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Ulrike Baureithel
"Ich bekomme so viel zurück"
Bürgerengegement im sozialen
Bereich
Ob Freiwilligenarbeit, Bürgerengagement,
Selbsthilfe oder Ehrenamt - freiwillige Dienste sind ein
unverzichtbarer Bestandteil des zivilen Lebens. Während sich
die Kommunen aus dem sozialen Aufgabenfeld vielfach
zurückziehen, engagieren sich Menschen zunehmend auch in
diesem Bereich. Was bewegt Menschen, freiwillig Verantwortung
für andere zu übernehmen? Warum setzen sie sich manchmal
schwierigen sozialen Situationen aus und befassen sich bei der
Betreuung von Kranken und Alten sogar mit Sterben und Tod?
Gespräche mit Ehrenamtlichen zeigen, dass nicht nur
Pflichtbewusstsein, sondern auch der Wunsch nach Kommunikation und
Anerkennung ist ein Motiv für Bürgerengagement ist.
Man kennt sie selbstverständlich von der
Freiwilligen Feuerwehr, vom Sport- oder Gesangsverein, wo sie
Brände löschen, als Trainer die Jugend ausbilden oder zum
Gelingen des Stadtfestes beitragen. Aber wer interessiert sich
schon für die Senioren, die in die Kindergärten gehen,
und den "Kurzen" vorlesen? Wer weiß etwas über die
ehrenamtliche Arbeit in den 75 deutschen Hospizdiensten? Wer
kümmert sich um die Kinder suchtkranker Eltern? Wer sorgt
dafür, dass behinderte, betagte oder demente Menschen
regelmäßig an die frische Luft kommen und am kulturellen
Leben teilhaben können?
In Deutschland sind derzeit 70 Prozent der
über 14-Jährigen über ihre beruflichen und privaten
Verpflichtungen hinaus in Gruppen, Vereinen, Organisationen und
öffentlichen Einrichtungen engagiert. Die Hälfte davon
hat ein oder sogar mehrere Ehrenämter inne und übernimmt
für längere Zeit konkrete Aufgaben. Noch immer zieht der
Sport- und Freizeitbereich den größten Teil der
freiwilligen Helfer an, doch die Gewichte verschieben sich: Im
Vergleich zur 1. Freiwilligenstudie des Bundesfamilienministeriums
von 1999 engagieren sich heute mehr Menschen im Bereich Bildung und
für soziale Angelegenheiten.
Ein Grund dafür ist sicher die Tatsache,
dass den Kommunen immer weniger Mittel zur Verfügung stehen,
um soziale Aufgaben zu finanzieren. Eltern sehen sich
plötzlich aufgefordert, gelegentlich für die Kita zu
kochen oder selbst die Renovierung eines Klassenzimmers zu
übernehmen. Der Impuls, hier zu handeln, ist offensichtlich:
Man will, dass die eigenen Kinder möglichst gut versorgt sind.
Ob die Engagierten das nun "Freiwilligenarbeit", "Selbsthilfe",
"Bürgerengagement" oder gar "Ehrenamt" nennen, ist
zweitrangig, wesentlich ist für sie, in ihrem Lebensumfeld
Verantwortung zu übernehmen.
Auch für Ulrike Friedel-Franzen war der
Hort, den ihre Kinder besuchten, die Brücke zum
Nachbarschaftsheim in Berlin-Schöneberg. Sie stammt aus einer
Familie, in der es normal ist, sich sozial zu engagieren, schon die
Mutter lebte ihren Töchter vor, dass man, über die
Familie hinaus, für andere Menschen verantwortlich ist. Die
Sozialarbeiterin, die inzwischen selbst drei schulpflichtige
Töchter hat, wollte in der Familienphase sinnvoll tätig
sein und kümmert sich nun im Rahmen des Besuchsdienstes jede
Woche um eine altersverwirrte Dame. Nebenbei hofft sie, dadurch ein
bisschen im Beruf zu bleiben und Kontakte für den
späteren Wiedereinstieg zu knüpfen.
Die ebenfalls ehrenamtlich im Besuchsdienst
tätige Margit Russ verfolgt dagegen keine beruflichen Ziele.
Für die Mutter erwachsener Kinder war es die Pflege der
eigenen todkranken Mutter, die den Anstoß gab, alten Menschen
die Einsamkeit erträglicher zu machen. Russ organisiert nun
regelmäßig ein Kaffeekränzchen für drei sehr
betagte, aber geistig fitte Damen. "Demente Personen zu besuchen",
sagt sie, "würde ich mir nicht zutrauen."
Margit Russ ist kein Einzelfall. Häufig
sind es die Erfahrungen bei der Pflege eines nahestehenden
Angehörigen, die dazu bewegen, sich auch nach dessen Tod um
alte oder kranke Menschen zu kümmern. Mechthild Lewandowski
beispielsweise arbeitet als ehrenamtliche Familienbegleiterin im
Berliner Kinder-Hospiz "Sonnenhof". Dort betreut und entlastet sie
seit zwei Jahren Familien, die durch die Pflege eines todkranken
Kindes in einer schwierigen häuslichen Situation leben. Die
Entscheidung für Kinder lag für die gelernte Erzieherin
nahe; doch seit dem Tod der Mutter weiß Mechthild Lewandowski,
dass sie "gut mit Sterbenden umgehen kann".
Während sie ihre "ganz hervorragende"
Ausbildung zur ehrenamtlichen Hospizhelferin beim Roten Kreuz
absolvierte, fuhr der Diplom-Kaufmann Bert Schulz jeden Morgen -
noch vor Beginn seiner Tätigkeit als Projekt-Koordinator eines
großen Telekommunikationsunternehmens - vom Berliner Stadtteil
Steglitz ins weit entfernte Niederschönhausen, um sich im
"Sonnenhof" als ehrenamtlicher Familienbegleiter zu qualifizieren.
Er war durch eine Fernsehsendung auf die
Björn-Schulz-Stiftung, die neben dem Hospiz-Dienst auch
ambulante Familienbetreuung anbietet, aufmerksam geworden. Weil ihn
der Beruf allein nicht ausfüllte und seine Lebensplanung, wie
er sagt, "keine Kinder vorsieht", beschloss er, den Kontakt zum
"Sonnenhof" aufzunehmen.
Momentan betreut er einen siebenjährigen
leukämiekranken Jungen, organisiert Freizeitaktivitäten
für ihn und schenkt der betroffenen Familie auf diese Weise
ein paar Stunden zum Durchatmen. Bert Schulz ist im "Sonnenhof"
eher ein Exot: Von den rund 150 Familienbegleitern finden sich
gerade mal 20 Männer; auch im Besuchsdienst des
Schöneberger Nachbarschaftsheims engagieren sich vor allem
Frauen, obwohl Frauen, bezogen auf alle Freiwilligendienste,
unterrepräsentiert sind und auch seltener Leitungsfunktionen
wahrnehmen: "Die Männer", konstatiert Margit Russ trocken,
"sind eben bei der Feuerwehr oder im Sportverein."
Was bringt Menschen über die
persönliche Betroffenheit hinaus dazu, sich ausgerechnet um
Alte, Demente, Behinderte und Todkranke zu kümmern, zumal dies
im nicht-engagierten Freundeskreis eher distanziert und oft mit
Befremden registriert wird und das Engagement die eigene Familien
oft auch belastet: "Die muss viel auffangen, sagt Mechthild
Lewandowski, "das war auch für die Familie ein Lernprozess."
Er ziehe für sich dabei viel mehr heraus, als er gebe,
bilanziert derweil Bert Schulz seinen Einsatz. "Man bekommt viel
zurück", bestätigen auch die Frauen vom
Nachbarschaftsheim. Die alten Frauen freuten sich so, wenn man
käme, und als Freiwillige würden sie auch anders
wahrgenommen als professionelle Kräfte, die zur täglichen
Hauspflege kämen: "Die Damen", meint Ulrike Friedel-Franzen,
"wissen ja, dass wir unsere Freizeit opfern, um sie zu besuchen."
Bei den Betroffenen, die oft ein "Sozialarbeitersyndrom"
(Lewandowski) haben, kommt die ehrenamtliche "Arbeit mit dem
Herzen" gut an. Insbesondere alte Menschen nehmen lieber von Laien,
die mehr Verständnis und Zeit für ihre Alltagsprobleme
zeigen, Hilfe in Anspruch.
Der zeitliche Aufwand der Ehrenamtlichen ist
sehr unterschiedlich: 15 Stunden, so die Untersuchung von 1999 (die
Studie von 2004 wird komplett erst im Sommer 2005
veröffentlicht), werden durchschnittlich im Monat investiert.
Mit fünf bis sechs Stunden pro Woche liegt Mechthild
Lewandowski weit über diesem Schnitt, Bert Schulz und Ulrike
Friedel-Franzen sind zwei Stunden wöchentlich mit ihren
Schützlingen unterwegs, und Margit Russ hat schnell
festgestellt, dass der ursprünglich geplante monatliche Besuch
bei ihrem "Kränzchen" nicht ausreicht. Sie plagt "ein
schlechtes Gewissen", weil sie öfters das Gefühl hat,
ihnen zu wenig Zeit zu widmen. Professionelle Abgrenzung,
bestätigt Franziska Lichtenstein, die die Besuchsdienste in
Schöneberg koordiniert, sei ein häufiges Problem der
freiwilligen Helfer.
Grenzen zu setzen ist aber nur eine der
Schwierigkeiten, die im Umfeld freiwilliger sozialer Tätigkeit
auftauchen können. Für Außenstehende erstaunlich,
ist es für die Ehrenamtlichen selbstverständlich, dass
sie eine qualifizierte und normalerweise bezahlte Arbeit
unentgeltlich oder gegen eine geringe Aufwandsentschädigung
verrichten. Auch das berufliche und private Zeitregime scheint
relativ gut zu funktionieren, Bert Schulz beispielsweise fühlt
sich von seiner Abteilungsleiterin unterstützt, und auch
für Margit Russ ist das Doppelengagement in beruflicher
Hinsicht kein Problem. Dagegen beobachtet Mechthild Lewandowski,
die von den Befragten am längsten dabei ist, dass sich
ehrenamtliche Familienhelfer gelegentlich überfordert
fühlen. Das deckt sich auch mit den Erhebungen der
Freiwilligenstudie: Dort erklären 40 Prozent der im
Gesundheitsbereich Engagierten, sie seien "gelegentlich
überfordert". Kompetenzstreitigkeiten, beispielsweise mit
Ärzten oder anderen Professionellen, kommen offenbar nicht so
häufig vor. Eher gibt es Konflikte mit den Angehörigen
der Betreuten, die - so erging es Margit Russ - nicht in der Lage
sind, zwischen bezahlten Kräften und Freiwilligen zu
differenzieren und über die eigentliche Aufgabe hinausgehende
Leistungen erwarten.
Übereinstimmend berichten die für
die Freiwilligenarbeit Verantwortlichen bei den Trägern, dass
die Bereitschaft, sich zu engagieren, sehr viel höher ist, als
bislang realisiert, und Angebote gar nicht wahrgenommen werden
können, nicht nur im Sozial- sondern vielfach auch im
handwerklichen Bereich. Liest man Erfahrungsberichte von
Ehrenamtlichen, dann überwiegen bei weitem die positiven
Aspekte, die vom Wunsch, etwas fürs Gemeinwohl tun und
Menschen helfen zu wollen bis hin zur Erwartung reichen, dass mit
der Tätigkeit - zumindest intern - soziale Anerkennung
verbunden ist und dass sie Spaß machen soll. An dieser
Motivationsstruktur, so ein Projektleiter des 2.
Freiwilligensurveys, habe sich nichts grundlegend geändert,
obwohl der "Spaßfaktor" im Vergleich zu 1999 im Rückgang
begriffen sei.
Sind die heutigen Freiwilligen also
pflichtbewusster, eher bereit, sich zeitlich reglementieren und in
ein Dienstsystem einspannen zu lassen? Und wäre dieser Befund
ein Ansatz, die von der Bundesregierung avisierten
"generationenübergreifenden Freiwilligendienste" verbindlicher
zu strukturieren und damit die absehbaren Löcher in den
sozialen Diensten - zum Beispiel durch einen Wegfall des
Zivildienstes - zu stopfen? Und wo liegen die verborgenen
Ressourcen: bei der Jugend, den Senioren oder doch eher im Kreis
der Arbeitslosen? Die bislang bekannten Daten lassen nur eine
vorläufige Trendbestimmung zu. Eindeutig ist, dass sich immer
mehr ältere Menschen engagieren und Ostdeutschland
gegenüber den westdeutschen Bundesländern aufholt. Fest
steht außerdem, dass türkische Migranten und Migrantinnen
zwar in vergleichbarer Weise wie ihre deutschen Landsleute in
Vereinen, Verbänden und Gruppen aktiv sind, aber nur jeder
zehnte ehrenamtliche Dienste übernimmt.
Die Menschen seien motivierbar, behauptet
Gretel Wildt, Leiterin der Abteilung Frauen, Jugend und Familie des
Diakonischen Werkes, man dürfe aber nicht zulassen, dass sie
Tätigkeiten übernehmen, die in die Zuständigkeit von
Professionellen gehörten. Dass die Hauptberuflichen wiederum
unter "Verdrängungsangst" litten, weil das Ehrenamt als
kostengünstige Alternative die unterfinanzierten Gemeinden zu
entlasten scheint, sei nachvollziehbar. Paradox, dass die Anwerbung
von Freiwilligen von den professionellen Kräften wiederum als
Strategie eingesetzt wird, um den eigenen Arbeitsplatz zu sichern.
Die Einbeziehung insbesondere von Langzeitarbeitslosen beurteilt
Wildt skeptisch: Nur wer aus eigener Kraft etwas tun wolle,
könnte sich unter Umständen über die
Freiwilligendienste weiter qualifizieren. Die Tatsache, dass
Erwerbslose unter den Ehrenamtlichen unterrepräsentiert sind,
mag zum einen daran liegen, dass sie sich offiziell für den
Arbeitsmarkt bereit halten müssen, zum anderen könnte es
ein Indiz dafür sein, dass langfristig Erwerbslose auch aus
diesem Bereich des sozialen Lebens ausgeschlossen sind.
Sinnsuche, Identitäts- und
Kontaktpflege, Gestaltungswille und der Wille zu helfen, ja, aber
Dienstgedanke nein. Im Unterschied zu zwangsrekrutierten
Zivildienstleistenden steht und fällt das ehrenamtliche
Engagement mit der Freiwilligkeit und der Attraktivität des
Tätigkeitsangebots. Mit dem sozialen und kulturellen
Engagement werden nicht nur altruistische Ziele verfolgt, es soll
auch Kommunikationsbedürfnisse befriedigen und die
Lebenserfahrung derer bereichern, denen die Berufsarbeit nicht
genug ist und die bereit sind, ihr lokales Umfeld mitzugestalten.
In dem Maße, wie die individualisierte Gesellschaft begreift,
dass alle aufeinander angewiesen sind, müssen auch die
Möglichkeiten auf die individuellen Bedürfnisse
zugeschnitten sein.
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