Rede
des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages,
Herrn Dr. Willfried Penner,
vor dem Zentrum Innere Führung in Koblenz
am 15. Juni 2000
Thema: "Das Amt des Wehrbeauftragten im Spiegelbild der Veränderungen für die Bundeswehr"
Anrede
Bei Gelegenheiten wie dieser neigt man dazu, sich der Gliederungsschemata für Besinnungsaufsätze der Oberstufe zu entsinnen und entsprechend zu verfahren und dabei die Zuhörer strapazierender Langeweile zu unterziehen.
Ich will das vermeiden ,nicht nur aus Gründen der Fürsorge Ihnen gegenüber, sondern weil Allgemeinplätze und Schablonen nie meine Sache waren und sein werden. Auch werde ich es mir versagen, Programmatisches zu verkünden oder gar Horizonte zu verheißen; ich werde davon absehen, auch nur die Form einer Regierungserklärung zu wählen. Selbstbeschränkung hat einen einzigen Grund - die Aufgaben und Kompetenzen des Wehrbeauftragten lassen das einfach nicht zu.
Dass damit nicht totale Abstinenz in öffentlichen Angelegenheiten in Sonderheit der Sicherheits- und Bündnispolitik verordnet ist, versteht sich von selbst.
Anrede
Ich will einige Bemerkungen zu meinem Verständnis vom Amt des Wehrbeauftragten machen.
Zuvörderst ,es gibt keine vergleichbare Institution in unserem Staate, die rechtlich so fundamentiert ist. Der Wehrbeauftragte leitet seine Tätigkeit direkt aus der Verfassung ab. Er wird, wie es der Art. 45 b des GG statuiert, vom Bundestag zur Wahrung der Grundrechte und als Hilfsorgan desselben bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle berufen.
Das ist eine sog. institutionelle Garantie für das Amt des Wehrbeauftragten in der Verfassung, die nicht durch nachgeordnetes Recht, auch nicht durch Gesetz, beseitigt werden kann.
Der Bundestag muss also einen Wehrbeauftragten berufen, so lange es diese Verfassungsbestimmung gibt. Und weil diese rechtliche Fundamentierung so massiv ist, wird auch die Bestellung eines Wehrbeauftragten nicht auf die sonst übliche Weise vollzogen.
Der Wehrbeauftragte wird vom Bundestag gewählt und dies in geheimer Abstimmung. Die Wahl ist nur wirksam, wenn der Kandidat oder die Kandidatin mehr als die Hälfte der Stimmen der Mitglieder des Deutschen Bundestages und damit mindestens die sog. Kanzlermehrheit erreicht.
Beides, die Ableitung aus der Verfassung und die Notwendigkeit einer breiten Wahlmehrheit, hat zur Konsequenz, dass der Wehrbeauftragte sich auf eine besondere politische Legitimation stützen kann, die zur Erledigung der gestellten Aufgaben hilfreich, ja unverzichtbar ist, weil die dazu erforderliche, ja notwendige politische Autorität erst ermöglicht wird.
Denn der Wehrbeauftragte ist schon aus Verfassungsgründen ohne Exekutivbefugnisse ausgestattet; aber er ist grundsätzlich auch frei von Weisungen, wenn man einmal von der Möglichkeit der Einzelbeauftragung absieht.
Er ist für die Erledigung seiner Aufgaben auf die Autorität des Amtes und der eigenen Person angewiesen.
Bekanntlich kann jeder zum Wehrbeauftragten gewählt werden, der das Wahlrecht zum Bundestag besitzt und das 35. Lebensjahr vollendet hat.
Und ansonsten? Der Gesetzgeber lässt den Mitgliedern des Bundestages bei der Wahl freie Hand; warum auch nicht, man braucht ja nicht alles gesetzlich zu dekretieren. Der gesunde Menschenverstand kann bei der Wahlentscheidung tauglicher und zureichender Ratgeber sein.
Allerdings bin ich der Überzeugung, dass eine politisch-parlamentarische Erfahrung für den Wehrbeauftragten nicht nachteilig ist.
Der Wehrbeauftragte "sei stoßdämpfendes Kugelglied, das zwischen zwei Machtblöcke eingefügt ist, um sie in einer elastischeren und besseren Weise sowohl zu verbinden als auch in einer gewissen Weise voneinander zu trennen", so hat es der ebenso brillante wie sprachgewaltige SPD-Bundestagsabgeordnete Adolf Arndt 1956 formuliert.
Offen gesagt : Das wirkt auf mich ein bisschen gestelzt und ist mir zu sehr auf juristische Deutungskunst angelegt.
Für einen Juristen höchst schmeichelhaft ist die Bemerkung des namhaften CSU-Abgeordneten und nachmaligen Justizministers Dr. Richard Jäger, nach der der Wehrbeauftragte der Kronanwalt des Parlaments und der deutschen Soldaten sei."
Am Besten gefällt mir die Interpretation des Verfassungsrechtlers Prof. Lerche : "Der Wehrbeauftragte soll mehr als ein farbloser Mittler sein : Ein gemessener und bedachter, notfalls auch entschiedener Wächter", so hat er das im Jahre 1960 formuliert.
Und wenn der Wehrbeauftragte dabei, wie es der bedeutende Verteidigungspolitiker Fritz Erler postuliert hat, "alles, was die Bundeswehr angeht, sehen, riechen, hören, schmecken soll", so ist das eine Deutung, mit der ich einiges anfangen kann und die auch für meine Amtsführung Orientierung werden kann.
Anrede
Allerdings ist die Tätigkeit des Wehrbeauftragten nicht bloß auf den Brief- oder Kummerkasten der Bundeswehr und seiner Soldaten fixiert, die Zielaufgabe bleibt die Wahrung der Grundrechte der Soldaten und der Inneren Führung unter den besonderen Bedingungen der Armee.
Diesem Verständnis gemäß will ich mich mit alledem, was ich habe und bin, einbringen und meine Pflicht tun.
Dabei ist für mich noch von Gewicht : Der Wehrbeauftragte leistet wie Bundesminister und Bundeskanzler den Amtseid nach Art. 56 GG im Plenum des Deutschen Bundestages; auch ich habe das am 11. Mai diesen Jahres getan. Und weil das Gelöbnis und der Eid für die Soldaten ihre besondere Bewandtnis haben, strahlt das auch auf den Eid des Wehrbeauftragten aus.
Ich weiß das sehr genau und ich will mir Mühe geben, dem zu entsprechen und Verfassung und Recht mit schützen zu helfen.
Konkret und handfest formuliert heißt das für mich : Ich will mich kümmern; ich will da sein für diejenigen, zu deren Obhut ich berufen bin. Ich werde wie bisher im Telefonbuch mit Namen und Adresse stehen.
Allerdings : Nicht jede Bitte und noch so gut begründete Anregung ist erfüllbar, und das sage ich auch offen und unmissverständlich.
Und : Der Wehrbeauftragte ist nicht der Neben-, Über- oder Unterverteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland, und schon gar nicht hat er die Kompetenzen des Parlaments.
Geradeheraus : Die politischen Entscheidungen über die Zukunft der Bundeswehr treffen und verantworten Bundesregierung und Parlament. In diesem vorgegebenen Rahmen hat der Wehrbeauftragte mit Anregungen und Bemerkungen und Sachwalterfunktion seinen Platz; und weil die Institution des Wehrbeauftragten so beispiellos fest politisch und rechtlich verankert ist - wie kaum eine zweite staatliche Institution -, hat er auch den selbstverständlichen Anspruch darauf, gehört und beachtet zu werden.
Der Wehrbeauftragte muss wissen, was in der Bundeswehr geschieht, das ist unverzichtbar für seine Arbeit. Seine Informationsmöglichkeiten sind umfassend. Sehr wichtig sind dabei Besuche in der Truppe , ob angesagt oder unangemeldet.
Anregungen von Politikern, Institutionen oder normalen Bürgern können ebenso bedeutsam wie Eingaben der Soldaten selbst sein. Hinzu kommt das immer lückenloser werdende Medieninteresse, das natürlich vor der Bundeswehr nicht Halt macht und auch nicht vor der Tätigkeit des Wehrbeauftragten.
Ich werde die Augen offen halten, registrieren und behalten, um den Angelegenheiten der Bundeswehr und ihrer Soldaten Gehör zu verschaffen, beim Parlament, bei der Bundesregierung oder beim Souverän selbst.
Das bedeutet nicht immer, aber auch Herstellung von Öffentlichkeit und die wird heute schon von Gesetzes wegen dem Wehrbeauftragten abgefordert.
Der jährliche Bericht ist nicht für das stille Kämmerlein bestimmt; dessen Erörterung findet auch in der Öffentlichkeit der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages statt, und das zugegebenermaßen konditionierte Rederecht des Wehrbeauftragten vor dem Parlament soll ja auch nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.
Darüber hinaus ist der Wehrbeauftragte nicht gehindert, das Wort in der Öffentlichkeit sonst zu nehmen, soweit das erforderlich erscheint. Nicht ratsam dürfte es allerdings sein, an jeder Ecke sein publizistisches Bedürfnis zu verrichten oder den Ehrgeiz zu entwickeln, integraler Bestandteil der Fun- und Talkgesellschaft zu werden.
Anrede
Befragt, wo denn der Schwerpunkt der Eingaben der Soldaten in meiner bisherigen, sehr kurzen Amtszeit liege, so würde ich antworten, dass er sich in der Beschaffenheit nicht wesentlich von den Eingaben der Bürger aus meiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter unterscheidet.
Mit anderen Worten : Kaum oder gar nichts Grundsätzliches, überwiegend Vorbringen aus dem eigenen Interessensbereich - und dies zumeist sehr genau. Umzugskosten, Reisekosten, Anschlussverwendungen, berufliche Weiterbildung, Besonderheiten beim Balkan-Einsatz, das sind Stichworte, an die ich mich in diesem Zusammenhang erinnern könnte.
Allerdings wäre es verkehrt, daraus den Schluss zu ziehen, die anstehenden Veränderungen für die Bundeswehr, die auch Veränderungen für Soldaten mit sich bringen werden, würden kommentarlos hingenommen. Das würde aller Lebenserfahrung widersprechen und die Reaktionen anderswo beweisen eher das Gegenteil.
Wohlwissend, dass die Entscheidungen der Bundeswehr von anderen, dem Parlament und der Bundesregierung, getroffen werden und nicht etwa von Dritten, möchte der amtierende Wehrbeauftragte in diesem Prozess auf Aspekte aufmerksam machen dürfen, von denen er überzeugt ist, dass sie der Sache der Bundeswehr und seiner Soldaten förderlich sein können und in deren Verfolg er sich kräftemäßig nicht überhebt.
Anrede
zur Sache:
Zunächst ist es überhaupt nicht schlecht, dass öffentlich über die Bundeswehr diskutiert wird. Es geht schließlich um einen Kernbereich staatlicher Politik, der den Souverän, Berufene und weniger Berufene, vermeintliche oder tatsächliche Sachkenner, jedenfalls aber den Aktiv-Bürger des demokratisch verfassten Staates auch herausfordern muss.
Die Diskussion kommt allerdings reichlich spät; seit der Erosion des sowjetischen Machtblocks vor zehn Jahren stehen notwendige Veränderungen ins Haus und damit eine Neubesinnung nach dem tieferen Grund für die Notwendigkeit der Wehrfähigkeit auch der Bundesrepublik Deutschland, die ja nicht, wie bis dato, mit einer aktuellen Bedrohungslage belegt werden kann, sondern sich auf mehr oder minder wahrscheinliche Szenarien stützen will. In manchen Beiträgen wird gar die internationale Schwerstkriminalität als Aufgabenfeld des Militärischen ausgemacht, so kann man jedenfalls den Eindruck haben.
Es ist nicht zu bestreiten: Die Debatte über die Zukunft der Bundeswehr verhakt sich in Einzelheiten; das ist bedauerlich. Nicht, dass sie sich in Unwichtigkeiten verlöre; ganz im Gegenteil.
Es gibt keinen bedeutenden Teilaspekt, der nicht gründlich durchleuchtet würde:
Umfang der Bundeswehr, Finanzierung, Privatisierung, Wehrpflichtarmee, Freiwilligenarmee, Ausrüstung, ... usw.
Selbst ein so ausgewiesener Sachkenner wie Admiral Wellershoff verzichtet auf eine grundsätzliche Sicht der Dinge und konzentriert sich auf Einzelheiten. Er beklagt die sechste Reduzierung seit zehn Jahren, setzt sich sehr detailliert mit Finanzierungsfragen auseinander, diskutiert Truppenstärken, Sach- und Personaldefizite, und tut die Vorschläge der Weizsäcker-Kommission als zweifelhaft ab, die im Fall des Falles Bundeswehr und Bundesverteidigungsminister demontierten.
Klar ist allerdings, dass es nach dem Ende des Kalten Krieges eine Art Friedensdividende für den deutschen Steuerzahler gegeben hat, mit direkten Auswirkungen auf den Verteidigungshaushalt.
Machten bis zum Ende der 80er Jahre die Verteidigungsausgaben regelmäßig um die 18 % des jährlichen Gesamthaushaltes aus, sind diese mittlerweile auf ca. 10 %-Anteil gesunken.
Oder anders ausgedrückt : Ging es in früheren Jahren darum, zumindest in die Nähe des bekannten 3 %-Anteils am Bruttosozialprodukt zu kommen, so hat sich dies seit einigen Jahren auf 1,5 % derselben Bezugsgröße eingependelt.
Und das, obwohl Kriseneinsätze hinzugekommen sind, immer neue Aufgabenfelder auch mit Auswirkungen auf die Bundeswehr politisch festgelegt worden sind (man denke nur an die intensive Europäisierung deutscher Sicherheitspolitik ohne Lockerung der Bündnisverpflichtungen im übrigen) wie auch das immer größer werdende Investitionsdefizit mit unübersehbaren Folgen für die Funktionstüchtigkeit der Bundeswehr insgesamt.
All dies und manches andere mehr fordert geradezu grundlegende Reformen heraus.
Ich gestehe offen, dass mir die durchweg beherzte Vorgehensweise der Weizsäcker-Kommission bis auf einen Punkt schon Eindruck gemacht hat.
Es verdient festgehalten zu werden, dass diese Kommission sich nicht aus weltenfernen Schwarmgeistern zusammengesetzt hat, sondern ebenso vielfältigen wie erstklassigen Sachverstand mit drei ehemaligen hochrenommierten Generalen repräsentierte - von der Zusammensetzung der Gäste der Kommission und der Arbeitsgruppen nicht zu schweigen, die in Passagen wie ein "Who is who" der jeweiligen Sachverständigen anmutet.
Die Expertise der Weizsäcker-Kommission ist ein bemerkenswerter Beitrag, der ernstgenommen und berücksichtigt werden muss, ohne sakrosankt zu sein; Entsprechendes gilt auch und nicht zuletzt für die sogenannten Eckwerte für die konzeptionelle und planerische Weiterentwicklung der Streitkräfte des Generalinspekteurs vom 25. April 2000.
Im übrigen ist bemerkenswert, dass sich die sehr heterogen zusammengesetzte Weizsäcker-Runde nicht um das Thema "Finanzen" vorbeigedrückt hat. Im schriftlichen Bericht heißt es dazu unter Ziff. 256:
"Die Bundeswehr bedarf eines verlässlichen, dem Postulat der Stetigkeit genügenden, aufgabengerechten Haushaltsrahmens für den gesamten Zeitraum der Neuausrichtung, also über den von der Mittelfristigen Finanzplanung abgedeckten Zeitrahmen hinaus. Dieser Rahmen dürfte sich in der Größenordnung der derzeitigen Verteidigungsausgaben bewegen. Für den Übergang werden zusätzliche Mittel gebraucht (Anschubfinanzierung). Nur so kann die Reform erfolgreich angegangen werden. Die Verfassungsorgane müssen der Bundeswehr die notwendige Planungssicherheit für den vor ihr liegenden schwierigen Weg geben."
Also wenn Sie mich fragen, dann ist das doch recht handfest, ohne dass damit der Anspruch auf Nichtdiskutierbarkeit verbunden ist.
Anrede
Aus der Sicht des Wehrbeauftragten sind folgende Aspekte über die Zukunft der Bundeswehr besonders zu beachten:
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Die Soldaten in Sonderheit haben Anspruch auf Planungssicherheit. Die unentschiedene Lage darf nicht zum Dauerzustand gerinnen; Zeit genug ist verstrichen. Dem großen Ratschlag muss baldmöglichst die Entscheidung folgen.
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Im Interesse der Soldaten und der Bundeswehr muss die Entscheidung Perspektive haben und nicht bei jedem Windhauch unter den Vorbehalt jederzeitiger Veränderbarkeit geraten. Dazu gehört nicht nur, aber auch eine solide Finanzausstattung - und dies auf Sicht gesehen.
Es geht nicht an, den Soldaten treues Dienen für das Vaterland abzufordern und sie bei der Ausstattung mit Gerät auf die Vergangenheit oder Zukunft zu verweisen, weil die Gegenwart zu trübe ist. Und da wir gerade dabei sind: Die Fürsorgepflicht des Staates gegenüber den Soldaten ist kein vernachlässigenswertes Anhängsel; die Fürsorgepflicht des Staates korrespondiert direkt mit den soldatischen Pflichten. -
Der politische Auftrag der Bundeswehr muss klar sein. Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf; das ist Verfassungsrecht.
Wenn die Verteidigung als Zielzweck auch wegen dramatischer Veränderungen der Sicherheitslage und der Einsicht in Grenzen militärischer Möglichkeiten weniger konkret erscheint und akut ist und ein Aufgabenschwerpunkt der Bundeswehr sich auf die Krisenreaktionsfähigkeit verschiebt, dann muss das klar gesagt werden und ebenso deutliche Konsequenzen haben.
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Wehrpflicht und demokratisch verfasster Staat sind nicht einander bedingende Größen; auch die Freiwilligen-Armee passt durchaus in das demokratische Gefüge.
Nur beides kann man nicht zugleich haben : Diskret den Weg zur freiwilligen Armee weisen und in einem Erinnerungsposten an der Wehrpflicht festhalten.
Das wirkt schlau, ist aber nicht überzeugend. Das ist auch mein wesentlicher Einwand gegen ein Ergebnis der Weizsäcker Bemühungen. Dieser Passus mündet nach meiner Einschätzung in die Verfassungswidrigkeit.Dem Minderheitenvotum des Kommissionsmitglieds Ipsen ist insoweit nichts hinzu zu fügen.
Politisch legitimiert bleibt die Wehrpflicht nur, wenn Wehrgerechtigkeit gewahrt ist. Sollte die Wehrpflicht erhalten bleiben, wozu Regierung und Mehrheit des Parlaments neigen und wofür es gute, allesamt in der Öffentlichkeit ausgebreitete Gründe gibt (nicht zuletzt der Beitrag von Generalinspekteur von Kirchbach gehört dazu), dann hat das auch rechtliche und politische Konsequenzen. Die angestammte Legitimation für die Wehrpflicht wurzelt in der Fähigkeit zur Landesverteidigung. Schon die Einbeziehung eines anderen Staates in diese Schutzpflicht drängt sich nicht ohne weiteres als Argument für die Wehrpflicht auf. Umso weniger, wenn weder das eine - die Verteidigung des eigenen Landes - noch das andere - die Verteidigung eines Landes eines Bündnispartners - in Rede steht. Es wird nicht geringer Anstrengungen der Edlen bedürfen, das veränderte Aufgabenfeld der Bundeswehr und die Legitimation für die Wehrpflicht miteinander stimmig zu machen.
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Dass Frauen in der Bundeswehr künftig nicht nur im Sanitätswesen und beim Musikkorps Dienst tun können, sondern künftig auch für den Dienst an der Waffe Verwendung finden werden, ist politisch so gut wie entschieden. Das habe ich nicht zu kommentieren.
Soweit das rechtliche Konsequenzen hat, ist handwerklich präzises Arbeiten geboten. Es steht im Ergebnis eine Veränderung mit Auswirkung auf die Verfassung in Rede.Die unkonditionierte Verwendung von Frauen in den Streitkräften halte ich für uneingeschränkt richtig; mit anderen Worten : Mit einer "Aber Ja"- Einstellung lässt sich allemal besser auskommen als mit einer eher defensiv und zaudernd, hinhaltend wirkenden "Ja, Aber"-Haltung.
Anrede
ein Wort noch zum Thema Homosexualität und
Bundeswehr.
Einigermaßen genau erinnere ich mich noch daran, wie ich vor
bald zwanzig Jahren als damaliger Staatssekretär im
Bundesverteidigungsministerium dazu in der Fragestunde des
Deutschen Bundestages öffentlich Rede und Antwort zu stehen
hatte.
Wohl war mir dabei nicht; ich hatte eine nach meiner Überzeugung eher durchwachsene und gewundene Position zu vertreten. Seit dem ist viel Zeit ins Land gegangen und die Einstellung zu geschlechtlichen Vorlieben hat sich gewandelt, ist entspannter geworden.
Die Jüngeren kommen damit ganz lässig oder auch cool,
wie sie das zu bezeichnen pflegen, zu recht. Angesichts dessen
dürften die von mir damals angesprochenen gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen, die seinerzeit eine andere Beurteilungsweise
nicht zuließen, heute so beschaffen sein, dass sie als
Sperrriegel gegen Homosexuelle auch in Führungspositionen
nicht mehr recht taugen.
Es soll ja nicht mit Werbung dafür verbunden sein, aber
Offenheit in dieser Frage müsste schon sein, schon um
möglicher Erpressbarkeit den Boden zu entziehen. Vielleicht
ist die stärkere Berücksichtigung von Frauen für den
Soldatenberuf eine zusätzliche Chance, dieses Thema zu
entkrampfen.
Um nicht missverstanden zu werden : Der Bannstrahl des Strafrechts bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung trifft beide - Hetero- wie Homosexuelle. Der strafrechtliche Schutz gegen sexuelle Übergriffe ist lückenlos und es gibt kein Privileg für die eine oder andere sexuelle Präferenz.
Anrede
Eine Gelegenheit wie diese darf der Wehrbeauftragte nicht verstreichen lassen, ohne sich zum Thema Innere Führung zu äußern. Gerade an diesem Ort verbietet es sich, umfassend Gesagtes zu bekräftigen und zu wiederholen; wo, wenn nicht hier, wird Innere Führung gedacht, praktiziert und gelehrt. Es ist an diesem Ort so etwas wie selbstverständliche Gewissheit, dass Innere Führung das ideologische Integral des demokratischen Rechtsstaates unter den besonderen Bedingungen der Armee, ihrer Führer und Soldaten ist.
Und das sind und bleiben die wesentlichen Elemente:
-
Die uneingeschränkte Kontrolle der Streitkräfte durch das Parlament.
-
Die Einbettung der Streitkräfte in die rechtsstaatliche Ordnung.
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Die Verwirklichung wesentlicher staatlicher und gesellschaftlicher Werte und Normen in den Streitkräften.
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Der Gehorsam gegenüber den Gesetzen bei der Ausübung der Pflichten und bei der Inanspruchnahme der Rechte.
-
Das Leitbild des "Staatsbürgers in Uniform"
50 Jahre nach "Erfindung" der Inneren Führung steht fest:
Ethische Maßstäbe, historisch-politische Bildung, professionelle Ausbildung und zeitgemäße Menschenführung müssen ohne Einschränkung jederzeit die prägenden Merkmale des Staatsbürgers in Uniform bleiben.
Was die Zukunft betrifft: Dazu hat schon einer der Gründerväter der Inneren Führung, General a.D. de Maizière, gesagt:
"Innere Führung ist (...) ein dynamisches Konzept, immer in Entwicklung, nicht in revolutionären Sprüngen, aber in ständiger Evolution. Innere Führung muss "aktuell" sein (...)".
Das ist nach wie vor richtig. Deshalb darf man die Grundsätze der Inneren Führung nicht als statisches System begreifen; sie sind vielmehr ständig in Begriff, sich zu verändern und weiterzuentwickeln, eben weil Politik und Gesellschaft einem ständigen Wandel unterworfen sind; oder, um es mit Adorno zu sagen: "Gesellschaft ist ein Zustand, in dessen Wesen es liegt, ein Prozess zu sein."
Was heißt das konkret?
Der erweiterte Auftrag der Bundeswehr, die Öffnung der Streitkräfte für Frauen, die Bundeswehrstrukturreform, die verstärkte Beachtung von Wirtschaftlichkeitsaspekten als Bestandteil des militärischen Führungsvorgangs und die Entwicklung hin zur Informationsgesellschaft, sind Beispiele politischer und gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen, welche die Bundeswehr als offenes soziales Subsystem erklärtermaßen mit vollziehen soll.
Der soziale Wandel hat zu einem Wandel der Werte geführt, der auch die Soldatenfamilie erfasst und verändert. Familiäre Belange erhalten gegenüber dienstlichen Forderungen ein höheres Gewicht als früher. Das macht die Familie aus militärischer Sicht zunehmend zu einem "Störfaktor". Die Mobilitätsbereitschaft der Soldatenfamilie geht zurück.
Kriterien für die Umzugsbereitschaft sind immer weniger Beförderungs- und Karrieregesichtspunkte als vielmehr "Familienverträglichkeit" und andere soziale Faktoren wie beispielsweise der Erhalt ihrer sozialen Verkehrskreise.
Die klassischen Aufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung sind ergänzt worden um Aufträge im Rahmen völkerrechtlicher Mandate. Sie umfassen u.a. Aufgaben, wie das "Pazifieren", "Schützen", "Helfen" und "Retten", die multinational wahrgenommen werden. Zwar ist Außenpolitik nach wie vor primär Interessenpolitik, der Streitkräfteeinsatz folgt aber vermehrt auch altruistisch-idealistischen Grundmotiven, was auch dazu beigetragen hat, dass die Bundeswehr eine breitere Zustimmung in der Bevölkerung gewonnen hat.
Wenn sich aber Aufträge oder gesamtgesellschaftlichen Umstände ändern, so wird sich auch das Prinzip der Inneren Führung fortentwickeln. Es ist eine Klammer zwischen den Bürgern und den Soldaten.
Die neuen Aufgaben und Werte müssen rückgekoppelt werden zu den Bürgerrechten und -pflichten. Das Parlament wird schließlich auch durch die Soldaten gewählt.
Hier liegen die Herausforderungen einer Diskussion und Weiterentwicklung der Grundsätze der Inneren Führung, die als Konzept der Wirksamkeit freiheitlich demokratischer Vorstellungen von Menschenwürde und Grundrechten auch in den Streitkräften unverzichtbar ist, und an der ich im Rahmen meines gesetzlichen Auftrages gerne mitwirken möchte.
Post dictum:
Es geht nicht, dass der eine Soldat den vollen Sold erhält, und der andere weiterhin nur 86,5 %; schließlich ist die DDR seit zehn Jahren Geschichte.