Gottfried Niedhart
Wortmächtig und antiwestlich
Biografie über Margret Boveri
Margret Boveri war eine politische Schriftstellerin, die in den
30er-Jahren und während des Zweiten Weltkriegs für
namhafte Zeitungen, darunter die "Frankfurter Zeitung" und
Goebbels' Edelprodukt "Das Reich" schrieb und zu denen zählte,
die keine Nationalsozialisten waren, aber das Regime stützten,
den Krieg bejahten und auf den Endsieg hofften. Die
Bombennächte in Berlin, so Boveri rückblickend, habe sie
in einem "herrlichen Gefühl des Bestehen-Könnens"
genossen. In der Nachkriegszeit hielt sie an ihrem
antiamerikanischen Affekt fest und schrieb gegen die Verwestlichung
der Bundesrepublik an. Mit Streitschriften wie der "Amerika-Fibel
für erwachsene Deutsche" (1946) oder dem mehrbändigen
Werk "Der Verrat im 20. Jahrhundert" (1956 - 60) fand sie eine
große Leserschaft.
Glaubt man der Autorin, so war Boveri "eine der renommiertesten
Publizistinnen ihrer Zeit". In der Männerwelt des Journalismus
und der Publizistik gab es auch nach 1945 nicht eben viele Frauen,
und es wäre reizvoll, Boveris Werk im deutschen oder
internationalen Vergleich schärfer zu konturieren. Was
Görtemaker bietet, ist lediglich eine chronikartige Wiedergabe
des reichen Nachlassmaterials. Die Darstellung erfolgt
überwiegend aus der Perspektive Boveris. Kritische Distanz
lässt die Autorin allzu oft vermissen.
Es beginnt schon mit dem Titel. Was ist ein deutsches Leben? Gab
es davon nicht viele Spielarten? Aus Boveris Perspektive, die
Görtemaker übernimmt, ist darunter ein im Kern
antiwestlicher "genuin ,deutscher Weg'" zu verstehen. Dann
hätte etwa Marion Gräfin Dönhoff, um ein anderes von
Görtemaker nur kurz gestreiftes Beispiel einer "renommierten"
Publizistin zu nennen, kein "deutsches" Leben geführt. Auch
Konrad Adenauer nicht oder Golo Mann, von denen sich Boveri
polemisch abgrenzte, weil sie die Abschließung Deutschlands
vom Westen überwinden wollten.
Politisch schlugen sich Boveris Kategorien in striktem
Anti-Amerikanismus nieder, der durch einen längeren
USA-Aufenthalt 1940/41 noch verstärkt wurde und der sich
über den Einschnitt der ausschließlich als Zusammenbruch
wahrgenommenen Niederlage 1945 gehalten hat. Darüber hinaus
aber äußerte sich die Ablehnung westlicher Standards in
der elitär-antidemokratischen Grundeinstellung Boveris. Ihre
Leitfiguren hießen vor wie nach 1945 Ernst Jünger oder
Carl Schmitt, die ihr den Weg der "konservativen Revolution"
wiesen. In einem weiteren Bezug war es der mit der
Französischen Revolution eingetretene Bruch der modernen
Bürgergesellschaft mit den Traditionen und Bindungen
Alteuropas, auf den Boveri die Erschütterungen des 20.
Jahrhunderts zurückführte.
Das Thema Nationalsozialismus verlor in dieser Weltsicht fast
jegliche Konkretion, so dass Boveri erst in ihren letzten
Lebensjahren überhaupt bereit war, sich mit den Fragen nach
Verantwortung und Schuld auseinanderzusetzen. Zu verdanken ist dies
Uwe Johnson, dessen gesamtdeutschen literarischen Zugriff sie
schätzte und der ihr in vielen Gesprächen eine
Annäherung an die deutsche Realität im
Nationalsozialismus abverlangte. Erst 1977 hat Johnson diese Texte
unter dem Titel "Verzweigungen" herausgebracht.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht mehr überraschend, dass
die Bundesrepublik für Boveri ein "ungeliebtes" Staatswesen
war. Die prowestliche Weichenstellung der Adenauer-Ära
verachtete sie zutiefst. Stattdessen hing sie - wie viele andere
Intellektuelle - der Vorstellung eines "dritten Wegs" zwischen West
und Ost an. Man solle sich auf das "Deutsch-Sein" besinnen, schrieb
sie 1954 im "Merkur", und im Interesse der Wiederherstellung der
Einheit bessere Beziehungen zur Sowjetunion suchen.
Ohne dass die Autorin dies explizit reflektiert, liegt der Wert
des Buches darin, dass es 1945 mitnichten eine allgemeine "Stunde
Null" gab und dass der "lange Weg nach Westen" (H. A. Winkler)
für viele Deutsche mit erheblichen Vorbehalten gepflastert
war. Bleibt anzumerken, dass sich Margret Boveri seit den
60er-Jahren mit der Zweistaatlichkeit abfand und folgerichtig die
Deutschland- und Ostpolitik Brandts unterstützte. So konnte
sie dann auch mit Golo Mann einig sein, dessen "emigrantische"
Tonlage sie in den 50er-Jahren noch abgestoßen hatte.
Heike B. Görtemaker
Ein deutsches Leben. Die Geschichte der
Margret Boveri (1900 - 1975).
C.H. Beck Verlag, München 2005; 416 S., 26,90
Euro
Professor Gottfried Niedhart lehrt Neuere Geschichte an der
Universität Mannheim.
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