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Johanna Metz
"Wir haben keine große Panik"
Zivis adé? Für die Sozial- und
Wohlfahrtsverbände ein lösbares Problem
Der Zivildienst ist ein Auslaufmodell." Christiane Koss, die
Leiterin einer Schwerstbehindertenwohngruppe der Bundesvereinigung
Lebenshilfe e.V. im Zentrum Berlins, beobachtet das schon seit
Jahren. "Früher hatten klingelte hier jeden Tag mindestens
zehnmal das Telefon. Heute ist es viel, wenn einmal im Monat ein
junger Mann anruft und nach einer Zivi-Stelle fragt." Der
Geburtenrückgang und die seit Oktober 2004 geltenden neuen
Einberufungsbestimmungen haben die Zahl der Zivildienstleistenden
in Deutschland massiv reduziert. Wo 1999 noch 154.000 Zivis
arbeiteten, sind es im Januar 2005 nur noch 80.700. Und es
könnte noch dicker kommen, wenn die Wehrpflicht
tatsächlich gekippt wird. Der Zivildienst, als Ersatzdienst
seit 1961 an die Wehrpflicht gekoppelt, stünde dann ebenfalls
vor dem Aus.
Gelassenheit in der Diskussion
Noch betreuen junge Kriegsdienstverweigerer für ein paar
hundert Euro im Monat alte und behinderte Menschen und besuchen
Pflegebedürftige zu Hause, um ihnen beim Anziehen zu helfen
oder ihnen etwas vorzulesen. Der Zivi-Hiwi, der Malkurse gibt,
Essen ausfährt und für Heimbewohner kocht, gehört in
Krankenhäusern und Pflegeheimen ebenso zum Inventar wie eine
behindertengerechte Badewanne. In wenigen Jahren könnte das
vorbei sein - eine Perspektive, die bis vor einigen Monaten
für viel Getöse bei Deutschlands Wohlfahrts- und
Sozialverbänden sorgte. Vertreter der karitativen
Einrichtungen sahen eine "Katastrophe" und "Kostenlawine" auf die
sozialen Dienste zurollen und warnten vor einem "Pflegenotstand",
wenn die vielseitig einsetzbaren Jung-Pfleger ausblieben. Fragt man
heute nach der Stimmung, ist Gelassenheit in die Diskussion
eingekehrt.
"Wir haben keine große Panik", sagt Roland Lehmann vom
Diakonischen Werk, das mit rund 17.000 die meisten Zivis in
Deutschland beschäftigt. "Wir hatten genug Zeit, uns auf die
Veränderungen einzustellen und sind erfolgreich auf der Suche
nach Alternativen." Er berichtet von Fahrdiensten, die schon jetzt
komplett auf Zivis verzichten und stattdessen lieber Mini-Jobber
beschäftigen. Und im Rettungsdienst, so erzählt Dorothee
Mennicken vom Arbeiter-Samariter-Bund, würden
Zivildienstleistende nur noch gelegentlich eingesetzt, weil durch
die Verkürzung der Dienstzeit auf neun Monate seit Oktober
2004 und die lange Einarbeitungszeit kein effektiver Nutzen mehr zu
erwarten ist.
Also sind Zivis doch entbehrlich? Zumindest bedeutet ihr Wegfall
nicht zwangsläufig, dass die Pflege teurer würde oder
wichtige Leistungen gekürzt werden müssten. Da für
Zivis der Grundsatz der Arbeitsmarktneutralität gilt,
dürfen sie nur unterstützende Tätigkeiten
verrichten, und dafür sind teure Fachkräfte unnötig.
Um Essen auszufahren, braucht es schließlich kein
Staatsexamen, sondern einen Führerschein.
Freiwilliges Soziales Jahr
Bei der Diakonie hat man sich schon Gedanken gemacht, wie man
Ersatz für die fehlenden Zivis finden könnte. Ganz oben
auf der Liste steht der Ausbau des Freiwilligen Sozialen Jahres
(FSJ). Mit Erfolg: Schon jetzt gebe es drei- bis viermal so viele
Bewerber als Plätze zur Verfügung stehen, sagt Lehmann.
Und Günter Jahn, sein Kollege von der Bundesvereinigung
Lebenshilfe, teilt diese positive Erfahrung. Seit fünf Jahren
gibt es dort das Berufsvorbereitende Soziale Jahr (BSJ), das sich
"als gute Alternative" zum Zivildienst erweise. Jahn: "Die Leute,
die sich für ein BSJ entscheiden, kommen aus freien
Stücken. Sie sind entsprechend motiviert und sogar etwas
billiger als Zivis." Er freut sich besonders über die vielen
Menschen, die ehrenamtlich arbeiten wollen, zum Beispiel in dem sie
Patenschaften für einen Behinderten übernehmen.
Mittlerweile sind bei der Lebenshilfe über 100 Freiwillige
aktiv - Studenten, Rentner, Arbeitslose, Berufstätige jeden
Alters, die ein paar Stunden in der Woche etwas Abwechslung in das
Leben eines behinderten Menschen bringen.
Mini-Jobber und Freiwillige könnten also in Zukunft die
Löcher stopfen, die durch die Zivi-Knappheit entstehen.
Michael Bergmann von der Caritas sieht das mit Wohlwollen, warnt
aber vor zu viel Euphorie: "Der Zivildienst war über 40 Jahre
ein eigenständiger Dienstleistungbereich. Es wird lange Zeit
dauern, bis Ersatzlösungen greifen." Und er bedauert einen
besonderen Verlust: "Mit den Zivis geht ein ganz wichtiger
qualitativer Aspekt verloren. Zivis haben Zeit. Sie können
sich zu den Kranken ans Bett setzen, sie trösten, den oft
tristen Alltag beleben. Der Mehrwert liegt außerdem in der
Begegnung der Generationen: Lebensgeschichten und -erfahrungen
treffen aufeinander, junge Männer lernen hier etwas über
die Sorgen und Erfahrungen alter oder behinderter Menschen. Es
wäre sehr bedauerlich für alle Beteiligten, wenn das
wegfiele."
Beim Sozialverband VdK sieht man das noch drastischer. "In der
Pflege wird nur allzu oft eine Satt- und Sauber-Mentalität
gepflegt. Ohne Zivis wird diese Tendenz nur verstärkt", sagt
Tanja Schäfer. Alternativ fordert sie, ein soziales
Pflichtjahr für alle einzuführen, um die soziale
Versorgung auch in Zukunft sicherzustellen, denn: "Allein durch
Freiwilligkeit können die Zivis nicht ersetzt werden."
Doch das ist mehr als umstritten. Das Bundesfamilienministerium,
welches den 750-Millionen-Etat für den Zivildienst verwaltet,
hat in der eigens einberufenen Kommission "Impulse für die
Zivilgesellschaft" über die Zukunft von Freiwilligendiensten
und Zivildienst in Deutschland, erst im vergangenen Jahr
klargestellt, dass es keine "Verstaatlichung" des
bürgerschaftlichen und freiwilligen Engagements geben
dürfe.
"Ein Pflichtjahr kommt nicht in Frage"
"Eine allgemeine Dienstpflicht wird aus verfassungs- und
völkerrechtlichen Gründen abgelehnt." Das sehen auch die
meisten Sozial- und Wohlfahrtsverbände so. "Die Betreuung
hilfebedürftiger Menschen ist Beziehungsarbeit. Die sollte in
jedem Fall auf freiwilliger Basis beruhen.", sagt Dorothee
Mennicken. Und Roland Lehmann stellt klar: "Ein soziales
Pflichtjahr kommt grundsätzlich nicht in Frage."
Bis zum Jahr 2010 hat das Familienministerium den Verbänden
Planungssicherheit garantiert. Bis dahin ist noch viel Zeit, neue
Konzepte zu entwickeln, sollte der Zivildienst tatsächlich
wegfallen. Für Günter Jahn steht jedenfalls fest: "Wir
müssen uns frühzeitig auf ein Ende einstellen, sonst
gehen wir richtig baden." Ohne finanzielle Unterstützung vom
Staat geht es jedoch nicht. "Die durch den Wegfall des
Zivildienstes frei werdenden Mittel müssen für
Freiwilligendienste zur Verfügung gestellt werden, sonst ist
eine solche Umstrukturierung nicht finanzierbar", fordert Roland
Lehmann, und das Familienministerium ist sich dieser Verantwortung
offenbar bewusst. Das Geld solle nicht einfach "in den
regulären Haushalt übergehen", heißt es da, sondern
den sozialen Einrichtungen möglichst wieder zugute kommen.
Eine konkrete Entscheidung darüber steht allerdings noch
aus.
Christiane Koss würde es bedauern, wenn der Zivildienst
ganz wegfiele. "Zivis haben einen unpädagogischen Blick, eine
erfrischende Art, die auch den Behinderten gut tut." Die patente
Heimleiterin hat schon einige Zivis kommen und gehen sehen und
immer die Erfahrung gemacht, dass es auch die Jungs weiter bringt:
"Sie lernen Verantwortung zu übernehmen, wachsen
persönlich daran. Vielleicht müssen sie hier sogar das
erste Mal selbst waschen oder kochen und sich um andere
kümmern. Das schadet jungen Männern nie."
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