Heiko Ostendorf
Rettende Hilfe aus dem Ausland?
Die Bedeutung von Zuwanderung für die
sozialen Dienste
Brauchen wir Zuwanderung, um die sozialen Dienste vor
Versorgungslücken zu bewahren? Immerhin stehen die Sozial- und
Pflegedienste vor einem Problem: Die Zahl der Menschen, die in
häuslicher Umgebung oder in Altenheimen gepflegt werden
müssen, wird aufgrund der demografischen Entwicklung drastisch
steigen, wie beispielsweise die Befragung "Pflege-Thermometer 2004"
des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung (dip)
in Köln feststellt. Gleichzeit prognostiziert dip, dass die
Ausbildungszahlen in den Pflegeberufen zurückgehen werden. Der
Nachwuchs fehlt.
So ist sich Thomas Bauer, Vorstandsmitglied beim
Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung
(RWI) in Essen, sicher, dass an der Anwerbung ausländischer
Fachkräfte kein Weg vorbei führen wird, wenn der
zukünftig steigende Bedarf an Pflegepersonal gedeckt werden
soll: "Wir werden überlegen müssen, ob wir nicht
ausländische Personen, die diese Tätigkeiten in den
Pflegeberufen übernehmen können, ins Land holen, um
kurzfristig Lücken zu schließen."
Schon jetzt sieht das letzte Jahresgutachten des von
Innenminister Otto Schily (SPD) eingesetzten Zuwanderungsrates
einen akuten Bedarf von 25.000 ausländischen Fachkräften
in Deutschland. Darunter auch im Gesundheitsbereich. "Das wird die
Pflege nicht retten", meint Pflegewissenschaftler Michael Isfort
vom Deutschen Institut für Pflegeforschung in Köln. Es
sei aber durchaus eine Möglichkeit, auf die drohenden
Lücken beim Personalbedarf zu reagieren. Und: "Die
demografische Entwicklung mahnt an, jede Alternative zu nutzen",
betont Isfort den Handlungsbedarf. Immerhin erwartet der
Bundesverband der Diakonie in den nächsten 20 Jahren einen
zusätzlichen Bedarf von rund 400.000
Pflegefachkräften.
So sieht auch der Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe
(VDAB) in Essen in der Zuwanderung von Fachkräften aus dem
Ausland durchaus eine geeignete Maßnahme, um dem Mangel an
Personal bei Pflegediensten entgegenzuwirken. Darunter dürfe
allerdings die Qualität der Versorgung nicht leiden, betont
Oliver Aitcheson, Justitiar beim VDAB: "Wir müssen darauf
achten, dass entsprechende Qualifikationen dieser Kräfte
vorliegen, sie müssen entsprechend ausgebildet sein, damit der
qualitative Standard in der Pflege hier zu Lande gehalten
wird."
Spezielle Bedürfnisse der Patienten
Über Zuwanderung in der Pflege nachzudenken, ist laut
Aitcheson auch wichtig, weil die Gastarbeiter aus der ersten
Generation jetzt in ein Alter kommen, in dem sie Pflege
benötigen könnten. Dafür brauchen die Pflegedienste
geeignetes Personal. Dass die Vorrausetzungen dafür schon
erfüllt sind, bezweifelt Thomas Bauer vom RWI: "Ich
befürchte, dass die meisten unserer Pflegedienste nicht auf
die speziellen Bedürfnisse dieser Patientengruppen eingestellt
sind." Das fange beim Essen für Muslime an und höre bei
der Sprache auf.
Zwei Pflegedienste haben diese Marktlücke längst
erkannt: "asisa" in Bochum und der Pflegedienst "Julia" im
westfälischen Münster. Beide beschäftigen schon
jetzt Fachkräfte, die aus Osteuropa stammen, denn der
größte Teil ihrer Kundschaft kommt ebenfalls aus den
ehemaligen Sowjetstaaten. Aber auch deutsche Patienten stehen in
ihren Kundenkarteien. Für Larissa Impris von "asisa"
überhaupt kein Problem: Die deutschstämmigen Patienten
seien genauso glücklich und zufrieden wie die anderen Kunden,
weiß sie aus Gesprächen mit den
Pflegebedürftigen.
Auch die Pflegedienstleiterin bei "Julia", Martina Wroblewski,
wehrt alle Vorurteile ab, dass sich sprachliche Defizite seitens
des Personals oder kulturelle Barrieren zu den deutschen
Pflegebedürftigen aufbauen würden: "So groß ist der
kulturelle Unterschied auch nicht." Auch fachlich können
Impris und ihre Münsteraner Kollegin alles andere als klagen,
obwohl "die meisten meinen, die von da drüben kommen,
hätten keine Ahnung", kennt Wroblewski die Befürchtungen.
Das Wissen ihrer osteuropäischen Fachkräfte sei dagegen
sogar eher breiter gefächert, als bei den deutschen
Kollegen.
"Insgesamt muss man sagen, dass insbesondere die
osteuropäischen Arbeitskräfte sehr sehr gut qualifiziert
sind", stimmt Bauer vom RWI zu und schlussfolgert, dass daher die
Anpassung der Migranten bei den Sozial- und Pflegediensten weniger
problematisch sein dürfte als in anderen Berufen.
Larissa Impris würde gerne noch weiteres Personal aus
Osteuropa zu "asisa" holen, denn ihr Kundenstamm mit Patienten aus
diesen Ländern wird größer. Doch es gibt ein
scheinbar nicht überwindbares Hindernis. Von der
Arbeitsagentur vor Ort erhält Impris immer die gleiche
Auskunft: Die Anwerbung von Fachkräften aus Russland,
Weißrussland oder der Ukraine sei nicht möglich. Es gebe
keine Rechtsgrundlage, um Fachkräfte aus diesen Ländern
am deutschen Arbeitsmarkt zuzulassen.
Ruf nach einem flexiblen Gesetz
Bauer fordert daher ein flexibleres Zuwanderungsgesetz, das noch
mehr auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes ausgerichtet ist.
Das für das Zuwanderungsgesetz ursprünglich vorgesehene
und vom Zuwanderungsrat empfohlene Punktesystem wird seiner Meinung
nach wieder auf die Agenda kommen müssen. Es ist seinerzeit im
Vermittlungsausschuss zwischen Regierung und Opposition auf der
Strecke geblieben.
Doch zieht es die Pflegefachkraft aus Osteuropa auch
unweigerlich nach Deutschland, um hier bei Bedarf die Lücken
am Arbeitsmarkt zu füllen? Was haben wir einem qualifiziertem
Menschen aus dem Ausland zu bieten? Immerhin steht nicht nur die
Bundesrepublik unter Einfluss des demografischen Wandels. Auch
andere Länder in der Europäischen Union altern, und auch
dort steht eine drastische Verringerung des
Erwerbspersonenpotenzials bevor, wie das Jahresgutachten des
Zuwanderungsrates anmerkt. Für Bauer tritt Deutschland somit
in Konkurrenz mit Italien, Spanien, Frankreich und anderen
EU-Ländern um qualifiziertes Personal aus
Nicht-EU-Ländern.
"In diesem Wettbewerb ist Deutschland nicht gut gerüstet",
warnt Bauer. Andere Länder in der EU können dem
Einwanderer eine langfristige Perspektive bieten. In Deutschland
hilft da auch das neue Zuwanderungsgesetz nicht weiter: Der
Aufenthalt bleibt auf bestimmte Zeit begrenzt. Da besteht die
Gefahr, dass sich die Fachkraft aus dem Ausland das Land aussucht,
in dem sie die besseren Lebensperspektiven hat.
Außerdem muss die Anerkennungspraxis ausländischer
Pflegefachkräfte neu gestaltet werden. "Die berufliche
Qualifikation prüfen kann man schnell oder sehr administrativ
und langsam machen", bemängelt Bauer die momentane Praxis der
Anerkennung: "Hier müsste man eher den schnellen Weg
einschlagen."
Und nicht nur das. Klaus-Jürgen Bade, ehemaliger
stellvertretender Vorsitzender des Zuwanderungsrates, kritisiert
den Umgang mit ausländischen Qualifikationen im Allgemeinen,
denn schon jetzt werden Einwanderer nicht ihren Fähigkeiten
entsprechend eingesetzt: "Wir haben eine grottenschlechte
Anerkennungspraxis. Denn die Examina vieler Spätaussiedler,
also anerkannte Deutsche, werden nicht anerkannt." Das führe
zu einem eklatanten Missverhältnis zwischen der formalen
Qualifikation der Einwanderer und der Nutzung ihrer
Fähigkeiten.
Damit müsse Schluss sein, fordert Bade: "Wir können
uns diese Vergeudung und Austrocknung von Humankapital nicht mehr
leisten. Damit sind wir nicht konkurrenzfähig." Dabei
könnte die Lösung so einfach sein. Wenn sich bei der
Prüfung der beruflichen und sprachlichen Fähigkeiten der
Staat viel mehr zurück-halten würde, wäre schon mal
viel gewonnen, ist Bauer vom RWI überzeugt: "Wieso muss die
Bundesagentur für Arbeit prüfen, inwieweit ein Zuwanderer
befähigt ist, im Pflegebereich zu arbeiten?" Die gesamte
Verantwortung könne viel wirkungsvoller den Arbeitgebern
überlassen werden. Die Einstellung von schlecht qualifiziertem
Personal mit sprachlichen Defiziten würde den Pflegediensten
nur schaden, weil ihnen dann Kunden verloren gehen.
Außerdem: "Wenn dieser einzustellende Ausländer schon
regulär in Deutschland ist und sich bei einem privaten
Pflegedienst bewirbt, prüft ja auch nicht die Arbeitsagentur,
ob diese Person wirklich in dieser Einrichtung arbeiten darf,
sondern ganz allein der Unternehmer", gibt Bauer zu bedenken.
Heiko Ostendorf ist freier Journalist in Münster.
Zurück zur
Übersicht
|