Robert B. Fishman
Die leuchtenden Augen von Holon
Israelische Chirurgen retten
palästinensische Kinder
Holon in Israel. Ein palästinensischer
Selbstmordattentäter sprengt sich auf einer Familienfeier in
die Luft. 29 Israelis reißt er mit in den Tod. Keine 50
Kilometer weiter südlich bangt eine palästinensische
Familie um das Leben ihres jüngsten Kindes: Chirurgen des
israelischen Wolfson-Krankenhauses haben das kleine Mädchen
operiert - kostenlos nach ihrer Arbeitszeit in der Klinik. Als die
ersten Verletzten des Anschlags eintreffen, fürchten die
Eltern die Wut der Israelis. Doch nichts passiert. Schwestern und
Ärzte versorgen das frisch operierte Kind wie die anderen
kleinen Patienten auf der Intensivstation.
"Wenn du Leute umbringst, erfahren es alle in den Nachrichten.
Wenn du etwas Gutes tust, hört es kaum jemand", stellt Sion
Houri lakonisch fest und wendet sich wieder seinem Patienten zu.
Der kleine Iyad schläft ruhig - unter einer Decke in den
israelischen Nationalfarben weiss und blau. In seinem Gesicht klebt
ein mächtiges Pflaster.
"Er ist seit zwei Monaten hier", erklärt Dr. Houri, "eine
lebensrettende Nieren- und Herzoperation." Medizinische Routine in
Europa, ein Drama auf Leben und Tod zwischen Tel Aviv und dem
palästinensischen Flüchtlingslager Beit Hanoun bei Gaza.
Fünf Stunden brauchte Mutter Kifah mit ihrem damals sieben
Monate alten Sohn für die kaum 60 Kilometer weite Reise ins
Wolfson-Hospital.
Am einzigen Grenzübergang zwischen dem israelisch besetzten
Gazastreifen und Israel stauen sich Lastwagen und Taxis. Mit der
Maschinenpistole im Anschlag filzen die jungen Soldaten jeden, der
nach Israel will. An den meisten Tagen ist die Grenze für
Palästinenser ganz geschlossen. Niemand weiss, wer einen
Sprengstoffgürtel trägt, um sich und möglichst viele
andere im nächsten Moment in die Luft zu jagen. "Die
Terroristen benutzen auch Krankenwagen, um
Selbstmordattentäter nach Israel zu schmuggeln", behauptet die
israelische Armee. Tatsächlich versuchte sich unlängst
ein Palästinenser an der Grenze in die Luft zu sprengen. In
der Tasche hatte er Papiere für eine Notoperation in Israel.
"Ich bin selbst an die Grenze gefahren, um mit den Soldaten zu
reden", erzählt Dr. Houri. "Wenn es noch länger gedauert
hätte, wäre der kleine Iyad gestorben."
Inzwischen hat der Junge die Notoperation gut überstanden.
Er ist wach geworden und staunt mit seinen großen braunen
Augen über den Rummel an seinem Bett. Journalisten aus
Deutschland machen Fotos. Seine Mutter Kifah streichelt seinen
Kopf. Seit zwei Monaten weicht die 32-Jährige nicht von der
Seite ihres Sohnes. Nachts versucht sie, auf dem Stuhl oder einer
Klappliege neben dem Krankenbett ein wenig zu schlafen. Verwandte
kümmern sich inzwischen zuhause in Beit Hanoun um Iyads sieben
Geschwister. Sie strahlt den Doktor an: "Ich bin so dankbar. Sie
haben Iyad gerettet."
Der große Mann mit den vielen lockeren Sprüchen und
den kräftigen Händen wird für einen Moment ganz
still. "Sehen Sie, warum ich das mache", sagt er leise auf
Englisch. "Ich denke immer an das Lächeln der Mütter -
und natürlich an die Kinder, wenn sie wieder aufblühen
und gesund werden."
Dann erzählt er von dem Mädchen aus Moldawien. Ganz
blau sei sie schon gewesen, mehr tot als lebendig, weil ihr
schwaches Herz den kleinen Körper nicht mit Sauerstoff
versorgen konnte. Zuhause konnte ihr niemand helfen. Kein
Krankenhaus dort hat die Geräte, die man für eine
Operation am offenen Kinderherzen braucht. Für eine Behandlung
im Ausland fehlte den Eltern das Geld. Schließlich nahmen sie
all ihren Mut zusammen und schickten die Kleine zu Save a Child's
Heart nach Israel.
Einige Wochen nach der Operation ist das Mädchen wieder
putzmunter, tanzt gern, lacht und singt. Im Kinderhaus des Vereins
Save a Child's Heart, wo sich die Kinder, betreut von Freiwilligen,
nach der Operation erholen, hat sie sogar ein wenig Hebräisch
gelernt. Zum Abschied zeichnete die Kleine ein Kind mit einem
großen Herz in die Hand eines Erwachsenen. "Ich hatte einen
Traum", erklärte sie später einer Betreuerin. "Es waren
viele Farben über meinem Bett. Und dann kam eine ganz
große Hand. Sie nahm mich, und wir flogen in ein weit
entferntes Land. Dort gaben sie mir ein neues Herz, und ich konnte
wieder laufen und tanzen." Heute ziert die Zeichnung alle Briefe,
Visitenkarten und die Internetseite von Save a Child's Heart.
Seit 1995 organisiert der Verein am Wolfson-Krankenhaus im Tel
Aviver Vorort Holon kostenlose Herzoperationen für Kinder aus
armen Ländern: Aus den palästinensischen Gebieten,
Eritrea, Äthiopien, Tansania oder Moldawien: Rund 1200
Operationen in neun Jahren, davon ein Drittel an schwerkranken
Kindern aus Palästina.
Mitten im Krieg zwischen den jüdischen Siedlern, der
israelischen Armee und den Palästinensern im israelisch
besetzten Westjordanland kam die vierjährige Ala Abo Asab aus
dem arabischen Westbankdorf Balata mit einem schweren, angeborenen
Herzfehler ins Wolfson-Krankenhaus. Elena, eine Siedlerin, hatte
ihr den Platz im Save a Child's Heart Programm besorgt. Sie brachte
sie persönlich in die Klinik und wieder nach Hause. Alas
Eltern durften nicht über die Grenze nach Israel.
"Das ist wie eine Sucht, irgendwann bist Du völlig
abhängig von diesem Projekt", gesteht Sion Houri lachend.
Zwölf bis 14 Stunden arbeiten die Kinderchirurgen
täglich. Neben ihrer regulären Arbeitszeit in der Klinik
operieren sie unbezahlt für Save a Child's Heart. "Als mich
der Gründer Ami Cohen vor ein paar Jahren fragte, ob ich
mitmache, habe ich die Idee für verrückt gehalten". Wer
soll für die Kosten aufkommen, war Houris naheliegende Frage.
7.000 US-Dollar zahlt der Verein für jede Operation an das
Krankenhaus. "Das ist der Selbstkostenpreis der Klinik". Dazu
kommen der Flug, die Nachsorge im Hospital und im Kinderhaus.
Inzwischen bitten Houri und seine Kollegen "jeden, außer
der Mafia" um Spenden. Allein im Gazastreifen warten rund 600
Kinder auf eine lebensrettende Herzoperation.
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