Marianne Wollenweber
Verantwortung zeigen!
Grundlage für Menschenrechte
Analysen des westlichen Wohlstandsmodells und seiner
verheerenden Folgen für die Umwelt füllen mittlerweile
ganze Bibliotheken. Leider ist es um die Umsetzung des Leitbildes
einer nachhaltigen Entwicklung - einer vernünftigen Verzahnung
der ökologischen, ökonomischen und sozialen Entwicklung -
in die Praxis schlecht bestellt.
Es besteht kein Anlass zu der Hoffnung, dass die derzeitigen
Anstrengungen zur Ressourcenschonung und zum Klimaschutz den Weg
einer zukunftsfähigen, "dauerhaft durchhaltbaren" Entwicklung
ebnen können, meint Felix Ekardt. Denn bisher würden alle
Maßnahmen durch unsere Wohlstandszuwächse aufgefressen;
der Lebensstil in den westlichen Industriestaaten sei nach wie vor
nicht nachhaltig, ein Kurswechsel nicht in Sicht.
Einen Grund dieser Misere sieht der Professor für
Europäisches Verfassungsrecht und Umweltrecht an der
Universität Bremen und einer der jüngeren Mitglieder des
Club of Rome in einem Theoriedefizit der Nachhaltigkeitsdiskussion,
die sich weitgehend in Worthülsen ohne Begründung und
praktische Durchsetzung erschöpfe. Ekardts zentrale These: Wir
brauchen ein neues Gerechtigkeitskonzept, das in der Lage ist,
Demokratie und Menschenrechte in einem globalen Maßstab zu
begründen.
Gerechtigkeitsideen
Auf der Basis vernunftorientierter Werteentscheidungen
könne die Einsicht verbreitet werden, dass Freiheit, Zukunft
und globale Gerechtigkeit universal real werden müssten.
Gefühle, Religion, Tradition, Konformität und
eigennütziges Kosten-Nutzen-Denken seien untauglich,
Gerechtigkeitsideen zu begründen. Es gehe darum, im Rahmen
einer liberalen Grundordnung die Grundbedürfnisse aller
Menschen zu sichern .
Autoritären und gemeinschaftsorientierten Ordnungen erteilt
der Autor eine klare Absage. Dem von der Umweltbewegung so
geschätzten Philosophen Hans Jonas weist er - zumindest
zwischen den Zeilen - ökodiktatorische Züge nach. Ekardt
zitiert Jonas' bekanntes Werk "Prinzip Verantwortung", in dem
dieser für eine mögliche "Pause der Freiheit" zugunsten
der Menschheitserhaltung eintrete.
Nach Ekardt kann es ausschließlich eine liberal
begründete Nachhaltigkeit geben. Aber zukünftigen
Generationen stünde Freiheit in puncto Leben, Gesundheit und
Existenzminimum zu. Dies schließe Zukunftsrechte etwa auf
Trinkwasser, Nahrung, aber auch auf Klimaschutz mit ein. Das gelte
auch für Menschen in anderen Ländern, deren Lebensraum
man nicht allein als wirtschaftlichen Markt sehen dürfe.
Ekardt kritisiert die auf der Basis klassischer liberaler
Konzepte entstandene schrankenlose Wirtschaftsfreiheit und einen
"verantwortungslosen Hyperindividualismus". Zu seinem Prinzip
Nachhaltigkeit gehört ein Junktim von Freiheit und
Folgenverantwortlichkeit. Wenn Menschenrechte miteinander
kollidierten, sei es die Aufgabe des Staates, die Freiheit des
Einzelnen nicht nur zu achten, sondern ihn auch vor den
Mitbürgern zu schützen. Bei der Jahrhundertaufgabe
Nachhaltigkeit gehe es darum, über räumliche und
zeitliche Grenzen hinweg viel mehr an andere Menschen zu
denken.
Wenn aber globale und intertemporale Freiheitskonflikte letzten
Endes auch nur global lösbar seien, bedürfe es einer Art
demokratisch und freiheitlich orientierter Weltföderation oder
eines Weltstaates mit entsprechenden
Partizipationsmöglichkeiten und parlamentarischen Gremien.
Konzernen und Nichtregierungsorganisationen fehlt nach Ansicht des
Autors die Legitimation, um im Alleingang Umweltstandards
durchzusetzen.
Für ein gelungenes Beispiel einer liberalen
Nachhaltigkeitsentscheidung hält der Autor die Einführung
der Ökosteuer: Sie mache ein bestimmtes Verhalten teuer,
verbiete es aber nicht. Sie belaste den Einzelnen, der für die
Folgen des Verbrauchs fossiler Brennstoffe mitverantwortlich sei
und steuere das Verhalten des einzelnen Bürgers und des
Unternehmens in Richtung Energieeffizienz. Zudem sei sie relativ
unbürokratisch.
Verfassungsgrundlagen
Fazit: Felix Ekardts Beitrag zur Nachhaltigkeitsdiskussion
erstreckt sich über die Ebenen der Philosophie, der westlichen
Verfassungen und der Politik. Er ist absolut lesenswert. Es gelingt
ihm, seine Leser und Leserinnen von ihrer Verantwortung für
die Herausforderungen der Nachhaltigkeit zu überzeugen, ohne
je besonders die moralische Keule zu schwingen. Er unternimmt den
lobenswerten Versuch, individuelle Freiheit und ihre Begrenzung
durch Steuerung im Sinne einer gerechten Nachhaltigkeitsentwicklung
zu versöhnen.
Ekardt kommt - im Gegensatz zu fast allen seinen älteren
Mitstreitern vor allem aus der sogenannten 68er-Generation - ohne
Rückgriff auf Appelle an vermeintlich existierende
Kollektivinteressen aus. Der gegenwärtigen
Nachhaltigkeitspolitik und -diskussion bescheinigt er eine gewisse
beliebigkeit und fatale Harmonielastigkeit. Diese gehe leider zu
Lasten einer Dynamik und Sprengkraft, "ohne die wir nicht
zukunftsfähig werden, sondern Schiffbruch erleiden".
Felix Ekardt
Das Prinzip Nachhaltigkeit.
Generationengerechtigkeit und globale Gerechtigkeit.
Verlag C.H.Beck, München 2005; 184 S., 12,90
Euro
Die Autorin arbeitet in Bonn als freie Journalistin für
internationale Organisationen zu Fragen von Umwelt und
Naturschutz.
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