|
|
Johanna Metz
"... und dann hatte ich endlich wieder eine
Aufgabe"
Der Zivildienstleistende Ronny betreut geistig
behinderte Senioren
Eva sitzt auf ihrem Bett, die Hände auf die
Gehhilfe gestützt, und wartet. Adrett sieht sie aus, mit ihrer
cremefarbenen Bluse und der großen Perlenkette. Das lange
weiße Haar ist ordentlich gekämmt. "Komm ich heute unter
die Dusche?", fragt sie, und es klingt ungeduldig. "Eva mag
Duschen", erklärt der Zivildienstleistende Ronny. "Nich Eva?
Bald biste dran, dauert nich mehr lange." Die 68-jährige
lächelt.
Über Evas Bett hängen knallbunte
Heiligenbilder, daneben ein Schwarz-Weiß-Kalender mit
Männerakten. Stolz zeigt sie auf die weißen
Schränkchen und Kommoden, die in ihrem Zimmer stehen.
"Weiß ist schön und so hell", sagt sie, und für
einen Augenblick fragt man sich, was die Frau hier macht, in diesem
Wohnheim für schwer geistig Behinderte in der Oranienburger
Straße in Berlin, dort, wo nach Sonnenuntergang
blond-perückte Nutten in riesigen Plateauschuhen um Freier
buhlen und studentisches Fußvolk durch qualmverhangene Kneipen
zieht.
Von ihrem Zimmer aus kann Eva auf die
Oranienburger Straße sehen. Dahinter versinkt an diesem grauen
Wintertag der Monbijou-Park im Nebel.
Eva leidet unter Schizophrenie. Zwei Heilige
sind ihre ständigen Begleiter, erzählt Ronny. Die
existieren nur für Eva. Oft redet sie mit ihnen, oder die
imaginären Gefährten schimpfen mit den Pflegern. "Ihr
sollt die Eva nicht immer ärgern", sagt die alte Dame dann im
Namen der Unsichtbaren, und da gibt es keine Widerrede.
"Am Anfang wusste ich gar nicht, was auf mich
zukommt", sagt Ronny, und setzt Teewasser auf. Schwere
Behinderungen sind nichts Neues für ihn, sein kleiner Bruder
ist selbst geistig und körperlich behindert, muss seit seinem
sechstem Lebensjahr wochentags in einem Heim betreut werden.
Berührungsängste hatte Ronny deshalb nicht, als er vor
knapp neun Monaten in der Wohngruppe der Lebenshilfe mit dem
Zivildienst anfing. Und dennoch: "Ich musste ja erst mal sehen, wie
die Leute hier sind. Mein Bruder ist doch etwas völlig
anderes, als diese fremden Menschen hier. Und es gibt so viele
verschiedene Behinderungen, die sich alle anders ausdrücken,
da muss man ganz genau sehen, wie man damit im einzelnen
umgeht."
Ronny stellt Glaskannen mit Früchtetee
auf den langen Küchentisch, verteilt Kekse auf die
Kuchenteller. Es ist 15 Uhr, Kaffeezeit. Seit acht Stunden ist er
heute hier, hat schon Frühstück und Mittagessen für
alle gemacht. Kein leichter Job. Einkaufen gehen, kochen, die
Bewohner zu Arztbesuchen begleiten, beim Anziehen helfen. Da ist er
schon müde, wenn er nach Hause kommt, auch wenn für die
Pflege der Bewohner Fachkräfte zuständig sind. "Mit
medizinischen Sachen habe ich gar nichts zu tun.", sagt Ronny.
"Aber ich denke schon, dass ich hier eine gute Hilfe bin. Ich bin
halt für die Bewohner da, beschäftige sie ein
bißchen, weil viele sonst den ganzen Tag die Wand anstarren
würden. Da ist keiner, der sagen würde, jetzt möchte
ich gerne Fernsehen gucken oder mal spazieren gehen. Da muss man
die Leute schon motivieren."
Die Bewohner mögen den 21-Jährigen
mit den kurzen Stoppelhaaren und der großen Silberkette. An
jedem Ohr trägt er einen Ohrring. Besonders Marita hat wohl
"einen Narren an mir gefressen", sagt er. Als er ihr Zimmer
betritt, erhebt sie sich schwungvoll aus dem Bett. Das kurze
Nachthemd rutscht ihr dabei bis zur Brust und legt ihren Bauch
frei. Aufgeregt läuft sie im Raum auf und ab, rafft ihr
Gewand, und redet auf Ronny ein. Mit den Händen umfasst sie
immer wieder ihren großen Busen. "Marita muss man manchmal
bremsen. Sonst kann es kann ganz schön anstrengend sein mit
ihr.", sagt Ronny.
Wenn er mit den Behinderten spricht, redet er
laut. Viele hier sind schwerhörig. Beherzt nimmt er Marita
schon mal in den Arm oder legt Eva beruhigend die Hand auf die
Schulter. Christiane Koss, die Leiterin der Einrichtung, findet,
der Ronny habe "eine sehr nette Art", weil er die Leute nicht wie
Kleinkinder behandle, sondern "mit großer Wertschätzung
und Respekt".
Ronny ist gern hier, das merkt man schnell.
Acht Bewohner betreut der junge Mann aus dem Berliner Prenzlauer
Berg zusammen mit drei Pflegern. Die schwer geistig Behinderten
sind alle über 60 Jahre alt. Zum Beispiel Jürgen, der
Autist, der stundenlang an seinem Computer sitzt und auf zahllosen
Zetteln Notizen und Rechenübungen macht. Oder Bärbel, die
kleine Frau mit Down-Syndrom, die fast nie redet, aber lächelt
wie fünf Jahre Sonnenschein, wenn man sie anspricht.
"Bärbelchen", nennt Ronny sie liebevoll und beugt sich beim
Sprechen ganz nah an ihr Ohr, weil sie sonst nichts versteht.
Während er den Tee zubereitet, wandert Bärbel mit ihrer
Gehhilfe durch die Flure. Ihr Handtäschchen und die
Kuscheltiere trägt sie in einem kleinen Korb bei sich. Lange
verharrt sie und sieht Ronny beim Tischdecken zu.
"Ich hätte gedacht, hier ist mehr
Trubel", erklärt der Zivildienstleistende. "Dass es so ruhig
und harmonisch ist, hätte ich nicht erwartet." Den
täglichen Umgang mit den Behinderten empfindet er als nichts
Ungewöhnliches. "Die verhalten sich doch ganz normal, und ich
geh' auch ganz normal mit denen um. Sie lachen eben über
Sachen, die man selbst gar nicht komisch findet, oder erzählen
alles hundert Mal. Am Anfang war mir das etwas unangenehm. Doch
jetzt habe ich keine Probleme mehr damit."
Die Bewohner wissen es offenbar zu
schätzen, dass er da ist. "Die sagen zwar nicht ,Danke', wie
andere das tun würden, aber der Karsten zum Beispiel, gibt mir
manchmal einen Knutscher und sagt ,Ich hab dich lieb'."
Bärbelchen drückt mich dann. Die sind schon froh, dass
man sich mit ihnen beschäftigt und zeigen das
auch."
Ronny bereut nicht, dass er sich für den
Zivildienst entschieden hat: "Das war für mich persönlich
eine sehr, sehr gute Erfahrung. Vorher habe ich da gehangen, wusste
nichts anzufangen, und dann hatte ich endlich wieder eine Aufgabe,
auch wenn es ja bloß zehn Monate sind. Aber es war eine gute
Möglichkeit, etwas Neues kennen zu lernen, herauszufinden, was
man in Zukunft eigentlich machen möchte. Sogar Kochen habe ich
hier gelernt."
Beim Bund, da ist er sich sicher, wäre
er nicht gut aufgehoben gewesen. "Mit solchen
Möchtegern-Rambos komme ich einfach nicht klar. Und mich da
unterzuordnen, wie das beim Bund nun mal so ist, das ist nichts
für mich." Eine Arbeit auf dem Bau oder anderswo kann er sich
nicht vorstellen. "Nicht wegen der schweren Arbeit, aber ich mach'
einfach lieber solche Sachen mit alten oder kranken Leuten. Meine
Kumpels zeigen mir da manchmal 'nen Vogel, aber da sag' ich nur,
jedem das Seine."
Er habe schon vorher mal im Altersheim
gearbeitet, erzählt Ronny, als Pflegekraft, und später
dann, als er Sozialhilfeempfänger wurde, 40 Stunden im Monat
in der Mobilitätshilfe. "Da geht man zu den alten Leuten nach
Hause, kauft mal ein oder ist einfach nur zum Reden da." Erst durch
den Zivildienst habe er herausgefunden, dass er auch in Zukunft mit
Behinderten arbeiten möchte. Im Anschluss möchte er
deshalb eine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger machen. Seinen
Schulabschluss will er nachholen. "Wenn das hier vorbei ist, werde
ich der Einrichtung auf jeden Fall erhalten bleiben. Die Bewohner
werde ich bestimmt besuchen. Ich könnte als Vertretung
arbeiten oder einen Computerkurs geben."
"Unsere Zivis sind ein ziemlich treuer
Club.", sagt Christiane Koss. "Viele bleiben irgendwie an der
Einrichtung hängen. Ich habe hier schon gelernte Maurer
reinkommen sehen, die sich völlig umorientiert haben und
hinterher eine Ausbildung im Pflegebereich anfingen." Nicht wenige
beginnen danach ein Studium und helfen hin und wieder
aus.
"Es gibt ja Leute, die wollen keinen
Zivildienst machen, weil sie sich nicht vorstellen können, mit
Alten oder Kranken zu arbeiten", sagt Ronny. "Aber Zivildienst
bedeutet doch nicht unbedingt, dass man den Leuten auf die Toilette
helfen muss oder sowas. Ich habe schon Kollegen getroffen, die
haben beim Bürgermeister gearbeitet, als Hausmeister. Auch das
ist Zivildienst!"
Früchtetees in allen Rot- und
Gelb-Schattierungen stehen auf dem Tisch, es duftet nach Beeren.
Langsam füllt sich die große Küche. An einer Tafel
pinnen die Fotos vom letzten Ostseeurlaub der Behindertengruppe.
Marita, Eva und die anderen sitzen lachend in rot-weißen
Strandkörben. Nicht unweit davon strahlt das
Kukident-Lächeln von Brad Pitt von der Tapete. Marita ist
immer noch ganz hibbelig, entschuldigt sich bei Ronny, "weil ich
heute so nervös bin", und knabbert an ihrem Keks. Die stille
Bärbel sitzt einfach nur da und schaut zufrieden.
Ronny hat Feierabend. Es ist sein letzter
Arbeitstag, ab morgen hat er Urlaub. Dann arbeitet er noch zwei
Wochen, und vorbei ist die Zivi-Zeit. Trotz der Verkürzung der
Dienstzeit von zehn auf neun Monate letzten Oktober, hat Ronny
volle zehn Monate gearbeitet, freiwillig. Er geht nicht
gern.
Als Eva erfährt, dass Ronny bald nicht
mehr da sein wird, ist sie traurig. "Och, schade, jehste schon?",
sagt die Berlinerin, wieder und wieder, ungläubig. "Ja,
kommste uns denn besuchen?", fragt sie. "Klar, mach ick.", sagt
Ronny. "Sicher."
Johanna Metz ist Volontärin bei "Das
Parlament".
Zurück zur Übersicht
|