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Christoph Oellers
Pragmatische Kämpferin für
Gerechtigkeit
Bayerns stellvertretender
Juso-Landesvorsitzenden Angela Greulich geht es um Inhalte, nicht
um Personen
Wenn ihre Freunde auf Partys gehen, sitzen sie noch im
Ortsverein. Jede freie Minute widmen sie der Partei, fast jeder
Kontakt ist auch politisch. Der Weg in die große Politik ist
lang. Doch sie wollen ihn gehen: Ehrgeizige Talente gibt es in
allen Parteien - trotz aller Nachwuchssorgen. "Das Parlament"
stellte einige Jungpolitiker vor:
Angela Greulich umgreift einen schulterhohen Stapel brauner
Kartons, als wolle sie ihn liebkosen. Ihn. Die Kartons stehen an
einer Bürowand in der Zentrale der Münchner und
bayerischen SPD, über denen ein überlebensgroßer
Willy Brandt wie beiläufig hängt; hängt, nicht
schwebt. Das Bild zeigt den Altkanzler, wie er im Jeanshemd
Mandoline spielt und cool eine Zigarette im Mundwinkel dahinglimmen
lässt. Es ist von Beginn der 70er-Jahre auf dem
mutmaßlichen Höhepunkt seiner Macht, seines Ansehens,
seines Ruhms, jedenfalls weit vor dem ersten Lichteinfall, den
Angela Greulichs blaue Augen im Sommer 1979 in München
abbekamen. Seit zwei Jahren ist sie stellvertretende
Landesvorsitzende der bayerischen Jungsozialisten. Brandt benennt
sie als einziges ihrer vielen Vorbilder. "Ich bin da nicht so
fixiert", sagt sie. Aber Brandt sei ja ein Klassiker. Sie sagt das
nüchtern, routiniert, selbstverständlich. 2000, als sie
der SPD beitrat, war der Klassiker schon knapp acht Jahre tot.
Ausgangspunkt ihres politischen Engagements war Langeweile. Die
Lehre als Werbekauffrau habe ihr nichts gegeben. "Sachen an Leute
verticken, die sie doch nicht brauchen." Sie brauche aber, wenn sie
in der Früh aufstehe, ein gewisses Ziel vor Augen. Sie hat
zunächst versucht, bei amnesty international eine Aufgabe zu
finden. Dabei hat sie allerdings feststellen müssen, dass die
Themen doch einerseits eng begrenzt sind, andererseits die so
genannten NGOs sich immer auf andere verlassen müssen: auf
Verstärker, auf Politiker oder Journalisten, die ihre Themen
an die Öffentlichkeit bringen sollen. "Da muss man immer als
Bittsteller auftreten, hat aber keinen direkten Einfluss." Sie habe
gemerkt, dass man nur in der Politik unmittelbar etwas bewirken
kann, "weil man da am längeren Hebel sitzt". Sie ist
Idealistin und Pragmatikerin zugleich. Soziale Gerechtigkeit
heißt ihr hehres, großes, allgemeines Ziel, für das
sie kämpfen will. Aber eben nicht in einem Luftschloss oder
mühsam und erfolglos gegen irgendwelche Windmühlen,
sondern von Positionen aus, die ihr Einfluss gewähren. Sie ist
Tochter eines Sozialpädagogen, der sich als Streetworker um
besonders schwierige Jugendliche kümmert. So musste sie nicht
lange überlegen, welcher Partei sie sich zuwendet. "Die SPD
war ohne Konkurrenz." Vielleicht aber haben auch Kindheit und
Jugend in tiefschwarzer Provinz, im oberbayerischen Wallfahrtsort
Altötting, den Sinn für Schwächere und Minderheiten
geschärft. Sie hat die Provinz nach dem Abitur schnell
Richtung Geburtsstadt München verlassen. An der
Ludwig-Maximilians-Universität studiert sie mittlerweile im
achten Semester Volkswirtschaft. Sie schätzt den
Überblick, sie liebt das Wort Rahmenbedingung, und wenn die
Sprache auf wichtige Aufgaben der nächsten 20, 30 Jahre kommt,
nennt sie den Aufbau eines einheitlichen Sozialstaates auf
EU-Ebene. "Momentan haben wir das Problem, dass die Staaten sich
runterkonkurrieren mit verschiedenen Kapital- und
Einkommenssteuersätzen, so dass es ein sogenanntes race to the
bottom gibt." Mit den Schlussworten fallen ihre Finger ineinander,
die Ellenbogen sind auf den Tisch gestützt. Ihr schwarzer
Rollkragenpullover verstärkt den Anschein einer
klösterlichen Betschwesterstrenge. Natürlich rechnet sie
sich dem linken Flügel zu - "ganz klar" - , zu dem der so
genannten Traditionalisten. Natürlich hat sie große
Bedenken gegen die Reform des Sozialstaats, wie sie die
Bundesregierung betreibt. "Mir gefällt die Schieflage nicht.
Mich stört das Klischee vom faulen, daheimsitzenden
Arbeitslosen, vor allem aber: dass der Faktor Kapital
überhaupt nicht in die Verantwortung gezogen wird." Ginge es
nach ihr, würden die Gewinne einerseits stärker
besteuert, andererseits sich die Löhne an ihnen ausrichten.
Vor zwei Jahren war sie maßgeblich an dem Mitgliederbegehren
beteiligt, welches eine Gruppe um den jungen Bundestagsabgeordneten
und damaligen bayerischen Juso-Vorsitzenden Florian Pronold gegen
die Agenda 2010 anstrengte. Vergeblich. Ob sie damals ernsthaft an
einen Erfolg geglaubt habe? Angela Greulich schiebt sich mit dem
Rollenstuhl etwas vom Tisch und sagt dann im Heranziehen: "Wir
haben vielleicht zu wenig Überzeugungsarbeit geleistet bei
Mandatsträgern. Da hatten im Vorfeld auch mehr zugesagt.
Trotzdem glaube ich, war das Begehren ein Erfolg, weil deutlich
wurde, dass es innerhalb der Partei eine Diskussion gibt, dass
nicht alle Leute gleich ticken." Auch wenn ihr an der SPD vieles
nicht gefällt, sie aufregt, dass Schröder wie
Müntefering ohne große Linie, ohne Konzept agieren,
stattdessen ständig auf Stimmungslagen schielen würden,
hält sie nichts von linken Neugründungen: "Das
schwächt uns rein mathematisch. Als Splitterpartei habe ich
keinen Einfluss." Es sei daher noch immer die bessere Alternative,
innerhalb der Partei Kritik anzubringen. Und so wünscht sie
sich auch für 2006 einen Sieg der Regierungskoalition: "Wir
sind das geringere Übel. Und ich glaube, das fühlen die
Leute auch." Angela Greulich geht es um Inhalte, weniger um ihre
Person, schon gar nicht um Personen. Wer da zum Beispiel in
München 2008 die Nachfolge von OB Christian Ude antreten
könnte, interessiert sie "überhaupt nicht", sagt sie
nachdrücklich. Es geht ihr mehr um Einfluss als um bloße
Macht. Sie will was verändern und "nicht mein Gesicht vor
Kameras halten". Sie will kontrollieren, was sie tut, die
Fäden in der Hand halten. "Das bin nun einmal ich." Dabei
lacht sie, als ob sie ihre eigenen Worte überrascht
hätten. Das sind Momente, in denen sie ihre Strenge, ihre
Selbstkontrolle verliert, und sie fast wie ein Mädchen wirken
lassen. So wie vor dem Foto mit dem Freizeit-Brandt, der auch
Männer verstehen lassen könnte, warum ihn Frauen
verehrten. Das, was da ungezügelt für einen Augenblick
durchscheint, fängt sie sofort wieder ein, indem sie die Frage
nach der Wirkung Brandts als Frauenheld im Jahr 2005 ignoriert. Sie
schweigt.
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