Enrico Syring
Blitzkrieg und Abnutzungskampf
Geschichte des Zweiten Weltkriegs
Vor zehn Jahren, am 50. Jahrestag des
Kriegsendes in Europa, wurde erbittert darüber gestritten, ob
Deutschland 1945 nur besiegt oder auch befreit worden war. Zugleich
waren nicht wenige Kommentatoren der Ansicht, dies sei wohl - auch
generationsbedingt - der letzte "runde" Jahrestag, zu welchem die
NS-Herrschaft mitsamt der von ihr entfesselten globalen Katastrophe
derart im Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit stehe. Diese
Meinung ist inzwischen gründlich widerlegt. Zumal in den
elektronischen Medien sind insbesondere die Jahre zwischen 1933 und
1945 präsenter als jemals zuvor.
In Zeiten des Umbruchs und weit verbreiteter
Zukunftsängste ist das allerdings nicht ungewöhnlich.
Gerade dann sucht man Halt und Orientierung in der jüngeren
Geschichte. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, wenn sich
die Autoren dieses Buches von vornherein ausdrücklich an die
interessierte Laienschaft richten, zumal sie dem Historiker hier
nichts wirklich Neues mitzuteilen haben.
Freilich sind H.P. Willmott, Robin Cross und
Charles Messenger allesamt vom Fach und ausgewiesene Kenner der
Materie. Und sie verstehen es ausgezeichnet, ihren Stoff
anschaulich und zu einer kurzweiligen Lektüre werden zu
lassen. Und sie bemühen sich um die Verknüpfung
unterschiedlichster Blickwinkel. Denn der Zweite Weltkrieg nimmt
sich nicht nur aus der Sicht der beteiligten Staaten zuweilen
höchst unterschiedlich aus. Er zog vielmehr die
verschiedensten Rückwirkungen auf die jeweiligen
Gesellschaftsordnungen und Wirtschaftssysteme nach sich. Auch das
Menschheitsverbrechen an den europäischen Juden beziehen die
Autoren im Gegensatz zu manchen weit umfänglicheren
Überblicksstudien in ihre Darstellung mit ein.
Der Band ist reich bebildert.
Übersichtliches Kartenmaterial, Kurzportraits der wichtigsten
Militärs aller Seiten, knappe Skizzen herausragender
Waffensysteme und besonderer Ereignisse sind zusätzliche
Farbtupfer. Besonders gelungen sind die übersichtlichen
Zeittafeln zu den einzelnen Abschnitten. Hier wird deutlich, wie
viele der militärischen Großereignisse sich chronologisch
überschnitten. Bei isolierter Betrachtung entsteht oft der
unzutreffende Eindruck, die Staatsführungen hätten sich
voll auf dieses oder jenes Geschehen konzentrieren können. In
Wirklichkeit war der Zweite Weltkrieg durch zahlreiche
wechselseitige Abhängigkeiten zwischen den verschiedensten
Kriegsschauplätzen gekennzeichnet.
Dass das Autorenteam ebenso anschaulich wie
umfassend in die Breite geht, hat freilich auch zur Folge, dass die
Tiefenschärfe darunter leidet. Sie vertreten mithin zuweilen
noch Positionen, die wissenschaftlich bereits überholt sind.
So ist beispielsweise seit der Arbeit Karl-Heinz Friesers klar,
dass sich so etwas wie eine geheimnisumwitterte deutsche
"Blitzkriegsstrategie" erst nach dem Sieg über Frankreich im
Sommer 1940 herausgebildet hat. Sie war Folge, nicht Ursache der
bis dahin erfolgreichen deutschen Eroberungsfeldzüge. Ferner
sitzen die Autoren noch immer der Legende von der angeblich
"größten Panzerschlacht der Weltgeschichte" am 12. Juli
1943 bei Prochorowka auf. Auch hier ist längst nachgewiesen,
dass das tatsächliche historische Ereignis nur wenig mit
seiner späteren propagandistischen Verklärung zu tun
hat.
Wirklich gravierend ist aber, dass die
Autoren die politisch-strategische Ebene dieses Krieges weitgehend
ausblenden. Welchem Grundkonzept, welcher "Generallinie" folgten
zumindest die Hauptmächte in ihrer Kriegführung? Bestand
sie bereits im Moment des Kriegseintritts oder hat sie sich erst im
Laufe der Zeit herausgebildet?
Gegensätzliche Doktrinen
Seit Andreas Hillgrubers Arbeit aus dem Jahre
1965 wissen wir, dass Deutschland im Moment der
britisch-französischen Kriegserklärung am 3. September
1939 über keinen grundlegenden "Kriegsplan" verfügte.
Erst innerhalb des folgenden Jahres entstand eine Leitlinie, die
derjenigen ähnlich war, mit der Japan im Dezember 1941 in den
Krieg eintrat: Beide Mächte setzten auf einen kurzen Krieg.
Beide wollten sich schnellstmöglich einen blockadefesten Raum
erobern. Sie gingen dabei von der Annahme aus, die Anglo-Amerikaner
würden vor einem langen Abnutzungskrieg, der zu dessen
Rückeroberung erforderlich wäre, zurückschrecken und
sich auf einen Verhandlungsfrieden einlassen. Dem deutschen
Überfall auf die Sowjetunion wohnte folglich auch eine
geostrategisch-wirtschaftliche Dimension inne. Er entsprang, anders
als die Autoren meinen, keineswegs allein einer "fixen Idee"
Hitlers.
Großbritannien und die USA kalkulierten
dagegen von vornherein einen langen Krieg, in dessen Verlauf sie
zunächst auch Rückschläge zu erleiden hätten.
Erst nach voller Mobilisierung ihres überlegenen
Wirtschaftspotentials wollten sie in die Offensive gehen. Zu Frage
einer sowjetischen "Leitlinie" sind der Forschung bisher zwar
einige Indizien bekannt; sie reichen zu einer abschließenden
Zusammenfassung aber noch immer nicht aus.
So bleibt die grundsätzliche Frage, ob
die Autoren nicht besser daran getan hätten, auf manche rein
kriegsgeschichtlichen Einzelheiten zu verzichten um dafür die
politische Militärgeschichte stärker zur Geltung zu
bringen. Ein solcher Orientierungsrahmen hätte gerade dem
Laien geholfen, die Übersicht zu bewahren. So aber wird er im
Laufe der ansonsten wirklich kurzweiligen und anregenden
Lektüre der Gefahr ausgesetzt, vor lauter "Bäumen" den
"Wald" allmählich aus den Augen zu verlieren.
H.P. Willmott / Robon Cross / Charles
Messenger
Der Zweite Weltkrieg.
Aus dem Englischen von Klaus Binder unter
Mitarbeit von Alia Pagin.
Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2005; 320
S., 39,- Euro
Der Autor hat sich in seiner publizistischen
Arbeit vor allem auf zeitgeschichtliche Fragen und Themen zum
Zweiten Weltkrieg konzentriert.
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