*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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5.4.1.2    Internationalisierung von Hochschulen

Des Weiteren sind Hochschulen in diesem Zusammenhang von besonderem Interesse, weil sie selbst mehr als andere Teile des Bildungssystems einem Globalisierungsdruck und verschärftem Wettbewerb ausgesetzt sind. Bei einer Gesamtschau der wahrgenommenen Wettbewerbssituation im Bereich der Hochschulbildung gelten weltweit in erster Linie und mit großem Abstand    die Vereinigten Staaten von Amerika als das „Mekka der Bildungswilligen“. Für Süd­ ostasien beginnt Australien mehr und mehr eine ähnliche Rolle als regionales Zentrum einzunehmen. Aus kontinentaleuropäischer Sicht sind es vor allem wiederum die Vereinigten Staaten und Großbritannien, denen die höchs­ te Attraktivität beigemessen wird. Eine gewisse Wettbewerbsstärke ist noch in den skandinavischen Ländern und in den Niederlanden festzustellen.

Diese Aussagen sind durch aktuelle Wanderungsbewegungen von Jugendlichen aus den hochschulpolitisch weniger wettbewerbsfähigen Regionen gestützt. Das lässt sich eindrucksvoll, neben vielen anderen Statistiken, mit der Tatsache illustrieren, dass 50 Prozent der Studierenden, die einen Doktorgrad anstreben (PhD Students), in den USA heute nicht Bürger und Bürgerinnen dieses Landes sind. Die Attraktion wird vor allem von Natur-, Ingenieur- und medizinischen Wissenschaften ausgeübt. Sie wird, gerade am Bildungsstandort Deutschland, reflektiert durch immer stärkere Anfragen von Jugendlichen und ihren Eltern aus der oberen Mittelschicht und dem Bildungsbürgertum nach den Bedingungen eines Studiums vor allem in den USA, aber auch in Großbritannien. Die generelle Veränderung, die sich hier niederschlägt, ist in dreifacher Hinsicht zu sehen. Erstens wird angenommen, dass die Chancen in zunehmend globalisierten Arbeitsmärkten für die gehobenen und interessanteren Positionen noch mehr als zuvor von der Qualität der Ausbildung abhingen, dass zweitens eine solche Qualität am Hochschulstandort Deutschland nicht geboten werden könne, sondern hier ein Ausweichen in die besseren und höher reputierlichen Top 20 bis 30 US-amerikanischen Universitäten erforderlich sei. Darüber hinaus wird als wohl weitgehendste Veränderung die Bereitschaft zunehmen, ein volles Studium und nicht nur ein Auslandssemester zu finanzieren, d. h. beim Thema Bildung in Inves­ titionskategorien zu denken, die pro Studium gut und gerne über 100000 bis 200000 Euro gehen.

Allerdings ist die Zahl der Jugendlichen, die diesen Weg einschlagen, und ihrer Familien, die in der Lage und bereit sind, diese Finanzierungsmittel aufzubringen, immer noch, gemessen an der Gesamtzahl der Studierenden am Hochschulstandort Deutschland, recht klein. Sie nimmt jedoch zu und dürfte bei einem weiteren Ausei­ nanderklaffen der Wettbewerbsfähigkeitsschere weiter deutlich zunehmen. Bei der augenblicklichen Situation muss diese Entwicklung als Indikator dafür angesehen werden, dass gerade die bildungspolitisch sensiblen und gut informierten Bevölkerungskreise den Hochschulstandort Deutschland als weniger attraktiv einschätzen als die besten 20 bis 30 US-amerikanischen Universitäten. Insofern kann diese Entwicklung als Frühwarnindikator für breitere Tendenzen gelten, die, besonders wenn sie durch mangelnde finanzielle Möglichkeiten eingeschränkt werden, sich in politischer Unzufriedenheit mit dem deutschen Bildungssystem niederschlagen können. Darüber hinaus kann sich je nach Ausgang der GATS-Verhand­ lungen in Bezug auf die Liberalisierung von Bildung diese Entwicklung schnell dynamisieren (siehe Ka­ pitel3.3.3.4.1).

Die Verschiebung spiegelt sich auch in einer sinkenden Attraktivität des Hochschulstandortes Deutschland wider: Die Zahl der ausländischen Studierenden, vor allem solcher aus wissensintensiven Volkswirtschaften, ist in den letzten Jahren zurückgegangen. Programme wie Sokrates und Erasmus konnten hier nur geringe Kompensation bieten und blieben auf Europa beschränkt. Die Nachteile liegen auf der Hand: geringe Vertrautheit zukünftiger ausländischer Eliten mit Deutschland, seinen Institutionen und seiner Kultur; weniger „Botschafter“ deutscher Kultur und Technologien und weniger Rückkopplung aus der Praxiserfahrung ehemaliger Studierender in die deutsche Hochschul- und Forschungslandschaft sowie unzureichende Rahmenbedingungen für ausländische Studierende.

Generell ist zu begrüßen, wenn Jugendliche im Ausland Qualifikationen erwerben. Genauso zu begrüßen wäre, wenn in ähnlichem Umfang Studierende anderer Länder nach Deutschland kämen und ihre Qualifikationen hier erwürben. Diese Art der Internationalisierung und Globalisierung der Ausbildung wäre wünschenswert und dringend zu fördern. Solche Maßnahmen sind nicht nur nach ökonomischen Maßstäben sinnvoll. Sie sollen zum gegenseitigen Austausch von Kultur und Wissen beitragen, in allen Ländern eine möglichst breite Zielgruppe von Studierenden aus allen Bevölkerungsschichten einbeziehen und sich vor allem an Entwicklungs- und Schwellenländer richten. Auch diese Aspekte der Internationalisierung von Hochschulen und die hierzu notwendigen Reformschritte sollten in einer möglicherweise neu einzusetzenden Enquete-Kommission weiter evaluiert werden.




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