeiten einkommensschwacher Schichten zum bargeldlosen Zahlungsverkehr und zu Kleinkrediten geführt hat.

Große Privatbanken, aber auch viele Landesbanken haben sich nicht selten auf den internationalen Finanzmärkten, bei nationalen und internationalen Großprojekten und auf dem Immobiliensektor risikoreich und spekulativ en­ gagiert, um ihre Erträge auf internationales Niveau zu erhöhen und müssen nun zum Teil milliardenschwere Verluste abschreiben. Dies macht sie beim Eingehen neuer Verbindlichkeiten derzeit und auch in der nahen Zukunft sichtbar restriktiver. Die Klagen auch solider kleiner und mittlerer Unternehmen, deren Kreditlinien zum Teil nicht mehr verlängert werden, haben in den letzten Monaten deutlich zugenommen.

Des weiteren arbeiten viele, eher im nationalen Rahmen operierende Kreditinstitute an der Einführung neuer, IuK-gestützter Risikomanagementsysteme. Eine restriktivere Kreditvergabe ist daher heute schon die Regel und erscheint künftig auch bei diesen in der Vergangenheit besonders in der Mittelstandsfinanzierung engagierten Instituten wahrscheinlich.

Insgesamt führen diese Entwicklungen zu einer niedrigeren Kreditversorgung mit höheren Zinsen zu Lasten der kleinen und mittleren Unternehmen, als es aus Wachstums- und Beschäftigungsgründen wünschenswert und geboten wäre.

Unabhängig von den Auswirkungen des Baseler Akkords werden verbesserte Risikomanagementsysteme eine differenzierte Kreditkostenkalkulation ermöglichen und damit zu einer stärkeren Spreizung der Kreditkosten innerhalb der kleineren und mittleren Unternehmen führen.

Während die „besseren“, d. h. profitableren bzw. über höheres Eigenkapital verfügenden kleinen und mittleren Unternehmen mit relativ guten Konditionen rechnen können, werden sich Kreditkosten, aber auch die Zugangsmöglichkeiten für die kleinen Unternehmen in weniger gewinnträchtigen Sektoren und wenig wachstumsstarken Regionen sowie für Gründer höchstwahrscheinlich (deutlich) verschlechtern. Für junge, innovative Unternehmen, die weder über eine angemessene Eigenkapitalquote, noch in der Anfangsphase über relevante Gewinne verfügen, kann dies zu einem massiven Problem werden: Die Kreditkonditionen verschlechtern sich wegen ihres objektiv höheren Risikos, und der Ausweg, sich über Beteiligungen z. B. von Banken zu finanzieren, wird durch die neuen Vorschriften stark verteuert.

Nach dem IRB-Ansatz22 müssen Banken für Beteiligungen deutlich mehr Eigenkapital unterlegen (bisher Risiko­ gewicht 100 Prozent – Eigenkapital-Anforderung acht Prozent), im Extremfall kann es für einzelne Beteiligungen zu einer Vollunterlegung mit Eigenkapital führen.

Da im internationalen Vergleich die Eigenkapital-Quote für kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland ohnehin niedrig ist, sollte diese Verschlechterung unbedingt unterbleiben. Darüber hinaus soll die deutsche Verhandlungsführung darauf dringen, dass durch Ausnahmeregelungen bzw. größere Freiheiten für die nationale Bankenaufsicht für nationale Förderprogramme die Beteiligungsfinanzierung für innovative Unternehmen weiterhin voll aufrecht erhalten bzw. ausgebaut werden kann.

Insgesamt wird eine angemessene Versorgung der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland auf Dauer nur zu sichern sein, wenn die international wettbewerbsfähige ausgewogene Bankenstruktur Deutschlands den bargeldlosen Zahlungsverkehr und die Kreditversorgung besonders der kleinen und mittleren Unternehmen sowie aller Schichten der Bevölkerung – auch der ärmeren Einkommensschichten – weiterhin flächendeckend sicherstellt.

Genossenschaftsbanken und das öffentlich-rechtliche Bankensystem wie z. B. Sparkassen, Landesbanken sowie För­ derbanken haben bisher in ihrem Zusammenspiel eine regionale Unterversorgung vermeiden können und ca. 40 Prozent des gewerblichen Mittelstands sowie 50 Prozent des Handwerks und den Großteil der Neugründungen finanziert. Die Fortsetzung dieser, in der Nachkriegsgeschichte insgesamt erfolgreichen Versor    gung von kleinen und mittleren Unternehmen und der Bevölkerung wird allerdings nur möglich sein, wenn diese Institute ihren Auftrag konsequent annehmen und wettbewerbliche Auflagen der Europäischen Union ihnen diesen Auftrag nicht erschweren.



20 FAZ 7.2.2001: Blaue Briefe an den Mittelstand

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21 Dies war die Aussage der Experten Müller (Deutscher Bundestag 2002b: 33), Trischler (Deutscher Bundestag 2002b: 34), Wiegard (Deutscher Bundestag 2002b: 61) und Pohl (Deutscher Bundestag 2002b: 62) bei der Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages am 20. März 2002 zu Basel II.

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22 Bankeninterner Rating-Ansatz zur Ermittlung der Kreditausfallwahrscheinlichkeit.

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