*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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6.2.1.2    Zugang zur Erwerbstätigkeit9

Bei dem Zugang zu Erwerbstätigkeit zeigen sich ebenfalls die widersprüchlichen Tendenzen einer Modernisierung von Ungleichheit. Die Erwerbsintegration von Frauen ist in einigen Regionen (z. B. den USA, Westeuropa und La­ teinamerika) rasch angestiegen, jedoch treten neue Formen von Marginalisierung und Ausschluss u.a. durch die  Globali­ sierung zutage.

Die Muster der weiblichen Erwerbsintegration in den letzten 20 Jahren – parallel zur Globalisierung – sind regional sehr unterschiedlich. In Nordamerika und Westeuropa sind die weiblichen Erwerbsquoten auf 50 Prozent oder mehr ange­ wach­ ­ sen, in Latein­ amerika stiegen sie auf ca. 40–50 Prozent. Das erste Muster ist also eine rasch zunehmende Erwerbsintegration von Frauen, auch Müttern während der Kinderbetreuungsphase (UN 2000: 110–2). Das zweite Muster bildet ein leichter Anstieg oder Kontinuität bei einer hohen Frau­ en­ er­ werbstätigkeit, die auf vorige Modernisierungsphasen zurückgeht. In Osteuropa blieb die weibliche Erwerbsquote weiterhin hoch. In Ostasien lag sie bereits um 1980 bei knapp unter 60 Prozent und wuchs nun leicht. Im subsaharischen Afrika außer Südafri­ ka beträgt die Quote entsprechend der herkömmlichen Geschlechterrollen 64 Prozent (1997). Auch hier sind Mütter während der Kinderbetreuung erwerbstätig (UN 2000: 110–2). Das dritte Muster bildet die langsame Erwerbsintegration von Frauen in Nordafrika (29%) und Westasien (33%) (für 1997, UN 2000: 110-112). Zur Erklärung wird häufig auf kulturelle Vor­ be­ halte gegen geschlech­ ter­ gemischte Arbeitszusammenhänge verwiesen. Doch ist die Segregation nach Geschlecht in verschiedenen Sektoren des Arbeitsmarktes oft eng verwoben mit der informellen Natur der Beschäftigungsverhältnisse (vgl. Kapitel 4.9.1).10In modernen und qualifizierten Berufen zeigen sich einerseits Trends zur Geschlechtertrennung, so dass z. B. Ärztinnen Frauen behandeln und damit ihre Chancen eben auf der Segregation beruhen. Andererseits aber wird laut empirischen Untersuchungen Berufsarbeit von Frauen in geschlechtergemischten Arbeitskontexten zunehmend akzeptiert, wenn die Berufe ein hohes Prestige haben (wie z. B. bei Lehrern und Lehrerinnen) und die Arbeitsbeziehungen durch Arbeitsverträge und geregelte Einkommen formal geregelt sind (s. Kröhnert-Othman 2000). Die – langsame – Berufsintegration vollzieht sich also in Kontexten von gemischten und segregierten Arbeitsplätzen. Die berufliche Segregation ist in Ostasien am geringsten11 und im Nahen Osten und Nordafrika am höchsten. Die OECD Länder und Osteuropa liegen im Mittelfeld (Anker 1998: 175).

Wirtschaftliche Führungspositionen haben als Entscheidungspositionen in der Globa­ lisierung strategische Bedeutung. Doch hat das Management in Ländern der OECD (mit Aus­ nahmen), im Nahen Osten, in Asien und in den Entwicklungsländern einen Män­ ner­ anteil von mehr als 80 Prozent. Nur in fünf OECD Ländern liegt dieser darunter, in Ka­ na­ da und den USA immerhin bei unter 60 Prozent (Anker 1998: 263, 268f.). Aber auch die Vorarbeiter/Meis- ter (production supervisors/general foremen), d.h. die Füh­ rungs­ ­ grup­ pen vor Ort in der Produktion, sind „Mann­ schaften“ mit einem durch­ schnitt­ lichen Männeranteil von mindestens 90 Prozent. Nur bei sechs Ländern (von 54) liegt der Anteil unter 90 Prozent; sie verfügen jeweils über eine beträchtliche exportorientierte Tex­ tilindustrie mit vielen Arbeiterinnen (Anker 1998: 263, 274ff.).

Linda McDowell (1997) analysiert in ihrer Studie über die Finanzhochburg London, dass als ein Ergebnis des expandierenden internationalen Dienstleistungssektors es jungen, gut ausgebildeten Frauen gelungen ist, in die mittleren und oberen Ränge der Wirtschafts- und Finanzwelt der „global cities“ einzudringen; allerdings mit der Einschränkung, dass ungeachtet der wachsenden Zahl von Frauen in Topmanagementpositionen im globalen Wirtschaftssys­ tem und internationalen Beziehungen, diese Welten nach wie vor als „männlich“ bezeichnet werden können.

Frauen arbeiten international zunehmend in der Lohnarbeit, aber dies wird nicht durch Ver­ änderungen in der unbezahlten Arbeit aufgefangen. Dabei zeigen Wirtschaft, Bil­ dungs­ system und Politik eine „strukturelle Rücksichtslosigkeit“ gegenüber den Leistungen von Familie und Frauen, da zeitlich keine Rücksicht auf sie genommen wird und sie oft nicht honoriert und anerkannt werden.

Auf die besondere Bedeutung, dass das grundlegende Humanvermögen der Gesellschaft durch die Versorgungsarbeit von Familien, vor­ nehm­ lich von Frauen, produ­ ziert wird, verweist auch der 1994 vorgelegte fünfte Fami­ lienbericht der Sachverständigenkommission des Familienmini­ ste­ riums. Unter Humanvermögen werden Daseins- und Fachkompetenz verstanden, d. h. die Befä­ higung zur Lösung qualifizierter gesellschaftlicher Auf­ gaben in einer arbeitsteiligen Wirtschaft. Die Leistungen der Familie beim Aufbau des volkswirt­ schaft­ lichen Humanvermögens werden für die alte Bundesre­ publik für 1990 auf 15,286 Billionen angesetzt, wohin­ gegen das gesamte Sachver­ mögen 1990 auf ca. 6,9 Billionen bezif­ fert wird. Familienarbeit ist also nicht wertlos, sondern so wertvoll, dass sie als unbezahlbar angesehen wird. Ferner sind Frauen häufiger in unbezahlter oder informeller Beschäftigung tätig. Frauen sind in vielen Teilen der Welt vorrangig für die Ernährung und Versorgung ihrer Kinder verantwortlich, und sie haben die alltägliche ‚Ernährer­ rolle’.    Bei Alleinerziehenden spitzt sich die Zeitfalle zu. Frauen arbeiten durchschnittlich sehr viel länger als Männer, zählt man die bezahlte und die unbezahlte Arbeit zusammen (Weltbank 2001a: 66).

Deswegen wirkt sich der Um- oder Rückbau des Wohlfahrtsstaats oder der sozialen Dienstleistungen gerade auf Frauen dramatisch aus. Die IWF-Forderungen zur Kürzung „unproduktiver Sozialberei­ che“ in Kinderversorgung, Schulen oder dem Gesundheits­ wesen haben in den Entwicklungsländern Frauen in den Armenschichten, die die Mehrheit bilden, hart getroffen (Lenz 2002).



9 Dieses Kapitel beruhtauf einem Gutachten von Lenz (2002).

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10 Segegriert sind Berufe, in denen mindestens 80 Prozent eines Geschlechts vertreten sind.

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11 In Ostasien ist die horizontale Geschlechterdisparität, d. h. Rangstufen innerhalb eines Berufs, stärker ausgeprägt als berufliche vertikale Segregation.

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