*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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9.4.1.1    Kairo 1994: Paradigmenwechsel und internationaler Konsens

Mit der Kairoer UN-Konferenz zu Bevölkerung und Entwicklung 1994 wurde ein Paradigmenwechsel eingeläutet: zum einen wurde nach jahrzehntelangem Streit ein weitreichender internationaler Konsens15 zu Weltbevölkerungsentwicklung und diesbezüglicher Politik im Kontext nachhaltiger Entwicklung erreicht. Vor allem aber lös­ te eine von individuellen Bedürfnissen aus­ gehende Sichtweise und diesbezügliche Handlungs­ empfehlungen die zuvor dominierende Auffassung ab, welche Bevölkerungspolitik hauptsächlich als ein Instrument zur kontrollierenden Steuerung „von oben” zum Inhalt hatte. Die alte Sichtweise von Bevölkerungspolitik war einer der wesentlichen Gründe für eine Ablehnung durch Frauen- und Menschenrechtsgruppen gewesen; dieser Grund entfiel mit den Kairoer Beschlüssen weitgehend. Und der Streit, ob „Entwicklung die beste Pille” oder Verhütung notwendige Vorbedingung von Entwicklung sei, wurde in dem Sinne aufgelöst, dass Verbesserung des Zugangs zu Familienplanung weder vor- noch nachrangig, sondern ein notwendiger Bestandteil von anderen Entwicklungsanstrengungen und in diesen zu integrieren sei.

Der Konsens von Kairo ist nachfolgend auf weiteren UN-Konferenzen der neunziger Jahre, insbesondere auf der Weltfrauenkonferenz 1995 (Beijing), in verschiedener Hinsicht bestätigt worden und wurde auf der Kairo-Folgekonferenz 1999 trotz entsprechender Versuche des Vatikan von der internationalen Gemeinschaft nicht mehr infrage gestellt.



15 Zwar waren Vorbereitung und Durchführung auch der Kairoer Konferenz von heftigem Streit geprägt. Dies ging jedoch zum Großteil auf ein den Verlauf stark behinderndes Widerstreben des Vatikan und einiger kleinerer Länder aus; die Vorbehalte des „Heiligen Stuhls“ richteten sich vor allem gegen den Einsatz von Kondomen zur Eindämmung der HIV/AIDS-Pandemie sowie von „künstlichen“ Verhütungsmitteln insgesamt, gegen Sexualaufklärung und von Verhütungsmöglichkeiten für Jugendliche und unverheiratete Menschen sowie gegen eine Anerkenntnis des Menschenrechts auf Familienplanung als Individualrecht. Andere Streitpunkte z. B. zur Bewertung von Migration, zur Gleichstellung der Frau usw. konnten mit den übrigen Konferenzteilnehmern weitestgehend beigelegt werden. Im Übrigen hat aber die internationale Gemeinschaft mit dem Kairoer Abschlussdokument eine Konsensleistung zustande gebracht, die ihresgleichen sucht; und zwar nicht nur zwischen nahezu allen Regierungen weltweit, sondern auch zwischen verschiedenen Gruppierungen der Nichtregierungsorganisationen auf den Feldern der Bevölkerungs-, Frauen-, Umwelt- und sonstigen Entwicklungspolitik, den Akademien der Wissenschaften auf der ganzen Welt und zahlreichen weltweiten Verbänden. Gegen den Kairoer Konsens wurden auch vom Vatikan nur teilweise (siehe oben) sowie, was die Gleichberechtigung von Frauen angeht, von einigen islamisch geprägten Ländern Vorbehalte geltend gemacht.

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