Bundestagspräsident Wolfgang Thierse: Das gute deutsch-französische Verhältnis bewahren!
Zur anhaltenden Diskussion über die französische
Einladung an den Deutschen Bundestag aus Anlass des 40. Jahrestages
des Elysée-Vertrages erklärt der Präsident des
Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse:
"Mit verkürzten und damit verfälschenden Zitaten aus
einem Ältestenratsprotokoll vom 21. Juni 2001 behaupten die
"Bild-Zeitung" und der Parlamentarische Geschäftsführer
der Unionsfraktion Ramsauer , der Ältestenrat habe die
Begegnung beider Parlamente anläßlich des 40.
Jahrestages des Elysée-Vertrages schon früher generell
abgelehnt und für zu teuer gehalten. Aber beide zitieren nur
den ersten Teil des Protokolls und verschweigen bewusst die
Folgepassage:
"Der Präsident erklärt, eventuell könne im
politisch-funktionalen Zusammenhang mit diesem Jahrestag eine
gemeinsame Veranstaltung in Erwägung gezogen werden. Das
Präsidium würde es schließlich begrüßen,
wenn die EU-Ausschüsse beider Parlamente zu Beratungen
zusammentreten, die sich auf die Themen des Europäischen Rates
in Laeken beziehen.
Der Ältestenrat erklärt sich mit dieser Lösung
einverstanden und bittet den Präsidenten, die Auffassung des
Bundestages der französischen Seite entsprechend zu
vermitteln."
Festzuhalten ist also: Befürwortet wurde eine gemeinsame
Ausschusssitzung, die auch vor der Ratssitzung in Laeken im
Dezember 2001 erfolgt ist. Ausdrückliche Zustimmung gab es
dazu, zum Jubiläum des Elysée-Vertrages eine einmalige
Zusammenkunft beider Parlamente in Erwägung zu ziehen. Der
Grund wurde schon in dieser Sitzung offen erörtert: Jenseits
aller logistischer Schwierigkeiten und finanzieller Bedenken ist
das deutsch-französische Verhältnis so grundlegend, ist
das konkrete Ereignis (Elysée-Vertrag) so bedeutsam, dass
eine Ablehnung einer derartigen Einladung der französischen
Nationalversammlung im Namen aller Fraktionen und in Absprache mit
Staatspräsident Chirac außerhalb jeder Erwägung
steht. Die erwähnten Bedenken bezogen sich vor allem darauf,
dass der ursprüngliche französische Vorschlag eine erste
Zusammenkunft bereits Ende 2001 und in der Folge
regelmäßige (jährliche) Zusammenkünfte beider
Gesamtparlamente vorsah.
Grundsätzlich ist zur aktuellen Debatte festzustellen: Es ist
beschämend, auf welch unverantwortliche Weise das
deutsch-französische Verhältnis nachhaltig
beschädigt wird. Die "Bild-Zeitung" operiert mit unbewiesenen
Kosten (500.000 Euro), die schon deshalb jeder Grundlage entbehren,
weil noch keinerlei Entscheidung darüber getroffen wurde,
welche der logistisch denkbaren Varianten der Anreise gewählt
werden wird. Die dadurch bei den Bürgerinnen und Bürgern
erzeugten antiparlamentarischen Effekte ("Paris-Sause") werden
bedauerlicherweise durch Kommentierungen aus der Unionsfraktion
("Größenwahn") noch verstärkt.
Ich fordere die Fraktionsvorsitzende Frau Merkel - nach zwei
vergeblichen brieflichen Versuchen - nunmehr auch öffentlich
auf, diesem Treiben ein Ende zu bereiten und das Verhältnis
ihrer Fraktion zum deutsch- französischen Verhältnis
klarzustellen. Mit dem Elysée-Vertrag haben zwei große
europäische Konservative, Konrad Adenauer und Charles de
Gaulle, der langen Epoche deutsch-französischer Feindschaft
ein Ende bereitet. Dessen würdig zu gedenken sollte eines der
vordringlichsten Anliegen aller Fraktionen des Deutschen
Bundestages sein. Es ist kein vorrangig exekutives, sondern ein
zutiefst parlamentarisches Anliegen.
Eine Ablehnung der französischen Einladung erscheint auch
deshalb völlig abwegig, weil es die CDU/CSU-Fraktion selbst
war, die bereits im Mai 2001 in einem Antrag zur Neubegründung
der deutsch-französischen Beziehungen die Bundesregierung
aufgefordert hatte, "sich für eine gemeinsame Sitzung der
Französischen Nationalversammlung und des Deutschen
Bundestages zur Zukunft der Europäischen Union einzusetzen."
(Drucksache 14/5959) Diese Haltung der Union wurde am 6. Juni 2001
durch ihren Fraktionsvorsitzenden Merz in einer Rede vor drei
Fraktionen der Assemblée nationale auch der
französischen Seite übermittelt.
Die Erörterungen mit meinem französischen Amtskollegen am
25. Oktober waren deshalb auch darauf gerichtet, für diese
Veranstaltung die Verabschiedung einer Deklaration zum Stand des
deutsch-französischen Verhältnisses im Rahmen des
europäischen Einigungsprozesses vorzusehen. Gegenstand der
Deklaration wie der Ansprachen wird das deutsch-französische
Verhältnis wie die Zukunft der Europäischen Union
sein."
Anlage:
Einladung
französischer Parlamentspräsident
Brief an die
Fraktionsvorsitzenden
Kurzprotokoll
der 64. Sitzung des Ältestenrates
Pressemitteilung
6.12.2001 von MdB Dr. Friedbert Pflüger
Presseausschnitt FAZ vom
28.06.2001
Presseausschnitt FAZ vom
06.06.2001
Antrag CDU/CSU Fraktion Drucksachen-Nr.
14/5959
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