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Lydia Harder
Trauerklöße im Lachkoma
Erster Politischer Aschermittwoch im
Bundestag
Werte Abgeordnete, verzeihen sie uns die Leidenschaft, wir
hätten ihnen die ihre auch gern verziehen!" Fünf
große Kabarettisten zogen zum ersten Politischen
Aschermittwoch in den Bundestag, um "ordentlich drauf zu hau'n" und
den größten Büßer öffentlich an den
Pranger zu stellen. Volker Pispers, Georg Schramm, Hagen Rether und
das Duo Rainer Pause und Norbert Alich entlarvten Politiker, zogen
Reformen durch den Kakao und führten deutsche Politik ad
absurdum. Schließlich sei es allerhöchste Zeit, nachdem
die gesamte Mischpoke nach Berlin gezogen sei, auch den
Aschermittwoch in die Hauptstadt zu exportieren. "Ohne Buße
kann man doch nicht feiern!"
Im Paul-Löbe-Haus - "Hier sieht man also, wohin unsere
Steuergelder fließen" - schritt der erste "Sautreiber" zur
Tat. Der Rheinländer Volker Pispers, der seit seinem ersten
Solo-Programm 1983 "Kabarette sich, wer kann" kein Auge mehr
trocken lässt, zeigte sich mitfühlend gegenüber den
mittellosen Abgeordneten. Auf Nebenjobs seien diese angewiesen.
Allein der VW-Konzern habe mehr Abgeordnete als die PDS. Da brauche
man sich nicht zu wundern, dass sie bei RWE um billigen Strom
betteln.
Stellenstreicher-Ackermann, Absteige-Welteke, der
Rechnungs-Fauxpas Hartz IV, Investmentbänker, die "anderer
Leute Geld Gassi führen" - nichts und niemand blieb vor
Pispers trockenen Witzen verschont.
Die Nebentätigkeiten der Abgeordneten blieben während
des Polit-Kabaretts Zielscheibe Nummer Eins. Das Bonner Duo Pause
und Alich alias Fritz und Hermann widmete dem ehemaligen
CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer gleich einen ganzen Song,
und einen praktischen Rat gab es obendrein: "Warum im Ausschuss
schwitzen, bleib doch in der Firma sitzen."
Die fünf Kabarettisten waren sich auch in dem Punkt einig,
dem Aschermittwochsniveau nicht nach unten hin zu folgen. Auch dann
nicht, wenn CSU-Generalsekretär Söder behaupte, in Passau
würden Sachthemen bearbeitet. Dennoch wurde auf
Aschermittwochswitze nicht vollends verzichtet. So durfte über
den bayrischen Ministerpräsidenten Stoiber gelacht werden, der
sich "mit Bierhumpen voller Salbeitee im grammatischen Niemandsland
verirrt".
Georg Schramm, einer der kompromisslosesten Satiriker des
deutschsprachigen Kabaretts, stellte die Frage in den Raum, wo denn
Politik eigentlich gemacht werde. Die finde doch hinter
verschlossenen Türen statt, von denen aus die Fäden der
Hampelmänner im Bundestag gezogen würden. Diese
Marionetten "entleeren dann bei den Klofrauen Illner und
Christiansen ihre Sprechblasen". Ganz zu schweigen von den
"emotionalen Pissrinnen bei Kerner und Beckmann und deren
öffentlich-rechtlichen Bedürfnis-Anstalten", witzelte
Schramm. "Demokratie kann ganz schön nerven!", echauffierte
sich auch Norbert Alich. Bis der letzte seinen Senf dazu gegeben
hat.
Hagen Rether, der sich als Sitzpinkler vorstellt, angereist aus
Essen, dem "Kaff der guten Hoffnung", forderte das Publikum erst
mal zur Schweigeminute für Anke Engelke auf. "Sie hätte
die Fußstapfen von Harald Schmidt ausfüllen
können!", da ist sich Rether sicher. Hätte sie nur mal
mit CDU-Chefin Angela Merkel geredet. Die verstehe einiges vom
Durchhalten. Aber ihre Frisur - "Suche nach einem Spenderhirn oder
doch ein Ablenkungsmanöver zum eigenen politischen
Standpunkt?"
Ohne Zweifel: Der 35-Jährige war der scharfzüngigste
Komiker des Abends. Messerscharfe Ironie, eingewickelt in virtuoses
Klaviergeklimper. Auch optisch ist Rether nichts zu grotesk.
Über dem grauen Anzug trug er eine rote Armbinde mit schwarzem
Signum auf weißem Hintergrund, welches sich erst bei
näherem Hinsehen als Logo des Arbeitsamtes entpuppte. Sein
Statement zur aktuellen gesellschaftspolitischen Lage: "Die Werte
gehen. Schröder bleibt."
Georg Schramm, ein scharfer Wortklauber in Offiziersuniform,
sorgte dafür, dass auch die NPD ihren Platz auf der
kabarettistischen Zielscheibe bekam. Ihr Mitgliederzuwachs sei eine
Herausforderung für die Bundeswehr, so Schramm. Dort
könne man das Gröbste abfangen. Die potenziellen
NPD-Mitglieder hätten viele Möglichkeiten zum
spielerischen Umgang mit Waffen, und einen
Trainingsübungsplatz, wo sie nicht viel kaputt machen
könnten.
Die Verweichlichung der Jugend ("Die müssen den Alkohol mit
Limonade mixen") und die Mitnahmementalität der Deutschen
bekamen ihren Spottanteil, ebenso wie die CIA auf ihrer Suche nach
den "Massenverschwindungswaffen". Wehmütig erinnerten sich die
Kabarettisten an alte Zeiten, als die "Achse des Bösen" noch
Seidenstraße hieß und George Bush als Hardliner galt,
weil man seinen Sohn noch nicht kannte.
Das Warten hat sich gelohnt
Vor allem die rot-grüne Regierung musste einstecken: "Wenn
behauptet wird, etwas sei gut für Deutschland, dann sind nie
die Leute selbst gemeint." Rot-grüne Mentalität zeichne
sich vor allem dadurch aus: "Säuft einer ab, sagt die
Regierung, helfen könne sie nicht, aber sie schüttet
immerhin nicht mehr Wasser drauf!" Volker Pispers erklärte
"Tri Tra Trulla Schmidt" zur "ärmsten Sau" des
Aschermittwochs. "Bevor die Krankenkassenbeiträge sinken,
gewinnen wir eher mit 11:0 die WM 2006", so Pispers. Aber das
hänge ja ganz davon ab, wer pfeift! Überhaupt, die
Fehltritte im Gesundheitswesen, das seien keine schwarzen Schafe,
das sei eine schwarze Herde.
Ganz oben auf der Spottliste stand auch das Thema Tabaksteuer.
Bei den Liedbeiträgen von Pause und Alich, "Wenn ich 'ne Lunge
wär und auch zwei Flügel hätt'" und "Venen
lügen nicht", krümmten sich die Zuschauer vor Lachen.
Die deutsche Bevölkerung, so Rether, das seien "80
Millionen Trauerklöße im Wachkoma". Nicht aber das
Publikum im Löbe-Haus. Die 600 Zuschauer waren eindeutig im
Lachkoma.
Der erste Politische Aschermittwoch im Bundestag: Lange hat es
gedauert, aber das Warten hat sich gelohnt. Gerne möchte
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse den Politischen
Aschermittwoch zu einer Berliner Tradition machen. Schließlich
bleibe einem manchmal nichts anderes übrig, als über die
Frustrationen des politischen Alltags hinweg zu lachen.
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