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Marina Mai
Agent Orange vor Gericht
Vietnamesen wollen ihr Recht
Jack B. Weinstein ist ein gründlicher Mann. Mit dem
Richterspruch, der für den letzten Februartag erwartet worden
war, lässt sich der 83-jährige amerikanische
Bundesrichter vom Federal Court of Brook-lyn Zeit. Die brauche er,
um alle Beweisanträge zu prüfen, sagte er amerikanischen
Medien. Geklagt hatte die "Vietnamesische Vereinigung der Opfer von
Agent Orange". Ihr gehören rund 100 Vietnamesen an, die
während des Krieges, den der Westen den "Vietnamkrieg" und
Vietnamesen den "amerikanischen Krieg" nennen, mit dem Gift
besprüht wurden oder besprühte Nahrungsmittel aßen,
deshalb krank wurden oder Behinderungen erlitten. Betroffen sind
mindestens zwei Millionen Menschen. 80 Millionen Fässer
toxische Chemikalien, darunter Agent Orange, wurden neuesten
Forschungen zufolge während des Krieges über riesigen
Teilen Zentralvietnams und über dem so genannten
Ho-Chi-Minh-Pfad an den Grenzen zu Laos und Kambodscha abgeworfen.
Die Entlaubung des Regenwaldes galt als militärisches Ziel:
Die USA wollten das Laubdach beseitigen, das der so genannten
Befreiungsfront Tarnung und Schutz bot.
Die Gifte führen zu Krebserkrankungen bei Menschen, die auf
den Kriegsschauplätzen mit ihnen in Berührung kamen und
die noch heute Reis und Gemüse von verseuchten Böden
essen und zu schweren Missbildungen bei deren Kindern und
Enkeln.
In Vietnam wird die Klage mit großem Interesse verfolgt.
Dabei waren die Kriegsverletzten und Behinderten über
eineinhalb Jahrzehnte kein Thema im Land zwischen Rotem Fluss und
Mekong. Das Land durchlebt seit 1991 einen gewaltigen
Wirtschaftsboom mit jährlichen Wachstumsraten zwischen
fünf und elf Prozent. Vietnamesen präsentierten sich gern
in der Öffentlichkeit als erfolgreiche Geschäftsleute
oder Ärzte. Sie zeigten stolz die Zeugnisse der Kinder vor.
Die behinderten Familienangehörigen dagegen passten nicht in
das Bild einer aufstrebenden vietnamesischen Familie und wurden
gern versteckt. Die im Januar 2004 von drei mutigen Betroffenen
eingereichte Zivilklage rückte die Kriegsversehrten endlich
wieder in den Blick der Öffentlichkeit. Und die weiß die
Klage bei Richter Weinstein in guten Händen - auch wenn er
sich Zeit lässt, möglicherweise noch Monate.
Jack B. Weinstein, 1967 vom demokratischen Präsidenten
Lyndon B. Johnson als Richter auf Lebenszeit berufen, gilt seit
langem als ein eigenwilliger Mensch mit sozialem Gewissen. 1984
hatte er schon einmal über das Thema Agent Orange entschieden.
Die ehemaligen GIs, die das Giftgas transportierten, erstritten in
einem durch Weinstein erzwungenen außergerichtlichen Vergleich
von den Herstellerfirmen der Gifte Entschädigungen für
erlittene gesundheitliche Schäden. Fast 300.000 Veteranen
erhielten danach rund 180 Millionen Dollar Entschädigung
zugesprochen. Ein Schuldeingeständnis der Chemiefirmen war mit
der Zahlung jedoch nicht verbunden. Den Unternehmen war nur
wichtig, dass die unangenehme Sache schnell abgehakt war. Und sie
schien damit erledigt zu sein, denn die vietnamesischen Opfer
hatten damals niemand im Blick. Wegen des Handelsembargos der USA
gegen Vietnam konnten Vietnamesen allerdings nicht vor
amerikanischen Gerichten klagen.
Das Embargo fiel 1994. Wegen der schwierigen
vietnamesisch-amerikanischen Beziehungen dauerte es allerdings noch
einmal zehn Jahre, bis betroffene Vietnamesen die Klage
einreichten. Vor Gericht sind zwei Fragen strittig: Erstens halten
die 37 beschuldigten Chemiefirmen, darunter Dow Chemical und
Monsanto, die Kausalität zwischen den Giften und den
Krankheiten und Behinderungen der Kläger für nicht
erwiesen. Die Vietnamesen können sich dabei jedoch auf Studien
amerikanischer und kanadischer Universitäten berufen, die
diesen Zusammenhang zumindest statistisch nachweisen. Die Studien
wurden in der Clinton-Ära aus dem Staatshaushalt bezahlt.
Zweitens sehen sich die Chemiefirmen nicht als Adressat der
Klage. Sie berufen sich vor Gericht darauf, im Auftrag des
US-Militärs gehandelt zu haben. Folgt Richter Weinstein jedoch
dieser Argumentation, sieht es für die Opfer ziemlich schlecht
aus: Namhafte amerikanische Juristen halten eine Zivilklage gegen
die US-Regierung für nicht möglich.
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