Manfred Funke
Vernichten oder vernichtet werden
Reinhard Heydrich
Dem Rasse- und Führerideal der NS-Elite kam Heydrich am
nächsten: groß, blond, langschädelig,
sportgestählt, mit einem Blick wie aus Wolfsaugen. Hitler
nannte ihn den Mann mit dem eisernen Herzen. Für Joachim C.
Fest ("Das Gesicht des Dritten Reiches") war er ein Mensch wie ein
Peitschenknall. Dieser wurde um so schärfer und bedrohlicher
vernehmbar, als "Schutzhaft" zum Terror der Willkür wurde und
der Rechtsstaat zur Diktatur verkam. Mit dessen rassistischer
Barbarei bleibt der Name Heydrich auf ewig verbunden.
Der Karriere dieses neben Hitler und Himmler gefährlichsten
Mannes im Dritten Reich hat Mario R. Dederichs nachgespürt.
2002 erschien seine "Stern"-Serie über die Macht des
Bösen. Das Buch dazu konnte er selbst nicht mehr beenden. Dies
besorgte Teja Fiedler nach Dederichs Tod 2003. Dederichs verdichtet
Skizzen von Fest, Studien von Aronson, Deschner, Calic und Sydnor
einerseits zur Reportage, erweitert diese andererseits um eigene
Archiv-Recherchen und Interviews mit Zeitzeugen. Manch neue Details
und Nuancen verwerfen indes nicht das bisherige Bild.
Die Lektüre lohnt besonders dort, wo sich der Autor auf die
Rezeption der NS-Verbrechen durch die deutsche Rechtsprechung nach
1945 konzentriert. Etwa längs des Weges, auf dem Heydrichs
Witwe ihre Rente erstritt. Zudem fasziniert in der Biografie
Heydrichs die Schilderung seiner Netzwerke und Führerauslese.
Beklemmend wirkt in ihren Protagonisten die gleichzeitige
charakterliche Präsenz von Intelligenz, Kälte,
Brutalität, Effizienz, polierten Manieren und musischer
Neigung. Über die Foto- und Filmdokumente von den Stätten
des Grauens sollen selbst Heydrich und Himmler gestöhnt haben.
Ferner bekräftigen Lesbarkeit, Umfang, Faktentreue,
psychologische Näherungen und ein ausführlicher Apparat
die Absicht des Autors, einer neuen Generation die
bedrückendste Epoche der deutschen und europäischen
Geschichte zu erläutern. Heydrich ist dabei Dederichs
Leitfigur.
Bereits als Gymnasiast tat sich der 1904 in Halle/Saale geborene
Heydrich als Meldegänger für das örtliche Freikorps
im Kampf gegen sächsische Kommunisten hervor. Die Eltern
betreiben ein privates Konservatorium. Der Vater reüssiert als
Sänger und Komponist. Eine Karriere bei der Marine beendet
Heydrich 1931 als Oberleutnant zur See mit unehrenhafter
Entlassung. Ein gebrochenes Eheversprechen soll der Grund gewesen
sein. Nur wenige Tage nach der Entlassung geht Heydrich, als
Funkoffizier ausgebildet, aufgrund einer privaten Empfehlung zu
Himmler, der mit dem Aufbau einer parteieigenen Geheimpolizei
befasst ist.
Eine steile Karriere beginnt. Bereits im Juni 1934 erfolgt
Heydrichs Beförderung zum SS-Gruppenführer
(Generalsrang). Ab Mai 1936 kommandiert er die Sicherheitspolizei,
die Gestapo, die Kriminalpolizei und den SD. Im September 1939 wird
Heydrich Chef des Reichssicherheitshauptamtes. Dazu kommt zwei
Jahre später das Amt des Stellvertretenden Reichsprotektors
für Böhmen und Mähren. Sein Vorgänger
Konstantin von Neurath wird von Hitler beurlaubt, weil der alte
Diplomat "zu milde und lasch" in Prag regiert.
Heydrich ist sich "seiner Tschechen", wie er sagt, sicher. Er
päppelt die Arbeiterschaft, um den Ausstoß an
Rüstungsgütern zu steigern. Mit dem Tod auf Du, stets
friedlos in Feindschaft zur Welt, riskiert der Protektor sein
Leben, indem er im offenen Wagen und ohne Eskorte durch Prag
fährt. Am 4. Juni 1942 fällt er einem Attentat zum
Opfer.
Am 31. Juli 1941 hatte Heydrich von Göring die Weisung
für einen Gesamtentwurf zur Endlösung der Judenfrage
vorzulegen. Im Protokoll der "Wannsee-Konferenz", die Heydrich
einberuft, finden wir die europaweiten Vernichtungsmaßnahmen
festgelegt. Im Einladungsschreiben an die Spitzen der beteiligten
Ressorts zu dieser Konferenz vermerkt er, dass "seit dem 15. 10.
1941 bereits in laufenden Transporten Juden aus dem Reichsgebiet
einschließlich Protektorate Böhmen und Mähren nach
dem Osten evakuiert werden".
Hinter der maschinenhaften Ermordung von Millionen wirkte eine
rassistische Herrschaftsutopie, die Heydrich für sich als
Entscheidung zum Vernichten oder Vernichtetwerden - ähnlich
wie Hitler - durch erbarmungslose Härte rationalisiert. Aller
humaner Rückgewinn aus der totalitären Erfahrung bedarf
unserer ständigen Selbstprüfung.
Mario R. Dederichs unter Mitarbeit von Teja Fiedler.
Heydrich. Das Gesicht des Bösen.
Piper Verlag, München/Zürich 2005; 328 S., 19,90
Euro.
Professor Manfred Funke lehrt Politikwissenschaft an der
Universität Bonn.
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