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Martin Gerner
Die Schule der Demokratie wohnt im Armenhaus
Mali: Seit 35 Jahren eine besondere Beziehung zu
Deutschland
"Die Sicherheitslage im Norden Malis wird durch
bewaffnete, grenzüberschreitende Gruppierungen erheblich
gefährdet. Vor Reisen nördlich von Timbuktu wird
gewarnt", heißt es auf der Internetseite des Auswärtigen
Amtes. Der Schock über die Entführung von 14 mehrheitlich
deutschen Geiseln in der algerischen Sahara im Sommer 2003 wirkt
nach in offiziellen Verlautbarungen. Die Geiseln wurden
freigelassen, nicht zuletzt wegen der Intervention von Malis
Präsident Touré, der damals ihre Übergabe
aushandelte. Die Entführer gehörten einer islamistischen
Salafisten-Gruppe namens "Predigt und Kampf" an.
Nicht zuletzt wegen der Hilfe Malis bei der
Lösung des Geiseldramas ist das Verhältnis zwischen
Berlin und Bamako gut. Deutsche sind dort beliebt: "Ihr wart das
erste Land, das Mali nach seiner Unabhängigkeit im September
1960 anerkannte", erinnern sich ältere Menschen. Das Handeln
der damaligen Bundesregierung war der Hallstein-Doktrin
zuzuschreiben: Bonn wollte einer Erstanerkennung Malis durch die
DDR zuvorkommen.
Neben Französisch, der Sprache der
ehemaligen Kolonisatoren, ist Deutsch heute in Mali zweitwichtigste
Fremdsprache. Mehr als 100 Lehrer unterrichten 30.000 Schüler
in der Sprache Goethes, vielfach noch vor dem Englischen. "Wir
lesen gerade Hegel", erzählt ein schwarzköpfiger
Zehntklässler eines Internats in Bandiagara im
Dogonland.
Die Region ist mit ihrer 200 Kilometer langen
und über 100 Meter tiefen Felsklippe landschaftliche und
touristische Attraktion. Seit den späten 70er-Jahren sind GTZ
und DED dort im Bau von Straßen und kleinen Staudämmen
aktiv. Angebaut werden Hirse und Zwiebeln. Letztere werden
mittlerweile mit Gewinn bis nach Bamako verkauft. Trotzdem lebt
Mali unverändert im Angesicht von Naturkatastrophen. Eine
Heuschreckenplage vernichtete im vergangenen Herbst große
Teile der Ernte im Zentrum des Landes. "Es war wie eine Wolke, die
aus der Ferne kam und die Sonne auf einmal verdunkelt hat. In
Minuten waren alle Blätter an den Bäumen abgefressen",
erzählen Bewohner aus der Hafenstadt Mopti.
Auch wiederkehrende Dürren werfen die
Landwirtschaft zurück. Anfang der 70er-Jahre war dies ein
Grund für die im Norden nomadisierenden Tuaregs, ostwärts
zu ziehen. Ende der 80er-Jahre griffen die Tuaregs dann zu den
Waffen gegen die Zentralregierung in Bamako. "Es gab damals keine
Demokratie für uns in den eigenen Staatsgrenzen", erinnert
sich Many. Die Regierung war autoritär. Viele der
Jüngeren sind nach Algerien und Libyen gegangen. Dort sind sie
an der Waffe ausgebildet worden. Man hat ihnen eingetrichtert, dass
sie Boten einer Revolution für die Sache der Tuaregs seien.
Der Tuareg-Aufstand in Mali hat von 1990 - 96 gedauert und mehrere
tausend Tote gefordert. Heute steht in Timbuktu eine in Marmor
gehauene "Flamme des Friedens" als Mahnmal, mit eingemauerten
Maschinengewehren. "In der Regierung hat man verstanden, dass der
Norden Malis mehr Aufmerksamkeit braucht, mehr Schulen,
Straßen und Krankenhäuser. Die Aufständischen von
damals sind heute in die malische Armee integiert, sind Offiziere
und Patrioten geworden. Das ist ein Erfolg", findet Many, der
mittlerweile das Musikfestival von Essakane leitet, ein Treffen der
Weltmusik zu dem jedes Jahr Anfang Januar in der Wüste Malis
tausende Afrikaner und Europäer zusammenkommen.
Zwei Drittel von Mali sind Staubland: Sahara
oder angrenzende Sahel. Trotz dieser geographischen Last haben sich
Regierung und Entwicklungshilfeorganisationen die Dezentralisierung
der Kommunen auf die Fahnen geschrieben. Weil das deutsche
föderale System als beispielhaft gilt, berät die GTZ eine
Reihe malischer Gemeinden. Zum Beispiel gibt es so genannte
Lokalkonventionen für den Umgang mit natürlichen
Ressourcen: Brennholz, Wasser, Weideland.
"Immer wieder herrscht Streit zwischen Bauern
und Nomaden, weil Letztere ihre Tiere einfach auf den Feldern
weiden lassen", erzählt Abba Coulibaly, Bürgermeister von
Sagala. "Dadurch wurden Ernten zerstört. Es kam zu
Kämpfen deswegen, es gab sogar Tote." Kommunikation hilft, und
deshalb wurde eine Rundfunkstation in Sagala errichtet, über
die nun Bekanntmachungen für die Feldernutzung verkündet
werden. Es ist keine Seltenheit, Bauern und Kinder auf dem Feld mit
Transistor-Radio bei der Arbeit zu sehen. Die GTZ hat einen
Großteil der technischen Geräte für die Radiostation
von Sagala bezahlt.
Bei einer Analphabetenrate von 63 Prozent und
einem Pro-Kopf-Einkommen, das nach wie vor zu den niedrigsten der
Welt gehört, ist Bildung eine Investition in die Zukunft. Oft
sind es private Initiativen, die Dinge bewegen. Der Verein
"Dogon-Schulen" zum Beispiel: "Wir bauen und renovieren
Gebäude, statten sie mit Mobiliar, Lehrbüchern und
Stiften aus und schaffen so Hunderten von Schülern bessere
Bedingungen", sagt Hauke Nagel, von Beruf Lehrer.
Ein anderer deutscher Verein, "Cargo", hat
erstmals Schulbücher in Tamaschek, der Sprache der Tuareg,
entwickelt und gedruckt. Bisher sind diese Bücher im
benachbarten Niger im Einsatz, ihre Verbreitung würden sich
auch malische Tuareg wünschen, wie sie versichern.
Im afrikanischen Vergleich ist Mali ein
demokratisches Musterland. Ein Offizier leitete 1990 einen
erfolgreichen "coup d'Etat" ein, nachdem der amtierende
Präsident Moussa Traoré den Protest der Straße
blutig niedergeschlagen hatte. Vergleichsweise rasch und nachhaltig
gedeihen seitdem Meinungs- und Pressefreiheit. Was Mali derzeit
fehlt, ist eine Opposition. Die Allparteienregierung von
Präsident Touré scheint das Land eher zu lähmen.
"Die letzten beiden Jahre vergingen wie Blei", sagt ein Taxifahrer
in Bamako. Die Demokratisierung wird untergraben von Korruption.
Bürgermeister in der Hauptstadt sind dafür bekannt, dass
sie Grundstücke erst parzellieren und dann verkaufen, um sich
damit die Taschen zu füllen. Ähnliche Geschäfte
machen auch Bürgermeister anderer Gemeinden.
Während der Rap-Musiker Tiken Jah Fakoly
aus der Elfenbeinküste in Mali politisches Asyl genießt,
kritisieren die drei Rapper von "Tata Pound" die eigene Regierung:
"Stimmen werden gekauft. Die demokratischen Institutionen haben
sich in Rauch aufgelöst, denn sie nützen nur noch den
Abgeordneten. Die Interessen des Volkes sind vergessen", heißt
es in einem ihrer Texte. All das wird ohne Problem geduldet. Als
Hoffnungszeichen können die jüngsten Kommunalwahlen
gelten: mit 40 Prozent beteiligten sich dabei fast doppelt so viele
Wähler wie vier Jahre zuvor.
Gold und Baumwolle sind Malis Exportschlager.
Seit jedoch die US-Regierung unlängst die einheimischen
Baumwoll-Farmer mit neuen Subventionen versehen hat, sank der Preis
der malischen Baumwolle auf dem Weltmarkt von 210 auf 160
Franc-CFA. "Jeder Dritte Arbeitsplatz hängt an der Baumwolle",
erklärt Inge von der Ley von der GTZ, "die Regierung
befürchtet, dass vorschnelle Reformen in der
Baumwoll-Industrie zu massiver Arbeitslosigkeit führen
könnten". Genau das aber fordert die Weltbank seit Jahren. Man
hat sich erst einmal vertagt.
Rund 60 Prozent der Malier leben unterhalb
der Armutsgrenze. Viele Männer gehen deshalb als
Saisonarbeiter in die benachbarte Elfenbeinküste. Das ist eine
der Quellen für AIDS. Offiziell liegt die Quote in Mali bei
1,7 Prozent. Äußerst niedrig im Vergleich zu Namibia oder
Botswana, wo jeder dritte infiziert sein soll. "Die offizielle
Statistik in Mali entspricht nicht der Wirklichkeit", meint Hauke
Nagel. Aboubakar Coulibaly ist Mitte 20 und Vorsitzender einer
Anti-AIDS-Initiative im Kreis Koro. Mit Theater- und
Filmvorführungen in Dörfern bemüht er sich um
Aufklärung. "Nicht wenige meiner Landsleute glauben noch
immer, dass Franzosen und Europäer Neugeburten verhindern und
Mali damit schaden wollen. Hier in Dourou, wo ich unterrichte,
wissen die Menschen nichts von der Krankheit. Viele Frauen werden
unverändert beschnitten. Dabei wird ein und dasselbe Messer
benutzt. Ein Grund, warum sich der Virus verbreiten kann."
Sex-Tourismus ist eine weitere Ursache für AIDS.
Neun von zehn Maliern bekennen sich zum
Islam. Anders als Algerien, Libyen oder Ägypten ist Mali qua
Verfassung ein laizistischer Staat. Es gibt keine Rechtsprechung
nach der Scharia. Überhaupt scheint der Islam vielfach ein
Zuckerguss auf einer darunter liegenden Schicht animistischen
Glaubens zu sein. "Die Malier sind keine Sklaven ihrer Religion und
sie leben keineswegs trocken, Alkohol ist hier nicht verboten",
erklärt Ross Velton, der den aktuellsten und eingängisten
Reiseführer über Mali verfasst hat.
Djenné, die Stadt mit der
größten Lehmmoschee der Welt im Herzen Malis, gilt als
besonders gläubig. "Manche Eltern schicken ihre Kinder lieber
hierher statt in die staatlichen Schulen", sagt Kumbaba Tanapo, ein
Marabout, wie sich hier die Mullahs nennen. "Wir vertreten nicht
die strenge wahhabitische Auslegung des Islam. Der Islam in Mali
ist sufistischer Prägung." Auch wenn es ein offenes Geheimnis
ist, dass einige Gemeinden und Schulen Geld aus Saudi-Arabien
beziehen, eine Fundamentalisierung ist in Djenné nicht
sichtbar.
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