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Das Parlament
Nr. 11 / 14.03.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Gottfried Niedhart

Wortmächtig und antiwestlich

Biografie über Margret Boveri

Margret Boveri war eine politische Schriftstellerin, die in den 30er-Jahren und während des Zweiten Weltkriegs für namhafte Zeitungen, darunter die "Frankfurter Zeitung" und Goebbels' Edelprodukt "Das Reich" schrieb und zu denen zählte, die keine Nationalsozialisten waren, aber das Regime stützten, den Krieg bejahten und auf den Endsieg hofften. Die Bombennächte in Berlin, so Boveri rückblickend, habe sie in einem "herrlichen Gefühl des Bestehen-Könnens" genossen. In der Nachkriegszeit hielt sie an ihrem antiamerikanischen Affekt fest und schrieb gegen die Verwestlichung der Bundesrepublik an. Mit Streitschriften wie der "Amerika-Fibel für erwachsene Deutsche" (1946) oder dem mehrbändigen Werk "Der Verrat im 20. Jahrhundert" (1956 - 60) fand sie eine große Leserschaft.

Glaubt man der Autorin, so war Boveri "eine der renommiertesten Publizistinnen ihrer Zeit". In der Männerwelt des Journalismus und der Publizistik gab es auch nach 1945 nicht eben viele Frauen, und es wäre reizvoll, Boveris Werk im deutschen oder internationalen Vergleich schärfer zu konturieren. Was Görtemaker bietet, ist lediglich eine chronikartige Wiedergabe des reichen Nachlassmaterials. Die Darstellung erfolgt überwiegend aus der Perspektive Boveris. Kritische Distanz lässt die Autorin allzu oft vermissen.

Es beginnt schon mit dem Titel. Was ist ein deutsches Leben? Gab es davon nicht viele Spielarten? Aus Boveris Perspektive, die Görtemaker übernimmt, ist darunter ein im Kern antiwestlicher "genuin ,deutscher Weg'" zu verstehen. Dann hätte etwa Marion Gräfin Dönhoff, um ein anderes von Görtemaker nur kurz gestreiftes Beispiel einer "renommierten" Publizistin zu nennen, kein "deutsches" Leben geführt. Auch Konrad Adenauer nicht oder Golo Mann, von denen sich Boveri polemisch abgrenzte, weil sie die Abschließung Deutschlands vom Westen überwinden wollten.

Politisch schlugen sich Boveris Kategorien in striktem Anti-Amerikanismus nieder, der durch einen längeren USA-Aufenthalt 1940/41 noch verstärkt wurde und der sich über den Einschnitt der ausschließlich als Zusammenbruch wahrgenommenen Niederlage 1945 gehalten hat. Darüber hinaus aber äußerte sich die Ablehnung westlicher Standards in der elitär-antidemokratischen Grundeinstellung Boveris. Ihre Leitfiguren hießen vor wie nach 1945 Ernst Jünger oder Carl Schmitt, die ihr den Weg der "konservativen Revolution" wiesen. In einem weiteren Bezug war es der mit der Französischen Revolution eingetretene Bruch der modernen Bürgergesellschaft mit den Traditionen und Bindungen Alteuropas, auf den Boveri die Erschütterungen des 20. Jahrhunderts zurückführte.

Das Thema Nationalsozialismus verlor in dieser Weltsicht fast jegliche Konkretion, so dass Boveri erst in ihren letzten Lebensjahren überhaupt bereit war, sich mit den Fragen nach Verantwortung und Schuld auseinanderzusetzen. Zu verdanken ist dies Uwe Johnson, dessen gesamtdeutschen literarischen Zugriff sie schätzte und der ihr in vielen Gesprächen eine Annäherung an die deutsche Realität im Nationalsozialismus abverlangte. Erst 1977 hat Johnson diese Texte unter dem Titel "Verzweigungen" herausgebracht.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht mehr überraschend, dass die Bundesrepublik für Boveri ein "ungeliebtes" Staatswesen war. Die prowestliche Weichenstellung der Adenauer-Ära verachtete sie zutiefst. Stattdessen hing sie - wie viele andere Intellektuelle - der Vorstellung eines "dritten Wegs" zwischen West und Ost an. Man solle sich auf das "Deutsch-Sein" besinnen, schrieb sie 1954 im "Merkur", und im Interesse der Wiederherstellung der Einheit bessere Beziehungen zur Sowjetunion suchen.

Ohne dass die Autorin dies explizit reflektiert, liegt der Wert des Buches darin, dass es 1945 mitnichten eine allgemeine "Stunde Null" gab und dass der "lange Weg nach Westen" (H. A. Winkler) für viele Deutsche mit erheblichen Vorbehalten gepflastert war. Bleibt anzumerken, dass sich Margret Boveri seit den 60er-Jahren mit der Zweistaatlichkeit abfand und folgerichtig die Deutschland- und Ostpolitik Brandts unterstützte. So konnte sie dann auch mit Golo Mann einig sein, dessen "emigrantische" Tonlage sie in den 50er-Jahren noch abgestoßen hatte.

Heike B. Görtemaker

Ein deutsches Leben. Die Geschichte der

Margret Boveri (1900 - 1975).

C.H. Beck Verlag, München 2005; 416 S., 26,90 Euro

Professor Gottfried Niedhart lehrt Neuere Geschichte an der Universität Mannheim.

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