*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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2.4.6.2    Verschuldung

Die HIPC- Initiative zur Entschuldung der hoch verschuldeten armen Länder

Für eine nachhaltige Entwicklung ist die hohe Verschuldung vieler Länder immer noch ein nahezu unüberwindbares Hemmnis. Die derzeit laufende Entschuldung der ärmsten hoch verschuldeten Länder (HIPC-Initiative) markiert einen qualitativen und auch einen quantitativen Fortschritt. Ziel ist es, die Schulden der ärmsten Länder durch Schuldenerlasse seitens der (öffentlichen) Gläubiger auf ein tragfähiges Niveau zu senken. Voraussichtlich 37 Länder können sich dafür qualifizieren, indem sie die durch die Entschuldung nicht mehr für den Schulden    dienst gebundenen Mittel zur Armutsbekämpfung aktiv verwenden. Bis März 2002 wurde für 26 HIPC-Länder die Entscheidung über die Entlastung getroffen und mit der Umsetzung begonnen.

Trotz Anerkennung des positiven Ansatzes bei der Entschuldung der HIPC monieren Kritiker jedoch die zeitaufwendigen und komplizierten Mechanismen der HIPC-Initiative. Sie kritisieren zudem einige Grundannahmen des Entschuldungsverfahrens. Tragfähige Verschuldung wird von der Gebergemeinschaft – so die Kritik – im Sinne einer maximalen Schuldendienstfähigkeit (wie im Londoner Schuldenabkommen von 1953 – s. Kasten 2-5)interpretiert. Externe Schocks, Naturkatastrophen, starke Schwankungen der Rohstoffpreise und eine Verschlechterung der Terms of Trade45, dramatische Gesundheitskrisen (Aids, Tuberkulose) haben aber in der Vergangenheit wiederholt gezeigt, dass ein grundsätzlich als tragfähig erachtetes Schuldenniveau sehr plötzlich wegen der erratischen Schwankungen makroökonomischer globaler Größen in Überschuldung umschlagen kann.

Mit den zweifelsohne positiven Entwicklungen für die HIPC-Länder hat sich der Graben – was die Möglichkeiten der Entschuldung betrifft – zwischen dieser Ländergruppe und anderen Entwicklungsländern mit erheblichen Verschuldungsproblemen vertieft. Für sie existieren im Wesentlichen die gleichen Bedingungen wie in den achtziger Jahren. Für Länder mit mittleren und niedrigen Einkommen stehen im Pariser Club jeweils unterschiedliche Ins­ trumente zur Verfügung: darunter eine Streckung des Schuldendienstes bei Ländern mit mittlerem Einkommen und bei den ärmeren Ländern ggf. auch ein Schuldenerlass. Die Gesamtverschuldung der Länder mit mittlerem Einkommen hat sich in den letzten Jahren permanent erhöht. Der Glaube, sie würden aus eigener Kraft aus der Verschuldung herauswachsen, lässt sich durch entsprechende Erfahrungen nicht erhärten. Auch für diese Ländergruppe stellt sich also die Frage nach erweiterten Verfahren, die das Problem der Entschuldung entschärfen könnten.

Alle momentan bestehenden Verfahren des Schuldenmanagements werfen jedoch grundsätzliche Fragen nach einem gerechten Interessenausgleich zwischen Gläubigern und Schuldnern auf. Das jetzige Verfahren der Schuldenverhandlungen im Pariser Club beispielsweise, bei dem die Gläubiger de-facto Gutachter, Kläger und Richter in einer Person sind, wird grundlegenden demokratischen Ansprüchen nicht gerecht.

   Geregelte Insolvenzverfahren

Ein faires, transparentes und effizientes Schiedsverfahren zur Regelung der Überschuldung von Staaten soll neue Entwicklungsoptionen für Länder eröffnen, die von der Illiquidität in eine Situation der Insolvenz geraten sind. Gegenüber der Befriedigung der Gläubiger aus einer „Konkursmasse“ ist das Insolvenz-Verfahren auf die Mög­ lichkeit eines „fresh start“ des Schuldners ausgerichtet, so wie sie das US-amerikanische Insolvenzrecht für Private (Chapter 11 des US Bankruptcy Law) und für Kommunen (Chapter 9) vorsieht.

Ökonomisch sind die Forderungen, die bei den Gläubigern zu Buche stehen, zumindest zum Teil uneinbringlich, zumal dann, wenn der „Unternehmenswert“ zu einem großen Teil ideeller Natur ist (Netzwerke zwischen Lieferanten, Abnehmern und dem Unternehmen; Know-how der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Label etc.) und bei einem Konkursverfahren zerschlagen werden würde. Dies gilt allerdings nicht für souveräne Schuldner.

Juristisch kollidieren die berechtigten Ansprüche der Gläubiger mit der Unzumutbarkeit der Vertragserfüllung seitens des Schuldners. Es stellt sich damit die Frage nach den Modalitäten einer Reduktion der Schuldenlast von souveränen Schuldnern. Ad-hoc-Lösungen sind mit der HIPC-Initiative entwickelt worden, die aber nicht für Mitteleinkommensländer vorgesehen ist, obwohl auch diese die Schuldenlast nicht immer tragen können.

Das jüngste Beispiel ist Argentinien, ein Land, das für eine HIPC-Lösung nicht in Frage kommt, aber doch eine Rückführung der übermäßigen Schuldenlast benötigt, um die schwere ökonomische, soziale und politische Krise überwinden zu können. In diesem Fall wird auch die Unangemessenheit des bisherigen Umgangs mit Finanzkrisen (seit der Mexiko-Krise 1994) deutlich: Wenn einem Land in einer Finanzkrise zum Teil massiv Mittel zur Verfügung gestellt werden, um die Forderungen der Gläubiger befriedigen zu können, steigt die Verschuldung. Der zukünftige Schuldendienst kann die Entwicklung des betroffenen Landes beeinträchtigen.

Es wäre das Ziel eines fairen und transparenten Schiedsverfahrens – unter Beteiligung von Schuldnern, Gläubigern und einem unabhängigen Schiedsrichter –, verschuldeten Staaten einen Neuanfang zu ermöglichen, um sie so in die Lage zu versetzen, den zukünftigen, in einem Insolvenzverfahren ausgehandelten Schuldendienst nachhaltig leisten zu können. So wie das nationale Insolvenzrecht privaten Schuldnern den Schutz der Menschenwürde und einen wirtschaftlichen Neubeginn zugesteht, zielt das Insolvenzverfahren im Falle sou­ veräner Staaten auf die Eröffnung neuer Entwicklungs­ chancen.

Auch im Falle der Insolvenz müssen ein Existenzminimum gesichert bleiben, die Bekämpfung der Armut fortgesetzt werden, die Bewahrung der natürlichen Umwelt und die Gewährleistung des sozialen und politischen Friedens Ziel aller Beteiligten bleiben. Denn dies alles sind öffentliche Güter, die Schutz verdienen – auch und gerade durch Gläubiger, die ebenfalls betroffen sein können, wenn dieser Schutz verloren geht. Der 11. September hat alle Menschen in dieser Hinsicht sensibler gemacht.

Durch die Einbeziehung der privaten Gläubiger in die Vermeidung und Bewältigung von Krisen („Bail in“; Schuldenmoratorium) setzt das Verfahren einen Anreiz, Fehlallokationen bei der Kreditvergabe, weil Risiken unterbewertet werden, antizipativ zu verhindern. Es werden also im Zuge eines Insolvenzverfahrens nicht nur die Schuldner, sondern auch die Gläubiger diszipliniert.46 So könnte der für die Funktionsweise globaler Finanzmärkte insgesamt positive Effekt einer Reduzierung von „Moral Hazard“ und nicht optimaler Auswahl von Kreditnehmern („Adverse Selection“) durch eine Insolvenzregelung befördert werden. Durch das „Bail in“ im Zuge des Insolvenzverfahrens wird ein positiver Beitrag zur Stabilisierung der Internationalen Finanzmärkte geleistet (Raffer 2000).47 Allerdings kommt es sehr darauf an, dass das Verfahren von strukturellen Reformen in den betroffenen Ländern begleitet wird.

Beide Seiten, Schuldner ebenso wie Gläubiger müssen also mit der Zielsetzung, Schuldnern einen „neuen Start“ zu ermöglichen, Zugeständnisse machen. Dies wird nur gelingen, wenn eine unabhängige Schiedsrichterinstitution die Insolvenzverhandlungen moderiert. Diese unabhängige Institution muss noch errichtet werden, da die internationalen Finanzinstitutionen kaum die Aufgaben der neutralen Moderation wahrnehmen können. Sie sind zu sehr Partei in den globalen Kreditbeziehungen, als dass sie als Schiedsrichter in Insolvenzverfahren geeignet wären.

Die Debatte um ein internationales Insolvenzrecht hat Ende 2001 durch mehrere Reden der stellvertretenden Geschäftsführenden Direktorin des IWF, Anne Krueger, neuen Auftrieb erlangt. Dazu werden der Schock des 11. September 2001, aber auch die schwere Finanzkrise, die ein großes Land der westlichen Hemisphäre (Argentinien) politisch destabilisiert hat, Anlass gegeben haben. Auch die infolge der Zunahme verbriefter Anleihen (und der relativen Abnahme von Krediten) in den vergangenen Jahren erfolgten Veränderungen auf der Gläubigerseite der globalen Finanzbeziehungen legen eine Neubewertung von Insolvenzverfahren nahe. Denn Umschuldungen können nun nicht mehr vor allem innerhalb des IWF, im Pariser Club und im Londoner Club innerhalb einer übersichtlichen Zahl von Beteiligten auf der Schuldner- wie auf der Gläubigerseite stattfinden, wenn auf der Gläubigerseite zum Teil Tausende von Anleihehaltern in vielen Ländern von einer akuten Solvenzkrise eines Schuldnerlandes (Beispiel Argentinien) betroffen sind. Viele kleine Anleger haben also, vermittelt durch Investment- oder Pensionsfonds, Anleihen oder Staatspapiere von Schwellenländern gekauft, die auf Wertpapiermärkten gehandelt werden. Allerdings handelt es sich dabei nur um Anleihen der Schwellenländer, die verbrieft und gehandelt werden; Investitionen privater Investoren in verbriefte Anleihen von Entwicklungsländern hat es nicht gegeben.

   Auch Bundespräsident Johannes Rau hat sich in seiner „Berliner Rede“ vom 13. Mai 2002 für die Einführung von Insolvenzregeln ausgesprochen.



45 Terms of Trade drücken das Verhältnis von Import- zu Exportpreisen aus; im Falle der Entwicklungsländer geht es um das Verhältnis der Rohstoffpreise (Exporte) und Industriegüterpreise (Importe). In der langfristigen Tendenz sind die Industriegüter gegenüber den Rohstoffen relativ teurer geworden, die Terms of Trade haben sich also für die Entwicklungsländer verschlechtert und umgekehrt für die Industrieländer verbessert. Diese stilisierte Aussage trifft cum grano salis die Entwicklung der Weltwirtschaft in den vergangenen drei Dekaden.

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46 Eine ähnliche Wirkung könnte im übrigen die von George Soros ins Spiel gebrachte Kreditversicherung haben, die Kreditgeber gegen allfällige Zahlungsausfälle abzuschließen verpflichtet wären (vgl. Soros 2002).

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47 Kritisch dazu BMZ (2000); als Antwort darauf Raffer (2001).

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