Hartmann Wunderer
Ansichten ins Extrem verzerrt
Zu viel Toleranz gegenüber
Muslimen
Zu viel Toleranz gegenüber Muslimen?
Offenbar ja, meint der Journalist Günther Lachmann. Was die
Deutschen jahrzehntelang als Toleranz bezeichneten, sei letztlich
nichts anderes als Ignoranz. "In Wahrheit wollten sie mit den
Muslimen nichts zu tun haben – und die Mehrheit der Muslime
nichts mit den Deutschen." Und angesichts des islamischen
Bedrohungspotenzials müsse die Mehrheitsgesellschaft zwar das
durch Religion und Kultur begründete Anderssein der
muslimischen Minderheit anerkennen, dieser aber deutliche Grenzen
setzen.
Diese Grenzen sollte die
Mehrheitsgesellschaft selbstbewusst setzen und den Muslimen ihre
auf christliche Werte und dem Geist der Aufklärung
fußende Kultur entgegenhalten und "deutliche Anpassungen an
den westdeutschen Lebensstil" einfordern. Die Muslime müssten
ihr Ghetto verlassen und ernsthaft Interesse an einer Integration
in die Gesellschaft zeigen.
Lachmann skizziert die Zuwanderung seit den
60er-Jahren und beschreibt das Leben der Gastarbeiter und ihrer
nachfolgenden Familien in den tristen westdeutschen Ghettos sowie
gewalttätige ausländerfeindliche Aktionen. Dabei beklagt
er zu Recht, dass sich Deutschland nicht als Einwanderungsland
verstehe und der Immigration viel zu lange taten- und
konzeptionslos zugesehen habe.
Lachmann nennt Ursprünge des Islamismus
und charakterisiert deren führende Repräsentanten.
Weiterhin befasst er sich mit den auch in Deutschland aktiven
islamistischen Terrornetzen. Die Integration der Muslime in die
westliche Gesellschaft sei gescheitert, der Traum von einer
multikulturellen Gesellschaft sei geplatzt. Insgesamt
beschwört er die Gefahr einer "schleichenden Islamisierung"
Deutschlands.
Lachmanns Prognose und Ursachenanalyse
für die Entwicklung eines organisierten Islamismus in der
Bundesrepublik ist so unmissverständlich wie schlicht: "Es ist
abzusehen, dass der in dieser Isolation geförderte
fundamentalistische Islam Deutschland und Europa in eine schwere
gesellschafts- und machtpolitische Auseinandersetzung führen
wird." Die Gründe lägen auf der Hand: "Seit Jahren
wächst die Zahl der Muslime beständig. Damit nehmen nicht
nur der Islam, sondern auch seine radikalen Ausläufer
zwangsläufig immer breiteren Raum ein. Die Ghettos werden
weiterwachsen, dort werden noch mehr junge, in Deutschland geborene
Muslime leben, die in der sozialen Hierarchie ganz unten stehen,
weil sie keine Arbeit haben, von der Sozialhilfe leben und nicht
richtig Deutsch sprechen. Wenn sich nichts ändert, werden sie
an der Wissens- und Leistungsgesellschaft scheitern. Und sie werden
diese Gesellschaft ablehnen, vielleicht sogar hassen."
Zwar vermeidet der Autor allzu
skandalisierende Attacken auf den Islam oder die in Deutschland
lebenden Türken, aber differenzierende Zwischentöne sind
ihm weitgehend fremd. Er bezieht sich auch auf seriöse Studien
zur Lage der (überwiegend türkischen) Muslime in
Deutschland, aber er zitiert daraus in projektiver Weise
beunruhigende Aussagen, die seine Sicht stützen. So breitet er
ausführlich den Kopftuchstreit aus, aber vergisst dabei, dass
es bei kopftuchtragenden Lehrerinnen um äußerst wenige
Einzelfälle geht – in Hessen etwa gibt es zwar
neuerdings ein entsprechendes, politisch umstrittenes Gesetz, aber
keinen öffentlich bekannt gewordenen Konfliktfall, auf den es
angewandt werden könnte.
Generell lässt die Streitschrift
innermuslimische Differenzierungen völlig außer acht und
geht kaum darauf ein, dass es neben der traurigen
Ghettorealität auch ganz andere muslimische und türkische
Lebensverhältnisse in Deutschland gibt, die sich nicht so ohne
weiteres in sein deprimierendes Bild fügen. Neben
bedrückenden Schicksalen gedemütigter und
unterdrückter Musliminnen vollziehen sich
Emanzipationsprozesse von muslimischen Schülerinnen und
Studentinnen, die eben ihre Zeit brauchen.
Schrille Töne lenken den Blick auf
bedrohlich erscheinende Entwicklungen, sie verdecken dadurch aber
andere Prozesse, die sich nicht als Schlagzeilen eignen, die aber
der These von einer zunehmenden Desintegration der Muslime
entgegengehalten werden könnten.
Und schließlich: Wertorientierungen von
Menschen wandeln sich nur langsam. Dafür ist auch und gerade
die Geschichte der Bundesrepublik ein gutes Beispiel, vergleicht
man patriarchalische Strukturen, Orientierungen und
Mentalitäten nach 1945 mit gegenwärtigen.
Beträchtliche ökonomische Modernisierungsprozesse, die
sich in Teilen der Türkei vollziehen, führten bereits
seit einiger Zeit zu starken innertürkischen sozialen
Fragmentierungen. Ähnliches lässt sich auch für die
türkische community in Deutschland beobachten.
Lachmanns vorrangiger Blick vorrangig auf die
eingewanderten anatolischen Bauern und Hirten ist verengt und
verkürzt. In Deutschland leben auch viele Menschen aus
modernen türkischen Metropolen, die dem Islam und erst recht
dem Islamismus indifferent gegenüberstehen.
Günther Lachmann
Tödliche Toleranz.
Die Muslime und unsere offene
Gesellschaft.
Mit einem Beitrag von Ayaan Hirsi Ali
über die Situation der muslimischen Frauen.
Piper Verlag, München 2005; 296 S.;
14,– Euro
Der Autor lebt in Wiesbaden; er arbeitet als
freier Journalist vorwiegend zu sozial- und bildungspolitischen
Fragen.
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