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Ulrike Schuler
Die Krux mit der Wehrhaftigkeit
Zur geplanten Verschärfung des
Versammlungs- und Strafrechts
Wie sehr bestimmen Bilder die Politik? Die Fotos
von Neonazis, die im Januar 2000 martialisch durchs Brandenburger
Tor marschierten, spielen jedenfalls in der Debatte um die
Verschärfung des Versammlungsrechts eine erhebliche Rolle -
insbesondere die Furcht, dass es am 8. Mai erneut zu solchen
Bildern kommen könnte. Nun hoffen SPD und Grüne, dass
sich mit der geplanten Verschärfung des Versammlungs- und
Strafrechts die Anlässe für solche Fotos in Zukunft
leichter verhindern lassen. Doch der Union geht der vorgelegte
Gesetzentwurf der Regierungskoalition noch nicht weit genug.
Wir wollen die NPD beschränken, aber
nicht so weit gehen, das Versammlungsrecht für alle
Bürger einzuschränken", kommentiert die innenpolitische
Sprecherin der Grünen, Silke Stokar, den Entwurf und
berührt ein grundsätzliches Problem: Wie wehrhaft darf
die Demokratie sein, ohne dass sie sich selbst demontiert, indem
sie existenzielle Grundrechte beschneidet? Die rot-grüne
Regierungskoalition ist überzeugt, die Gratwanderung geschafft
zu haben. Am 11. März sollen die Einschränkung des
Versammlungs- und die Verschärfung des Strafrechts im
Bundestag verabschiedet werden. Eigentlich sollte der Gesetzentwurf
bereits am vergangenen Freitag in zweiter und dritter Lesung
verabschiedet werden, doch die Union setzte eine
Expertenanhörung für den 7. März und damit eine
Aufschiebung des Gesetzgebungsverfahrens durch.
Nach den Vorstellungen der Koalition soll
künftig mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden
können, wer von den Nationalsozialisten begangene
Menschenrechtsverletzungen billigt oder verherrlicht und dadurch
die Würde der Opfer verletzt. Die neue Regelung ginge
über den Straftatbestand der Holocaust-Leugnung hinaus.
Bespielsweise wäre auch die Billigung der
Zwangssterilisationen oder der Morde an Homosexuellen unter dem
NS-Regime strafbar. Wenn die Gefahr besteht, dass auf einer
Demonstration derartige Straftaten begangen werden, könnte sie
auf dieser Basis verboten werden. Ziel solle allerdings nicht sein,
alle rechtsextremen Demonstrationen zu verbieten. "Solange die NPD
nicht verboten ist, dürfen wir sie nicht durch Trickserei ganz
von der Straße bringen, das wäre verfassungswidrig",
erklärt Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der
SPD-Fraktion.
Zudem sollen NS-Gedenkstätten besonders
geschützt werden, wenn die Würde der Opfer
beeinträchtigt wird. Namentlich im Entwurf erwähnt ist
das Holocaust-Mahnmal, weitere Gedenkstätten sollen dazu
kommen. "Ich gehe davon aus, dass es eher 15 als 50 sein werden",
sagt Stokar. Lange umstritten war in der Koalition die Frage,
inwieweit die Länder die besonderen Orte bestimmen
können. Rot-Grün hat sich auf eine Festlegung durch den
Bund geeinigt. "Wir haben die Verantwortung, dass es keine
ausufernde Liste wird", begründet Stokar. Die Union
möchte allerdings eine Länderbeteiligung durchsetzen,
auch Rheinland-Pfalz machte einen entsprechenden Vorstoß im
Bundesrat.
Der Union gehen die rot-grünen
Pläne jedoch nicht weit genug. "Mit der jetzigen Formulierung
der Strafgesetzänderung kann der angestrebte Zweck nicht
erreicht werden", ist der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende
Wolfgang Bosbach überzeugt. Es sei erstmal nur eine
Behauptung, dass mit dem neuen Strafgesetz rechtsextremistische
Demonstrationen verboten werden könnten. "Das werden Gerichte
zu prüfen haben", so Bosbach. Die Union will Holocaust-Mahnmal
und Brandenburger Tor in den befriedeten Bezirk um den Bundestag
einschließen. Nach ihren ursprünglichen Plänen
sollten in der so ausgeweiteten Bannmeile nur in
Ausnahmefällen Demonstrationen möglich sein.
Vergangene Woche machte die Union den
Kompromissvorschlag, grundsätzlich Demonstrationen in der
ausgeweiteten Zone zu erlauben und nur in Ausnahmefällen zu
verbieten - so wie es derzeit im befriedeten Bezirk des Bundestages
gehandhabt wird. "Rot-Grün hat das abgelehnt", berichtet
Bosbach und hält es inzwischen für "ziemlich
unwahrscheinlich", dass Regierungsparteien und Union auf einen
gemeinsamen Nenner kommen. Den schwarzen Peter schiebt er den
Grünen zu, mit der SPD sähe er noch
Einigungschancen.
In der rot-grünen Koalition findet man
eine breite Zustimmung bei diesem Thema zwar wünschenswert,
ist sich aber bewusst, dass die eigene Mehrheit reicht. So bleiben
die Grünen bisher bei ihrer strikten Ablehnung einer
erweiterten Bannmeile. "Die grüne Fraktion ist sich einig,
dass wir einer Ausweitung der Bannmeile auf das Brandenburger Tor
nicht zustimmen werden", sagt Stokar. Ihr Fraktionskollege
Christian Ströbele argumentiert: "Die Einschränkung der
Demonstrationsfreiheit ist nur zulässig, um die
Funktionsfähigkeit des Bundestages zu sichern." Diese
Argumentation gelte für das Brandenburger Tor nicht, eine
Ausweitung der Bannmeile dorthin sei verfassungswidrig. So sieht es
auch der Verfassungsrechtler Christian Pestalozza: "Die Ausweitung
der Bannmeile auf Holocaust-Mahnmal und Brandenburger Tor passt von
der Idee her nicht." Zu der Regelung aus Bonner Regierungszeiten
mit relativ großer Bannmeile und striktem Demoverbot
zurückzukehren, hält der Professor an der FU Berlin
für einen "Rückschritt": "Die liberale Berliner Regelung
hat sich bewährt."
Die Verfassungsbedenken, die noch an dem
inzwischen verworfenen Entwurf von Bundesinnen- und
Justizministerium geäußert worden waren, hält die
Grüne Stokar für ausgeräumt. "Unser Entwurf ist
jetzt so formuliert, dass er eine Ausweitung des bereits
bestehenden Strafbestandes der Auschwitz-Lüge ist. Dadurch,
dass ein Bezug zu Menschenrechtsverletzungen im Nationalsozialismus
und der Würde der NS-Opfer hergestellt wird, geht es nicht
mehr um die Bestrafung einer bestimmten Gesinnung", erläutert
Stokar. Auch Wiefelspütz hält die jetzigen Formulierungen
für verfassungsfest: "Wir haben sehr darauf geachtet, dass wir
den Rechtsextremen nicht einen billigen Triumph geben, indem sie in
Karlsruhe gewinnen." Der Sozialdemokrat gibt jedoch durchaus zu,
dass es ein schwieriges Abwägen ist, Grundrechte anzutasten,
um Neonazis ihre Agitation zu erschweren. Christian Ströbele
hat an diesem Punkt immer noch ein ungutes Gefühl, "weil der
Beschränkung der Meinungsfreiheit zu Recht enge Grenzen
gesetzt sind". Im Grunde hält Ströbele die derzeitigen
rechtlichen Möglichkeiten, die Würde der NS-Opfer vor
Neonazi-Demonstrationen zu schützen, für ausreichend.
Begeistert sei er also nicht, aber er trage den Vorstoß mit:
"Der neue Entwurf ist hinnehmbar."
Die FDP bleibt bei ihrer ablehnenden Haltung.
"Das, was jetzt in beispielloser Schnelle, auf den Weg gebracht
werden soll, ist der Einstieg in ein Gesinnungsversammlungsrecht
und verfassungsrechtlich äußerst problematisch", so der
innenpolitische Sprecher der liberalen Fraktion, Max Stadler.
Versammlungsrecht und Demonstrationsfreiheit seien essenziell
für die Demokratie. "Eine gravierende Einschränkung
dieser Rechte sollte nur dann geschehen, wenn sie zwingend
notwendig ist und diese Notwendigkeit sehen wir nicht", sagt der
Liberale.
Verfassungsrechtler Pestalozza ist ebenfalls
nicht überzeugt: "Das was hier angeboten wird, kann vom
Verfassungsgericht gekippt werden." Auch der Hinweis auf Karlsruher
Urteile zur Auschwitz-Lüge rechtfertige die derzeitigen
Formulierungen nicht. "Problematisch ist die spezifische
Ausrichtung gegen rechts", sagt Pestalozza. Die Meinungsfreiheit
könne nur aufgrund allgemeiner Gesetze eingeschränkt
werden, die quasi alle beträfen. Wollte man dem Gesetz die
spezifische Ausrichtung nehmen, müsse der Bezug zum
Nationalsozialismus gestrichen werden. Oder, so seine Idee, man
einige sich mit der Union und ändere das Grundrecht der
Versammlungsfreiheit im Grundgesetz: "Vielleicht wäre es sogar
ganz gut, wenn die Verfassung ein klares Wort zu dem Thema
verliert."
Allerdings betont der Professor, dass es nach
derzeitiger Gesetzeslage schon eine gute Handhabe gebe, Auflagen
oder Verbote nach der Klausel einer drohenden Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu verhängen.
Ähnlich sieht es der Schweriner Jurist und Autor des Buches
"Versammlungsrecht und Rechtsextremismus", Wolfgang Leist: "Wenn
eine rechtsextreme Demonstration an einem bestimmten Ort oder zu
einem bestimmten Datum so provokativ ist, dass die Opfer des
Nationalsozialismus verhöhnt werden, ist nach dem Begriff der
öffentlichen Ordnung ein Verbot gerechtfertigt." Auch
FDP-Politiker Stadler betont, dass eine NPD-Demo am 8. Mai schon
nach geltendem Recht verboten werden könnte "und verboten
werden muss". Pestalozza hält zudem die Aufregung um die
Bilder von den Neonazis am Brandenburger Tor für
"übertrieben". Sollte jedoch dadurch wirklich ein erheblicher
Ansehensverlust der Bundesrepublik hervorgerufen werden, könne
man darüber diskutieren, ob solche Demos wegen einer
Gefährdung der öffentlichen Ordnung verboten werden
könnten. Der Professor fügt noch eine andere
Argumentation hinzu: "Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit
bedeutet nicht automatisch eine freie Wahl des Ortes der
Demonstration." Zwar würde in der Praxis oft eine
Verknüpfung von Versammlungsrecht und Ortswahl hergestellt,
aber von der Verfassung her gebe es kein Recht, den Ort der
Versammlung selbst zu bestimmen.
Der Rechtsextremismusforscher Richard
Stöss ist der Ansicht, dass die Einschränkung des
Versammlungsrechts kein geeignetes Mittel im Kampf gegen
Rechtsextremismus ist. Die Rechtsextremen würden sich nicht
besonders beeinträchtig fühlen, wenn man ihnen den
Aufmarsch an Brandenburger Tor und Holocaust-Mahnmal verböte:
"Sie wollen provozieren, aber das kann man an vielen Orten."
Stöss fragt sich zudem, ob es in der Debatte wirklich um das
Wirken gegen Rechtsextremismus geht: "Ist es nicht eher Ziel,
unfreundliche Bilder zu verhindern und den Eindruck, den das im
Ausland macht?"
Zudem wären Verbote Wasser auf die
Mühlen der Neonazi-Argumentation, dass die Bundesrepublik
sowieso keine richtige Demokratie sei, da man nicht die Wahrheit
über den Nationalsozialismus sagen und nicht demonstrieren
dürfe. Ähnlich sieht es der Wolfgang Leist:
"Demonstrationen haben einen beruhigenden Effekt auf die
rechtsextreme Szene, sie haben damit ein Ventil, mit dem sie Dampf
ablassen können." Würde bei ihnen das Gefühl
entstehen, dass sie mit legalen Mitteln nicht für ihre Ziele
kämpfen könnten, würden sie viel eher auf den
Gedanken kommen, die Waffe in die Hand zu nehmen, warnt
Leist.
Ein weiteres Problem hat Pestalozza damit,
eine Liste besonders schützenswerter Orte festzulegen: "Das
erweckt den Eindruck, dass andere Orte den Schutz nicht verdienen,
dass es Orte erster und zweiter Klasse gibt." Zudem rügt
Pestalozza seiner Ansicht nach unklare Formulierungen im
Gesetzentwurf. Es sei schwer zu definieren, was "Gedenkstätten
von überregionaler Bedeutung" sind. Die Formulierung greife
beispielsweise weder für eine Deportationsrampe, die an die
NS-Schreckensherrschaft erinnere, noch für das Grab von Rudolf
Heß in Wunsiedel. "Gespenstisch" sei für ihn darüber
hinaus die Hektik im Verfahren gewesen, die vergessen lasse, dass
das Versammlungsrecht weder "das einzige noch das wichtigste
Mittel" im Kampf gegen radikale Tendenzen sei.
Vielleicht ist jetzt auch einfach die
Kreativität der Mehrheit der Demokraten gefragt, ähnlich
wie in Dresden dafür zu sorgen, dass es am 8. Mai nur Bilder
aus Deutschland gibt, die die Rechtsextremen ganz ganz klein
aussehen lassen.
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