*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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4.2.1.2    Kostenorientierte Definition internationaler Wettbewerbsfähigkeit

Bei diesem Ansatz wird Wettbewerbsfähigkeit als das Vermögen der Volkswirtschaft verstanden, den Faktor Arbeit im Vergleich zu anderen Ländern möglichst kostengünstig einzusetzen. Gerade im Zusammenhang mit den Auswirkungen der Globalisierung für den deutschen Arbeitsmarkt ist dieser Aspekt interessant, denn in der öffentlichen Diskussion wird vielfach die Auffassung vertreten, die hierzulande üblichen Lohn- und Sozialkosten belasteten den Wirtschaftsstandort. Zur Klärung dieser Frage bietet sich in der Tat der internationale Vergleich der Lohnstückkosten an. Dabei werden die Arbeitskosten – einschließlich der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung und der sonstigen Lohnnebenkosten – zum preisbereinigten Bruttoinlandsprodukt ins Verhältnis gesetzt. Allerdings sind solche Vergleiche zwischen verschiedenen Ländern mit erheblichen methodischen Schwierigkeiten verbunden.

–   Bei sektoralen oder branchenbezogenen internationalen Lohnstückkostenvergleichen7 werden zwar gezielt diejenigen Sektoren analysiert, die im internationalen Wettbewerb stehen8. Sie sind aber nicht unproblematisch, weil Vorleistungsverflechtungen und die Fertigungstiefen in den verschiedenen Volkswirtschaften und die Strukturen der Länder – z.B. die Anteile von primärem, sekundärem und tertiärem Sektor – zum Teil sehr unterschiedlich sind. Theoretisch sinnvoller sind Vergleiche der Lohnstückkosten auf der Ebene der Gesamtwirtschaft (Deutsche Bundesbank 1998). Gesamtwirtschaftliche und sektorale internationale Lohnstückkostenvergleiche können also zu konträren Ergebnissen führen.

–   Werden Lohnstückkosten in jeweiliger Landeswährung verglichen, so werden zwar die heimischen Faktoren sichtbar, die auf Kosten und Effizienz des Arbeitseinsatzes einwirken. Jedoch sind dann keine Niveauvergleiche zwischen Ländern möglich, sondern nur der Vergleich der Änderung gegenüber einem bestimmten Basisjahr. Außerdem sagt der Vergleich der Lohnstückkosten in jeweiligen nationalen Währungen nichts über die Wettbewerbsverhältnisse auf den Märkten aus, da diese unter anderem entscheidend von den Wechselkursen abhängen.

–   Beim Vergleich von Lohnstückkosten in einer einheitlichen Währung – z.B. in Euro oder in US-Dollar – werden zwar Wechselkursänderungen berücksichtigt, die in der Tat für die Wettbewerbsverhältnisse auf den Märkten mit entscheidend sind. Allerdings hat dieser Vergleich dann nicht mehr unbedingt etwas mehr mit den tatsächlichen Lohnkosten zu tun. Darüber hinaus sagen heutzutage Wechselkurse nur noch zum Teil etwas über die realen Handels- und Dienstleistungsströme zwischen Volkswirtschaften oder Währungsblöcken aus. Der zunehmend spekulative Anteil an der Wechselkursfindung verzerrt realwirtschaftliche Vergleichsmöglichkeiten.

–   Vergleicht man schließlich Lohnstückkosten zu Kaufkraftparitäten, dann wird wiederum die tatsächliche Wettbewerbssituation nicht erfasst. Außerdem entstehen bei der Berechnung von Kaufkraftparitäten erhebliche methodische Probleme9.

Ungeachtet dieser methodischen Probleme wird in den Abbildungen 4-3 und 4-4 der internationale Lohnstück­ kostenvergleich auf gesamtwirtschaftlicher Ebene gezeigt, und zwar zum einen in jeweiliger Landeswährung und zum andern wechselkursbereinigt in ECU/Euro.

Ohne Wechselkurseinflüsse verlief demnach die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten – Darstellung in jeweiligen Landeswährungen – in Deutschland    kontinuierlich und auch im internationalen Vergleich vergleichsweise günstig; von den hier betrachteten Ländern war der Anstieg nur in Japan geringer. Werden hingegen, wie in Abbildung 4-4 gezeigt, die Lohnsstückkosten einheitlich in ECU dargestellt, dann wird sichtbar, dass Wechselkursänderungen teilweise zu einem heftigen Auf und Ab der Lohnstückkostenentwicklung geführt haben. Für Deutschland war der Verlauf gleichwohl auffällig kontinuierlich. Für die USA und Japan haben sich hingegen die Wettbewerbsbedingungen durch Wechselkursänderungen gegenüber Anfang der 80er Jahre, unterbrochen jeweils von größeren Erholungspausen, erheblich verschlechtert.

Insgesamt kann die prinzipiell begrenzte Aussagefähigkeit von internationalen Lohnstückkostenvergleichen wie folgt zusammengefasst werden:

–   Einigermaßen problemlos können nur Veränderungen im Zeitablauf, aber keine Niveauunterschiede gemessen werden.

–   Da weder gesamtwirtschaftliche noch sektorale internationale Lohnstückkostenvergleiche von strukturellen Verzerrungen frei sind, sind sie nur zwischen strukturell vergleichbaren Ländern oder nur für kurze Zeitabschnitte, d.h. solange Strukturveränderungen vernachlässigt werden können, sinnvoll.

–   Die Lohnstückkosten und ihre Entwicklung sind zwar wichtig, aber keinesfalls allein entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Zum einen sind die bei den Unternehmen anfallenden Arbeitskos­ ten nicht die einzigen Kosten; auch Kapital- und Vorleistungskosten und nicht zuletzt auch die gesamtwirtschaftlich anfallenden Infrastrukturkosten kommen hinzu. Außerdem wird die Wettbewerbsfähigkeit durch Steuern und Subventionen beeinflusst. Schließlich sind auch nicht die Kosten allein entscheidend, sondern andere Faktoren, wie z.B. Qualität der Güter und Zuverlässigkeit der Dienstleistungen, können eine ausschlaggebende Rolle spielen.

–   Die reine Fixierung auf die Lohnstückkosten könnte zu dem Gedanken verführen, bei gegebener Produktivität müssten nur die Arbeitskosten sinken, um günstigere Lohnstückkosten zu erhalten und international wettbewerbsfähiger zu werden. Beide Größen können jedoch nicht unabhängig voneinander gesehen werden. Vielmehr beeinflusst die Lohnhöhe die Produktivität und umgekehrt. Steigende Löhne lösen in Unternehmen Rationalisierungsinvestitionen aus und treiben damit die Produktivität an. Zum anderen stützt sich die Finanzierung der öffentlichen Haushalte und der Sozialversicherungen stark auf die Lohneinkommen. Steigenden    Löhnen kommt damit eine wichtige Rolle bei der Finanzierung der Infrastruktur zu, z.B. im Sinne einer breiten Bildungsbeteiligung.

Abgesehen von diesen methodischen Schwierigkeiten vermitteln die vorliegenden internationalen Lohnstückkostenvergleiche keinesfalls den Eindruck, dass die deutsche Wirtschaft in den letzten zwanzig Jahren systematisch und lohnkostenbedingt an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt hat. Der Vergleich von vier großen Industrieländern zeigt, dass die Lohnstückkosten im Jahresvergleich 1980/2000 nur in Frankreich weniger stark anstiegen als in Deutschland. In den USA und in Japan nahmen sie dagegen deutlich stärker zu.



7 Internationale Lohnstückkostenvergleiche für das verarbeitende Gewerbe hat das Institut der deutschen Wirtschaft Köln veröffentlicht (Schröder 2002).

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8 Zum Beispiel sind Dienstleistungen in der deutschen Industrie noch vielfach in die Industrieunternehmen eingegliedert, in den USA hingegen in größerem Umfang ausgelagert; die in den extern eingekauften Dienstleistungen enthaltenen Lohnkosten erscheinen nicht als Lohnkosten der Industrie, die intern produzierten sind hingegen Teil der industriellen Lohnkosten.

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9 Zur Problematik der Berechnung von Kaufkraftparitäten vgl. Görzig (2000).

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Abbildung 4-3
































Abbildung 4-4