*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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7.2.2.2    Produktionsmöglichkeiten

Neben dem Zugang zu Land und den in 7.2.2.1 genannten Agrarstruktur- und -verfassungselementen spielt die Frage der verfügbaren Technologie eine herausragende Rolle. Sie ist eng verknüpft mit dem Stand und der Ausrichtung der Agrarforschung, dem verfügbaren Wissen vor Ort und den Investitionen in Bildung und Ausbildung der Landwirtinnen und Landwirte. In diesem Sinne ist die Förderung der menschlichen Ressourcen essentiell zur Verbesserung der Ernährungslage (von Braun u. a. 1998: 216).

Die von Brot für die Welt und Greenpeace veröffentlichte Studie „Ernährung sichern“ (Brot für die Welt, Greenpeace 2001) setzt sich aus der Perspektive des Südens mit nachhaltiger Landwirtschaft auseinander. Zugrunde liegen die Forschungsergebnisse der britischen Agrarexperten Jules Pretty und Rachel Hine, die in ihrem „SAFE-World-Report“ (Pretty, Hine 2001) anhand von ca. 200 Beispielen aus 52 Ländern belegen, dass die nachhaltig standortgerechte Landwirtschaft einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Ernährungssituation im ländlichen Raum leisten kann. Neben agrartechnischen Aspekten belegt die Studie die enorme Bedeutung des traditionellen Wissens der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern. Die dargestellten Produktivitätssteigerungen wären ohne partizipatorische Ansätze und ohne die Berücksichtigung des Gender­ aspektes sicherlich nicht zu realisieren gewesen. Noch ist die ökologisch bewirtschaftete landwirtschaftliche Nutzfläche insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern relativ gering (mit Ausnahme von Argentinien < 1%). Tabelle 7-1können Angaben für Lateinamerika, Afrika und Asien entnommen werden.

Ein besonderes Augenmerk muss auf jene Agrar­ standorte gelegt werden, die u. a. geprägt sind von hohem Energieeinsatz, Monokulturen und dem Verlust von Agrobiodiversität. Großflächige kapitalintensive landwirtschaftliche Strukturen und nachhaltiges landwirtschaftliches Wirtschaften unter Berücksichtigung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aspekten müssen kein Widerspruch sein. Allerdings bedarf es der entsprechenden politischen Weichenstellungen. „Nachhaltige Landwirtschaft“12 muss sowohl den Bedürfnissen der Bevölkerung als auch den natürlichen, ökologischen Bedingungen in einer bestimmten Region gerecht werden, die ja häufig in ihren Zielen, nämlich Erhalt natürlicher Ressourcen, gleich sind. Ihr Ziel ist ein opti    maler Ertrag landwirtschaftlicher Erzeugnisse, ohne dass zerstörerische Auswirkungen auf die Umwelt einhergehen. Priorität genießen die Nutzung und Erweiterung lokaler Ressourcen in der Region wie zum Beispiel Arbeitskraft, Wasser, Nährstoffe, vor der Abhängigkeit von Betriebsmitteln. Das schließt den Gebrauch technischer und synthetischer Mittel nicht aus, hält aber ihren Einsatz so gering wie möglich, um weder die natürliche Umwelt noch die wirtschaftliche und physische Eigenständigkeit der Bevölkerung aufs Spiel zu setzen. Landwirtschaft kann nur dann nachhaltig sein, wenn die sozialen und kulturellen Belange der sie tragenden Menschen als integraler Bestandteil aller Veränderungsprozesse angesehen und deren Entscheidungsbefugnisse nicht angetastet werden“ (epd Entwicklungspolitik 19/1997: d10, s. auch 7-1).

   In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, welche entwicklungspolitischen Auswirkungen die neue deutsche Agrarpolitik erkennen lässt (Grethe 2001). Zu berücksichtigen sind z. B. Effekte einer verringerten Erzeugung von Agrarprodukten, Fragen von Produkt- und Prozessstandards, Änderungen der Marktzugangsbedingungen, eine veränderte Nachfrage nach ökologisch erzeugten Produkten und die Frage der Zertifizierung ökologischer Produktion in Entwicklungsländern.

Der Internationalen Agrarforschung kommt in diesem Zusammenhang eine wichtige Aufgabe zu. Neben unbestreitbaren züchterischen Leistungen in den verschiedenen Agrarforschungszentren und den Erfolgen einer präventiven Hungerbekämpfung seit ihrer Gründung im Jahre 1971 muss die Internationale Agrarforschung ihren Reformprozess mutig vorantreiben und konsequent eine zukunftsfähige Ausrichtung entwickeln, die sich neben der klassischen Züchtung insbesondere mit den sozio­ ökonomischen Rahmenbedingungen der landwirtschaftlichen Produktion beschäftigt. Traditionelles Wissen, Gen­ der­ aspekte, partizipative Forschungsansätze, ver­ stärk­ ter Einsatz regenerativer Energien im Sinne angepasster Technologien, Weiterverarbeitung landwirtschaftlicher Produkte und der weitere Ausbau von Wissensmana­ gementsystemen stehen im Mittelpunkt des Interesses. Diese Forschungsschwerpunkte würden die konsequente Orientierung der Internationalen Agrarforschung an der Bekämpfung der weltweiten Armut unterstreichen.

Biotechnologien und insbesondere die Gentechnik eröffnen der Pflanzenzüchtung neue Wege. Inwieweit die neu gewonnenen Erkenntnisse und deren praktische Umsetzung sich positiv auf die Welternährungslage auswirken, „hängt vor allem davon ab, wie dieses Potenzial eingesetzt und wie mit ihm umgegangen wird“ (Misereor 1999: 2). Während die einen mit der praktischen Anwendung der Gentechnik keine neuen Abhängigkeiten verbinden und mit dem Einsatz krankheits- und schädlingsresistenten Saatgutes ökonomische Vorteile sowohl für große landwirtschaftliche Einheiten als auch für Familienbetriebe prognostizieren (Novartis Deutschland GmbH 1999: 16), befürchten die Kritiker neben bisher unabsehbaren gesundheitlichen und ökologischen Risiken, neue Abhängigkeiten für die Landwirte in den Entwicklungsländern von weltweit agierenden Saatgut- und Biotechnologiekonzernen sowie eine Verdrängung traditioneller und biologischer Landwirtschaft. Misereor (1999: 4) kritisiert, „dass durch die dieser Technik innewohnenden Dynamik das Modell der industrialisierten Landwirtschaft weiter forciert wird mit der Folge, dass sich die Schere zwischen ´arm und reich´ und ´dominant und abhängig´ sowohl in den Ländern des Südens selbst als auch zwischen Nord und Süd weiter öffnen wird“. Tatsache ist, dass die „Grüne Gentechnik“ bisher keinen Beitrag zur Verbesserung der Welternährung leisten konnte.



12 Der Begriff „Nachhaltige Entwicklung“ wird sehr unterschiedlich verwendet (s. z. B. epd Entwicklungspolitik 19/1997: d9).

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Tabelle 7-1

Kasten 7-1