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Sönke Giard-Weiss
Ein Kontinent besinnt sich langsam auf die
eigenen Kräfte
Totgeglaubt und totgeschrieben - Afrikas langer
Weg in die Zukunft
Vor rund 100.000 Jahren machten sich unsere Vorfahren auf den
Weg, um neue Lebensräume zu finden. Aus Neugierde, aus Not,
aus welchen Motiven auch immer. Afrika wanderte, verließ seine
Wiege. Wir alle, vom Hartz IV-Empfänger bis zum Bundeskanzler,
entstammen dem so genannten Schwarzen Kontinent. Vor etwa 90.000
Jahren siedelten sich einige von ihnen am Mittelmeerraum an, andere
zog es ins heutige Asien und nach Australien, wo sie vor 40.000
Jahren Fuß fassten und neue Kulturen gründeten.
Mitteleuropa wurde vor gut 30.000 Jahren erreicht, Südamerika
vor 12.000.
Heute, im Jahre 2005, denken wir darüber nach, wie man den
Mond bebauen könnte. Wir klonen Schafe, wahrscheinlich auch
bald Menschen. Wir haben Waffen entwickelt, die die Erde ein
mehrfach zerstören könnten. Wir schlucken Pillen gegen
jedes Wehwehchen und nehmen die Welt durch die Fernsehnachrichten
wahr.
Aber all diese Talente, wie auch immer sie genutzt werden,
entstammen unserer ursprünglichen Herkunft: Afrika, wo derzeit
die Häfte der etwa 800 Millionen Menschen in extremer Armut
lebt, wo sich jedes Jahr über drei Millionen Menschen mit
HIV/AIDS infizieren, wo wir allein bei der Nennung des Wortes
lieber weg- als zuhören.
Wo es aber auch, leider viel zu wenig betrachtet, nach über
100 Jahren von Ausbeutung und Stellvertreterkriegen wieder
Fortschritte gibt. Einer der Hoffnungsträger des
zweitgrößten Kontinents der Erde ist beispielsweise die
Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung, kurz NEPAD, die
eine dynamische Beziehung zu verschiedenen hoch entwickelten
Ländern geknüpft hat, eine Partnerschaft, bei der die
Afrikaner endlich ihre eigene Agenda bestimmen und sich keine
Doktrinen von außen mehr überstülpen lassen.
NEPADs Selbstbewusstsein und Kenntnis ist es mit zu verdanken,
dass 19 afrikanische Sub-Sahara-Länder ein jährliches
Wirtschaftswachstum von fünf Prozent und mehr haben, dass in
15 Ländern die Einkommensarmut sinkt, dass es zu mehr
Demokratisierung kommt, dass mehr und mehr Menschen Zugang zu
Dienstleistungen wie Wasser- und Elektrizitätsversorgung
haben, dass sich bislang 23 Länder für einen
Schuldenerlass qualifiziert haben, dass Zivilgesellschaften
aufgebaut werden und sich, was besonders bemerkenswert ist, die
Zahl der Konflikte und Kriege in den zurückliegenden Jahren
drastisch verringert hat.
Selbstverständlich ist dies alles noch längst nicht
genug. Im September dieses Jahres, wenn die UN-Vollversammlung
ihren Bericht über die Millennium-Entwicklungsziele vorlegen
wird, die bis 2015 erreicht sein sollen, wird sich zeigen, dass
Afrika noch einen langen Weg vor sich hat. Die aktuellen Fragen
heißen: Wie kann die Internationale Gemeinschaft nachhaltig
helfen? Was braucht Afrika von uns? Was kann es selber leisten?
Vertrauen ist dabei wohl der wichtigste Punkt. Hier liegt es
besonders an den G8-Staaten, eine Vorbildfunktion zu
übernehmen. So muss Afrika, beziehungsweise das Bündnis
der Afrikanischen Union (AU), intensiver in globale Direktiven
eingebunden werden. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die AU braucht
mehr Einfluss auf Entscheidungsebenen bei der Weltbank wie dem
Internationalen Währungsfond, um, zum Schutz der Menschen,
wegweisend auf die immer schneller werdende Globalisierung
reagieren zu können.
Gerade bei Verhandlungen von Seiten dieser beiden
Finanzinstitutionen spielen das Leben von Millionen von Menschen
und ihre wirtschaftlichen Kompetenzen nicht die tragende Rolle,
sondern vielmehr globale Interessen, denen der einzelne Afrikaner
kaum Rechnung tragen kann. Dieses ungleiche Kräfte- und
Interessenverhältnis muss sich ändern.
Parallel dazu muss es ein Umdenken bei der Entwicklungshilfe
geben. Hier darf nicht die Quantität der ausschlaggebende
Faktor sein, sondern es müssen Qualitätsansprüche
gestellt werden. Viele Regionen Afrikas sind regelrecht
abhängig gemacht worden von fremden Geldern, so dass sie ohne
diesen Zufluss nicht mehr existieren können.
Beängstigende Studien belegen diese unbefriedigende Situation.
Hilfe zur Selbsthilfe, der Weg aus eigener Kraft, ist ein noch
junges Konzept, das viel weiter ausgebaut werden muss, anstatt dass
Länder der Internationalen Gemeinschaft Jahr für Jahr
Entwicklungsgelder als Abschreibeposten über dem Kontinent
ausschütten, weil es so bequem ist und dem Gewissen gut tut.
Nach dem Motto: "Wir tun ja was". Das Resultat solcher Politik
lautet: Die Menschen sind ein Jahr lang still. Und dann?
Weiter ist es unabdingbar, ja, für Afrika lebensnotwendig,
die verheerende HIV/AIDS-Epidemie in den Griff zu bekommen. In
einigen Sub-Sahara-Ländern liegt die Infektionsrate inzwischen
bei teilweise über 30 Prozent. Die eigentlich
produktionsstärkste Gruppe der 20- bis 40-Jährigen stirbt
weg, übrig bleiben Waisen und Alte. Fachleute gehen davon aus,
dass bis zum Jahr 2020 die am schlimmsten betroffenen Länder
rund 20 Prozent ihres Bruttosozialproduktes einbüßen
werden.
Allein in diesem Jahr sind mindestens vier Milliarden Euro
notwendig, um so genannte Antiretrovirale Medikamente zur
Verfügung zu stellen, die das Fortschreiten der Krankheit bei
Patienten hemmen. Gesetze in der Patent- und Kostenregelung
für den Export dieser Medikamente müssen von den
G8-Staaten überarbeitet werden, damit diese so schnell wie
möglich auch auf dem afrikanischen Markt erschwinglich werden
und nicht nur dem westlichen Konsumenten zugute kommen. Es kann
nicht sein, dass lebensrettende Medikamente nur dem reichen Teil
der Menschheit zugänglich sind.
Die Folgen von HIV/AIDS, eben Verarmung, tragen darüber
hinaus auch zu sozialen Konflikten und Unruhen bei. Ein
wirtschaftlich stabiles Land ist in sich geschützter - auch
vor Terrorismus - als ein armes Land, das sich gegebenenfalls an
den Reichtümern des Nachbarn bedienen muss, um zu
überleben. Frühwarnsysteme und Programme zur
Konfliktprävention müssen deshalb weiter etabliert und
ausgebaut werden, Schuldenerlasse, wie beispielsweise bei Sudan und
Somalia, müssen gewährt sowie Gesetze gegen den
Waffenexport in gefährdete oder kriegführende Länder
verabschiedet werden.
Zweifelsohne, und hier schließt sich der Kreis, könnte
Afrika seine Bevölkerung allein ernähren und mit Wasser
versorgen. Die dafür notwendigen Ressourcen sind vorhanden.
Dennoch leiden 50 Prozent der Menschen dieses Kontinents unter
chronischem Hunger.
Hier bedarf es schnellstens neuer Gesetze, die gerade arme
Kleinbauern stärken und, wichtiger noch, Reglementierungen,
die verbieten, dass westliche Länder Afrika mit ihren
Billigwaren überhäufen. Land- und Eigentumsrechte
müssen endlich den Menschen von ihren Regierungen zugestanden
werden. Mikrokredite sind dann der Schlüssel für
wirtschaftliche Eigenständigkeit und eine daraus resultierende
Prosperität.
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