*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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   7.7.1.2    Anreize für einen an Nachhaltigkeit orientierten Konsumstil

Verbraucherverhalten orientiert sich an individuellen Handlungsbereitschaften und Nutzerkalkülen. Ökonomisch betrachtet lässt sich der Nutzen aufteilen in den Grundnutzen eines Produktes und den Zusatznutzen. Der Zusatznutzen beim Kauf eines „nachhaltigen“Produktes ist gegebenenfalls ein Fremdachtungsnutzen und ein Selbstachtungsnutzen, die beide gesteigert werden können.120 Entscheidend für das Verhalten von Individuen – hier Konsumentinnen und Konsumenten – ist ihr soziokulturelles Umfeld, das die individuelle Meinungs- und Präferenzenbildung prägt. Damit ein so genannter Zusatznutzen in Form einer gesteigerten Selbst- bzw. Fremdachtung generiert werden kann, muss das soziokulturelle Umfeld des Verbrauchers den „nachhaltigen“ Konsum positiv einstufen gegenüber dem „nicht nachhaltigen“ Konsum. Auf dieser Ebene muss der Nutzen eines Produktes dem Verbraucher wie dem Produzenten und ihrem Publikum (Fremdachtungsnutzen) erkennbar sein, um zu einer bewusst gesteuerten Verhaltensänderung zu führen, d. h. der größere Nutzen eines nach Nachhaltigkeitsmaßstäben hergestellten Produktes gegenüber einem herkömmlichen muss nicht nur konkret erkennbar gemacht werden, sondern für die Konsumenten und die Öffentlichkeit auch glaubhaft sichtbar sein. Anderenfalls wird ihre Zahlungsbereitschaft für diesen Zusatznutzen nicht ausreichend sein, um einen höheren Kos­ tenaufwand der Anbieter decken zu können, und die Anbieter werden kaum eine Möglichkeit haben, für einen solchen Zusatznutzen ihrer Produkte und Dienstleis­ tungen einen höheren Aufwand zu treiben, wenn er am Markt nicht vergütet wird. Die Informationsbeschaffung der Verbraucher ist für die Durchsetzung von Zusatznutzen für nachhaltige Güter und Dienstleistungen im Markt daher essenziell. Sie sollte auch durch entsprechende an ökologischen, sozialen und ethischen Standards orientierte Offenlegungspflichten für Unternehmen erleichtert werden. Ein aus England in die deutsche Gesetzgebung übernommenes Beispiel ist die Transparenzpflicht für Anbieter der Riester-Rente.121 Ein anderes Beispiel ist die gegenwärtige Debatte um die Einführung einer Deklaration der Umwelteigenschaften der elektrischen Stromerzeugung, die z. B. bereits in etlichen Staaten der USA eingeführt ist und gegenwärtig in der EU eingeführt werden soll. Solche Transparenzinformationen stellen, anders als dies in weiten Bereichen der Wirtschaft noch gesehen wird, kein Wettbewerbshemmnis dar, sondern sind im Gegenteil notwendige Voraussetzung, um höhere als (gesetzliche) Minimalstandards überhaupt im Markt durchsetzen zu können. Ein Gesetz zur Verbraucher­ information122, das u. a. „dem Verbraucher den bewussten Einkauf nach seinen ethischen Wertvorstellungen er­ möglichen“ soll, wurde im Mai 2002 im Bundestag be­ schlossen.

Kaufentscheidungen laufen jedoch nicht rein „rational“ bzw. nutzenorientiert ab, sondern werden stark bestimmt von emotionalen und psychologischen Einflussfaktoren – wie dies die tägliche Flut von Werbemaßnahmen verdeutlicht (symbolische Funktion wie Zugehörigkeit zu sozialer Gruppe, Statussymbol u.a.). Nachhaltige Produkte bzw. eine nachhaltige Lebensweise müssen den Verbraucher also auch emotional ansprechen, um Erfolg haben zu können. Die Förderung nachhaltiger Lebensstile sollte somit bei der Förderung von Handlungsbereitschaften ansetzen und den Verbrauchern Möglichkeiten zum „Erproben“ geben, d. h. es müssen bereits Waren am Markt vorhanden sein. Werbung (über Funk, Fernsehen, Internet, Plakate) hat in diesem Zusammenhang die Funktion, einerseits zu informieren und andererseits Lust zu machen auf das Ausprobieren und Testen eines bereits vorliegenden nachhaltigen Warenangebots.



120 Fremdachtungsnutzen ist dabei der Nutzen, der durch eine besondere Achtung des Individuums durch andere entsteht. Selbstachtungsnutzen ist der Nutzen, der eine höhere Selbstachtung generiert.

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121 Im Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensgesetz AvmG) heißt es in Artikel 6a (Zertifizierungsgesetz) § 1 Ziffer 9: „Der Anbieter muss auch darüber schriftlich informieren, ob und wie er ethische, soziale und ökologische Belange bei der Verwendung der eingezahlten Beiträge berücksichtigt“. Zum ethischen Investment insgesamt siehe auch Empfehlung 2-14.

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122 Entwurf eines Verbraucherinformationsgesetzes (BT-Drs. 14/8738) vom 08.04.02.

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