*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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5.3.2       Patentierung und Privatisierung von Wissen und ihre Auswirkungen auf die Forschung, gesellschaftliches Wissen und gesellschaftliche Teilhabe

5.3.2.1    Wirkung der Patentierungsregelungen auf die Forschung

Von den Befürwortern der Patentierung wird immer wieder ins Feld geführt, dass ohne Patentierung kein Anreiz für Firmen gegeben sei, in entsprechende Forschung zu investieren. Das ist sicherlich angesichts hoher Forschungsaufwande richtig. Allerdings müssen die verschiedenen Interessen gegeneinander abgewogen und gegen Missbrauch, unangemessene Beschränkung von Handel und Technologietransfer, Zurückdrängung von Forschung und Wissen als öffentliche Güter abgesichert werden. Derzeit besteht die Gefahr, dass Forschung und Bildung mit der Ausweitung des Patentrechts mehr als bisher dem direkten Verwertungsinteresse und der Rendite unterworfen werden. Insbesondere hat das Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) darauf verwiesen, dass schnell anwendbare Lösungen vorangetrieben wurden und FuE zunehmend auf kurzfristiges Verwertungspotenzial orientiert wird (ZEW 2001). Dies hat bedeutende Folgen für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung beispielsweise im Bereich des Gesundheitsschutzes, da Forschung zur Behandlung von Krankheiten mit hohe Forschungsaufwendungen und nicht zu kalkulierender oder geringer Rendite unterbleiben. Generell werden Bildung und Forschung als öffentliche Güter zugunsten der verwertbaren Aneignung von Forschung und Bildung zurückgedrängt. Dies gilt nicht nur für die Forschung in der Industrie, sondern auch für die Hochschulforschung. Mit der Abschaffung des „Hochschullehrerprivilegs“ in Kombination mit der zunehmenden rechtlichen Eigenständigkeit der Hochschulen und ihrer Abhängigkeit von finanziellen Zuwendungen und engeren Kooperation mit der Industrie wird auch Hochschulforschung stärker diesen Erfordernissen unterworfen.

Forschungsergebnisse, die keine hohe Renditeerwartung mit sich bringen, werden zudem unterdrückt, denn neue wissenschaftliche Erkenntnisse werden geheim gehalten oder erst dann veröffentlicht, wenn sie patentiert sind. Dies kann auch zu einer Reduzierung der Publikationstätigkeit führen. Insbesondere, wenn Patente in ihrer Reichweite nicht begrenzt sind, wird weiterreichende Forschung blockiert. Dies trifft beispielsweise zu, wenn mit der Patentierung von Genen alle denkbaren Anwendungen mitpatentiert sind und so Firmen die eigene Forschung und Entwicklung unterlassen, weil sie die Ergebnisse nur in Abhängigkeit und unter Lizenzzahlung an den Patentinhaber nutzen können. Während durch den Konkurrenzdruck auf den Exportmärkten FuE forciert werden, wird der Wettbewerb behindert, weil die Patentierung und Lizenzvergabepolitik systematisch genutzt werden, sich gegenüber der Konkurrenz abzuschotten. Das Patentrecht wird dann zum reinen Unternehmensschutz, in dem die transnationalen Konzerne in der Konkurrenz auf dem Weltmarkt ihre Vormacht absichern und ausbauen. „Das Verhältnis zwischen der notwendigen erfinderischen Leistung und dem Ausmaß des zu beanspruchenden Vermarktungsmonopols kann als inflationär bezeichnet werden. (...) Aus einem geistigen, immateriellen Schutzrecht wird ein Instrument, mit dem die Anteilsinhaber genetische Ressourcen kontrollieren und den Zugang verwehren. Das betrifft sowohl Gene, als auch Organismen, die im Labor isoliert, synthetisiert und verändert werden, als auch natürlicherweise vorkommende Lebewesen, die unter anderem mit den Mitteln der Molekulargenetik lediglich neu beschrieben werden.“ (Knirsch 2001: 84). Die zuvor bereits skizzierte Grenzziehung zwischen Entdeckung und Erfindung wird aufgehoben, so dass laut europäischer Richtlinie natürlich vorkommende Gene mit ihrer Isolation als Erfindung angesehen und damit patentfähig werden.

Entwicklungsländer haben in dem Streit um die Patentierung das Nachsehen, weil 97 Prozent der Patente Unternehmen aus den Industrieländern gehören und etwa 90Prozent der Patente, die in den Entwicklungs- und Schwellenländern angemeldet werden, Firmen mit Sitz in Industrieländern gehören (Greenpeace 1999: 71). Damit sind sie nicht nur von den Ergebnissen ausgeschlossen, sondern haben auch keinen nennenswerten Einfluss auf FuE und müssen mit Nachteilen für die eigene technologische Entwicklung kämpfen, da Technologieentwicklung teuer wird oder gegen Patentrechte verstößt. Neben den bereits aufgeführten Problembereichen stellt Liebig unterschiedliche Effekte und wahrscheinliche Konsequenzen, je nach Ausgangssituation der Entwicklungsländer und der Art des Technologietransfers, dar (Liebig 2000: 15f.):

Einfluss auf Investitionen in FuE: Bislang existieren kaum überzeugende empirische Belege für einen positiven    Einfluss schärferer geistiger Eigentumsrechte in Entwicklungsländern auf Investitionen in FuE. Aus theoretischer Sicht ist zu erwarten, dass ökonomisch schwache Länder keinen nennenswerten Einfluss auf die weltweiten Forschungsausgaben und -prioritäten haben. Größere und wirtschaftlich fortgeschrittene Entwicklungsländer könnten hingegen die Forschung in bestimmten Branchen beeinflussen. In den Entwicklungsländern, die bereits über ein Mindestniveau an eigenen FuE-Ausgaben verfügen, dürfte darüber hinaus die heimische Innovationskraft gestärkt werden.

Einfluss auf Importe: Es ist weder aus theoretischer noch empirischer Sicht hinreichend belegt, dass geistige Eigentumsrechte den Import von technologiehaltigen Gütern in Entwicklungsländern fördern.30 Diese Unsicherheit führt dazu, dass für die Bewertung eines Schutzsystems geistiger Eigentumsrechte in der Welthandelsordnung ein klarer Effizienzmaßstab fehlt. Die wissenschaftliche Basis für die Integration des Themas in die WTO ist ungleich schwächer als die theoretische Grundlage für den Abbau von Handelsschranken, wie er durch das GATT angestrebt wird.

Einfluss auf ausländische Direktinvestitionen: Transnationale Konzerne (TNC) besitzen einen Großteil des weltweit verfügbaren technischen Wissens. Über ausländische Direktinvestitionen wird ein Teil davon in Entwicklungsländer transferiert. Aus theoretischer Sicht gewinnen ausländische Direktinvestitionen gegenüber Exporten für einen TNC an Attraktivität, wenn das geis­ tige Eigentum besser geschützt wird. Davon gehen tendenziell positive Wirkungen auf den Wissenserwerb in Entwicklungsländern aus. Allerdings kommt das aufgrund der besseren komplementären Rahmenbedingungen in erster Linie fortgeschrittenen Entwicklungsländern zugute.

Einfluss auf Lizenzproduktion: TNC können ihr technisches Wissen auch direkt vermarkten, indem sie ausländischen Unternehmern eine Lizenz zur Nutzung des Wissens verkaufen. Stärkere geistige Eigentumsrechte erleichtern diesen Wissenstransfer, weil der TNC weniger darauf angewiesen ist, sein Wissen durch unternehmensinterne Produktion zu schützen. Im Prinzip stellt dieser Kanal vor allem für fortgeschrittene Entwicklungsländer eine günstige Gelegenheit dar, technologische Aufholprozesse zu beschleunigen. Allerdings hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass über Lizenzverträge eher ältere Technologien vermarktet werden.

Einfluss auf Learning-by-Doing: Lernprozesse in Imitationsbranchen bilden ein wichtiges Element zum Aufbau technologischer Kompetenz in Entwicklungsländern. Gerade in den am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs) stellen sie häufig die beste Möglichkeit dar, um technologisch aufzuholen. Dies gilt besonders für Unternehmen, die bestehendes Wissen kostenlos zur Erstellung eigener Produkte entschlüsseln und weiterverwenden (reverse engineering). Imitation wird durch eine Stärkung geis­ tiger Eigentumsrechte erschwert. Insofern wird der Wissens­ erwerb negativ beeinflusst. Allerdings gilt das in erster Linie für LDCs, in denen die Imitationsbranchen häufig durch Importe verdrängt werden. In fortgeschrittenen Entwicklungsländern dürften zahlreiche Imitationsbetriebe durch ausländische Direktinvestitionen oder Lizenzproduktion ersetzt werden,31 was sich per Saldo positiv auf die inländischen Lernprozesse auswirken kann. Daneben kritisieren die Entwicklungs- und Schwellenländer insbesondere die zu kurzen Übergangsfristen und die Nicht-Einhaltung der Verpflichtungen der Industrieländer zum Technologietransfer.

Die Privatisierung von Wissen wird neben der Patentierungsoffensive durch Reformulierung des Urheberrechts und die Absicherung von Verwertungsansprüchen durch technische Verfahren, wie auch die Fachinformationspolitik ergänzt.



30 Maskus, Penubarty (1995), Smith (1999) und Fink, Primo Braga (1999) finden trotz der theoretischen Ambivalenz empirische Hinweise dafür, dass schärferer Eigentumsschutz insbesondere in größeren Entwicklungsländern zu steigenden Importen führt. Allerdings verflüchtigt sich dieser Zusammenhang, wenn die empirische Schätzung auf den Handel mit Hochtechnologieprodukten beschränkt wird, in denen das meiste Wissen inkorporiert ist. Vgl. auch Fink (2000: 80).

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31 Vgl. hierzu UNCTAD (1996: 16) und Primo Braga (1990: 77f.)

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