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Tanjev Schultz
Freunde verfremdender Formeln
Der Briefwechsel Born - Einstein
Er sei wieder "Sklave des verd. Briefboten, der
mich erbarmungslos überschüttet", schreibt Albert
Einstein seinem Kollegen Max Born. Es ist ein Tag im August 1921.
Zwei Jahre zuvor haben astronomische Messungen die
Relativitätstheorie bestätigt; seither kann sich der
Physiker vor Post kaum retten. Im Laufe seines Lebens schrieb er
Tausende von Briefen, an Fans und Hobbyphysiker ebenso wie an
Größen aus Politik, Wissenschaft und Kultur.
Mit Born, dem Göttinger Physiker und
späteren Nobelpreisträger, tauscht sich Einstein nicht
nur über wissenschaftliche Fragen aus. Die beiden verbindet
eine lange Freundschaft. Und als vermeintliche Vertreter einer
denunzierten "jüdischen Physik" müssen sie vor den Nazis
fliehen. So gewährt der kommentierte Briefwechsel, den Born
1969 herausgab und der nun in einer ansprechenden Neuauflage
vorliegt, dem Leser nicht nur Einblicke in die Kontroverse um die
Quantenmechanik, er zieht ihn auch hinein in die unheilvollen
Zeitläufte.
Während des Ersten Weltkriegs arbeitete
Einstein an der Akademie der Wissenschaften in Berlin. Der drei
Jahre jüngere Born war bereits Professor, musste aber den
Kriegsdienst als Mitarbeiter einer
Artillerie-Prüfungskommission ableisten. Sein Büro lag
nicht weit von Einsteins Wohnung, oft hockten sie zusammen und
diskutierten über Physik und Politik. Nach dem Krieg
äußerte sich Einstein voller Zuversicht: "Ich bin
überzeugt, daß das Kommende weit weniger hart sein wird,
als das in den letzten Jahren Erlebte."
Doch schon 1920 werden die Freunde auf einer
Konferenz mit antisemitischer Hetze konfrontiert.
Wenig später berichtet Born aus
Göttingen, er habe es nicht geschafft, die Berufung eines
jüdischen Kollegen durchzusetzen. Dessen Aussichten seien
"unter den heutigen, antisemitischen Verhältnissen recht
betrüblich". Er beobachte außerdem, wie sich
Rachegefühle gegen die Franzosen ausbreiteten: "Es scheint mir
unabwendbar, daß einmal neue Katastrophen daraus entstehen
werden."
1933 rettet sich Born, der von sich sagt, er
habe sich bis dahin nie besonders als Jude gefühlt, über
Italien nach England und wird Professor in Edinburgh. Erst 1954
kehrt er nach Deutschland zurück. Einstein lässt sich in
Princeton nieder, nie mehr reist er zurück ins "Land der
Massenmörder". Nach der Emigration sehen sich die Freunde
nicht wieder, bleiben aber in Kontakt. Auch Borns Frau Hedi
beteiligt sich am Austausch; Einstein nennt ihre Briefe
"Meisterstücke" und erfreut sich an ihren
Gedichten.
Zwar tritt Born dem mächtigen Einstein
oft als Bittsteller gegenüber, doch kann er sich auch
deutliche Worte leisten. Im Herbst 1920 versucht er, den Freund von
der Veröffentlichung eines Interviewbändchens
abzubringen, weil er fürchtet, es könnte Neidern und
Antisemiten eine Vorlage bieten. "Du verstehst das nicht, Du bist
ein kleines Kind", hält er Einstein vor. Dieser fügt
sich, merkt aber an: "Mir ist die ganze Sache gleichgültig
nebst dem Geschrei und der Meinung aller Menschen."
Wenn sich die beiden über den Betrieb
der Wissenschaft auslassen, wirkt vieles verblüffend vertraut.
Er müsse leider ein Jahr lang das Dekanat übernehmen,
klagt Born. Lange Zeit habe er sich durch teils echte, teils
vorgetäuschte Trottelhaftigkeit in Amtsgeschäften davor
drücken können, aber nun sei er dran. Es wird ein
schweres Jahr: Wegen Sparmaßnahmen sind die Stellen der
Assistenten bedroht. Nur durch Gehaltsverzicht der Professoren kann
Born die Mitarbeiter halten. Und Einstein fragt sich, warum man
jungen Forschern nicht einfach feste Amtsstellen mit verminderter
Stundenzahl gibt: "Dies wäre entschieden besser als befristete
Stellen, da der Storch für die geistigen Geburten ein Bohemien
ist, der sich auf keine Lieferzeit einläßt."
Immer wieder kreisen die Briefe um die
Quantenmechanik. "Der Gedanke, daß ein einem Strahl
ausgesetztes Elektron aus freiem Entschluß den Augenblick und
die Richtung wählt, in der es fortspringen will, ist mir
unerträglich. Wenn schon, dann möchte ich lieber Schuster
oder gar Angestellter in einer Spielbank sein als Physiker",
schreibt Einstein. In einem Brief gebraucht er auch die
berühmte Formulierung, er sei überzeugt, "der Alte" -
Gott - würfle nicht. So finden die Freunde in der Physik bald
keinen gemeinsamen Nenner mehr. Die Formeln, die sie sich
entgegenschleudern, dürften nur Fachleuten verständlich
sein.
Doch jedem Laien wird klar, dass sich
Einstein zunehmend isolierte. Er hatte die Wissenschaft
revolutioniert, aber dem Zug, in dem Quantenphysiker wie Born jetzt
saßen, mochte er nicht mehr folgen. Von der eigenen
Fehlbarkeit hatte Einstein freilich einen genauen Begriff. Gelassen
gesteht er einmal ein fehlerhaftes Experiment: "Gegen das
Böcke-Schießen hilft nur der Tod."
Als Einstein 1955 stirbt, verlieren die Borns
ihren "besten Freund" - und den Partner eines langen Briefwechsels,
den nicht nur Physiker und Historiker gebannt lesen
werden.
Albert Einstein / Max Born
Briefwechsel 1916 - 1955.
Langen Müller Verlag, München
2005; 391 S., 24,90 Euro
Tanjev Schulz ist Redakteur der
"Süddeutschen Zeitung" in München.
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