Rede von Bundestagspräsident Thierse aus Anlaß der Ansprache des Generalsekretärs der Vereinten Nationen Kofi Annan vor dem Plenum des Deutschen Bundestages
Sperrfrist: 28.2.2002, 9.00 Uhr
Es gilt das gesprochene Wort
Anläßlich der Ansprache des UN-Generalsekretärs
Kofi Annan im Plenum des Deutschen Bundestages am 28. Februar 2002
hält Bundestagspräsident Wolfgang Thierse zur
Begrüßung folgende Rede:
„Sie sind der erste Generalsekretär der Vereinten
Nationen, der vor dem Deutschen Bundestag sprechen wird. Ihr Name
ist fast schon Programm. Es verbindet sich mit Ihrem Eintreten
für den Frieden, die Einhaltung der Menschenrechte und die
weltweite Stärkung der Demokratie. Sie werben für einen
unverstellten Dialog der Kulturen und Religionen. Und Sie fordern
eine gerechte Weltwirtschaftsordnung, die nicht nur den reichen,
sondern auch den armen Ländern Chancen eröffnet. Viele
Hoffnungen werden mit Ihnen als Träger des
Friedensnobelpreises 2001 verbunden – natürlich auch im
Deutschen Bundestag. Das verlangt aber auch - von uns wie von den
anderen Mitgliedsstaaten - die Vereinten Nationen in den Stand zu
versetzen, diesen gestiegenen Erwartungen gerecht werden zu
können. Die Welt hat, so formulierten Sie in Ihrer Osloer
Rede, das 21. Jahrhundert durch ein Feuertor betreten, das niemand
von uns jemals zu sehen gewünscht hat. Das terroristische
Fanal des 11. September von New York und Washington machte
endgültig bewusst: wir können diesen Terrorismus weltweit
nur gemeinsam überwinden.
Zugleich aber müssen wir verhindern, dass sich der
menschenverachtende Terrorismus zu einem Krieg der Kulturen und
Religionen ausweitet, den die Terroristen erzwingen möchten.
Sie, Herr Generalsekretär, weisen immer wieder auf die
Notwendigkeit von Augenmaß und politischer Vernunft hin. Die
internationale Koalition, die nach dem 11. September gegen den
Terrorismus geschmiedet wurde, entspricht diesen Kriterien.
Gemeinsames Handeln in Koalitionen verträgt sich
naturgemäß nicht mit Alleingängen. Mandate der
Vereinten Nationen bieten den geeigneten Rahmen, um auch
künftig gegen den internationalen Terrorismus vorzugehen.
Dabei sollte es uns stets um die Vermeidung von Krieg und zugleich
um die Sicherung des Friedens gehen. Der Einsatz von
militärischen Mitteln ist allenfalls eine ultima ratio. Die
Konzentration auf politische Initiativen und Lösungen
entspricht dem Geist der Charta der UN. Ich möchte in diesem
Zusammenhang mit besonderem Respekt an die UN-Friedenstruppen, die
sog. Blauhelme erinnern, die gerade deshalb so erfolgreich agieren,
weil sie ihrem Auftrag und dem Neutralitätsgebot zweifelsfrei
zu entsprechen vermögen.
Das Beispiel Afghanistan zeigt, wie wichtig es ist, nach
Jahrzehnten des Krieges und jahrelanger Herrschaft eines
Terrorregimes nun friedenssichernde Maßnahmen durchzusetzen.
Es bleibt abzuwarten, ob die bisher eingesetzten Mittel ausreichen,
um dauerhaften Frieden und innere Stabilität zu garantieren.
Wir hoffen das gemeinsam. Die Staatengemeinschaft steht in einer
besonderen Verantwortung gegenüber diesem jahrzehntelang
geschundenen Land.
Afghanistan ist jedoch nur ein Beispiel für die weltweite
Aufgabe der Friedenssicherung. Unter Ihrer Führung, Herr
Generalsekretär, richten sich die Vereinten Nationen immer
deutlicher gegen die Kriegstreiber und Diktatoren der Welt. Das
UN-Tribunal in Den Haag signalisiert weltweit, dass die brutale
Verletzung von Menschenrechten, der Einsatz von Gewalt und
Vertreibung als Mittel der Politik von der Staatengemeinschaft
nicht länger geduldet werden. Diktatoren dürfen nicht
siegen – und sie müssen sich für ihre Taten vor den
Institutionen der Völkergemeinschaft verantworten.
Sie, verehrter Herr Generalsekretär, haben immer wieder dazu
aufgerufen, Spiralen der Gewalt zu durchbrechen – gerade im
Nahen Osten. Nach Jahrzehnten der Feindschaft mit zuletzt fast
täglich eskalierender Gewalt müssen endlich Wege aus der
Konfrontation gefunden werden. Gerade wir Deutschen empfinden die
Verantwortung Europas für diese Region, auf die Sie wiederholt
aufmerksam gemacht haben.
Die Beilegung akuter Krisen garantiert allerdings noch keinen
dauerhaften Frieden. Frieden ist undenkbar ohne eine gerechte
Weltwirtschaftsordnung, ohne den erfolgreichen Kampf gegen Hunger,
Krankheiten und alltägliche Not in der Welt. An diese
Dimension jeder internationalen Friedenspolitik haben Sie zuletzt
beim New Yorker Weltwirtschaftsforum eindringlich erinnert. Sie
forderten „Signale der Hoffnung“ für die armen
Länder der Welt durch eine massiv verstärkte
Entwicklungszusammenarbeit. Und Sie haben den Vertretern des
Wirtschaftsliberalismus die Aufgabe ins Stammbuch geschrieben,
nicht nur durch Worte, sondern durch Taten die Auffassung zu
widerlegen, dass die Globalisierung Ursache für Armut und
soziale Ungerechtigkeit in der Welt sei.
Diese Rede hat weltweit viel Zustimmung gefunden. Diesem Beifall
aber müssen alsbald wirtschaftliche und politische
Maßnahmen folgen. Zum Jahrtausendwechsel hatten die Vereinten
Nationen das Ziel formuliert, die Armut in der Welt bis zum Jahr
2015 zu halbieren. Wir werden dieses Anliegen nachdrücklich
unterstützen – nicht zuletzt, weil wir wissen, dass ohne
gemeinsames Engagement gegen Armut, Krankheit, Not und die
Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen immer wieder
gewaltsame Konflikte entstehen werden.
Verehrter Herr Annan, Sie haben bereits in den letzten Jahren hier
in Berlin bedeutende Ansprachen gehalten. Ich erinnere an Ihre
„Berliner Rede“ 1999 zur Rolle Europas in der Welt des
21. Jahrhunderts und an Ihre Ansprache bei der Verleihung der
Ehrendoktorwürde der Freien Universität im Jahr 2001.
Heute werden Sie über die wichtigste Aufgabe überhaupt
reden: die dauerhafte Sicherung des Friedens in der Welt.
Herr Generalsekretär der Vereinten Nationen, wir freuen uns,
dass Sie nun zu uns sprechen werden.“
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