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Thilo Castner
Adelsdynastien und bürgerliche
Aufsteiger
Deutsche Familienportraits / Von Thilo
Castner
Die Geschichte zivilisierter Völker ist zu
allen Zeiten von herausragenden Familien mehr oder minder
mitbestimmt worden. Das waren in früheren Jahrhunderten in
erster Linie monarchische Dynastien, in jüngster Vergangenheit
dagegen vor allem bürgerliche Kreise, die sich in Wirtschaft,
Politik oder auf künstlerischem Gebiet große Meriten
erwarben. Gegenwärtig ist zu beobachten, dass das Interesse an
Familienporträts zunimmt, möglicherweise, weil eine
verunsicherte Gesellschaft nach Halt sucht und sich zudem die
Auffassung durchzusetzen beginnt, nicht Erziehung und Umwelt
machten die Persönlichkeit aus, sondern die in die Wiege
gelegten Gene.
Die zwölf vorwiegend von
Geschichtsprofessoren verfassten Biografien deutscher Familien
reichen von den Hohenzollern und Wittelsbachern bis zu den Krupps,
Manns und Weizsäckers unserer Tage. Volker Reinhardt, der
Herausgeber und Ordinarius für Geschichte der Neuzeit,
führt in einem klugen Vorwort in die Thematik ein,
überlässt es aber dem Leser, die höchst
unterschiedlichen Familiengeschichten kritisch einzuordnen und zu
hinterfragen.
Am Beispiel der Hohenzollern und
Wittelsbacher wird deutlich: Ab Mitte des 19. Jahrhunderts ersetzen
Prüfungszeugnisse mehr und mehr das Adelsprädikat. Nur
über individuelle Leistungen ist jetzt das "Entréebillet"
zu den gesellschaftlichen Eliten möglich. Aber auch arrivierte
bürgerliche Familien sind, ähnlich wie zuvor Fürsten
und Grafen, primär an der Absicherung ihres Nachwuchses sowie
an der Ausdehnung ihres Einflusses interessiert. Man baut sich
Villen und Paläste, die denen des Adels in nichts nachstehen,
verheiratet Töchter und Söhne mit seinesgleichen. So
gelingt es den Krupps, Thurn und Taxis, Warburgs und Thyssens im
Handumdrehen, sich gesellschaftlich zu etablieren und in
Führungspositionen aufzurücken.
Zwielichte Karrieren
In schweren Zeiten allerdings versagten auch
die bürgerlichen Eliten. So wie die Hohenzollern und
Wittelsbacher unfähig waren, sich den Herausforderungen des
Industrialisierungsprozesses zu stellen und die Katastrophe des
Ersten Weltkriegs zu verhindern, blieb das Bürgertum ebenso
überwiegend den Nachweis schuldig, Verantwortung für die
Allgemeinheit zu übernehmen. Wilhelm Mommsen, Enkel von
Theodor Mommsen, sah in Hitler zunächst den
vaterländischen Heilsbringer, seine Vettern Ernst Wolf und
Wolfgang Arthur machten nach 1933 eine steile zwielichtige
Karriere. Ernst von Weizsäcker wurde Staatssekretär unter
Außenminister von Ribbentrop, und Familie Krupp hatte
keinerlei Skrupel, die Nazis in jeder Weise zu unterstützen
und durch eine hemmungslose Waffenproduktion am Krieg zu verdienen.
Widerstand wie durch James Moltke, der von Freisler in den Tod
geschickt wurde, war die absolute Ausnahme.
So mancher familiäre Aufstieg im
bürgerlichen Lager war einzig und allein einer einzelnen
herausragenden Person zu verdanken. Die Bismarcks wären ohne
den Eisernen Kanzler, die Wagners ohne Richard und die Manns ohne
Thomas kaum nennenswert in Erscheinung getreten. Zum
familiären Selbstverständnis zählte, dass die
Nachkommen meistens den Beruf des Gründervaters wählten:
Die Wagners wurden Musiker, Dirigenten oder Intendanten; die Manns
führten die Schriftstellerei fort; der jüngere Helmuth
von Moltke wurde oberster Heerführer im Kaiserreich und der
schon erwähnte Wilhelm Mommsen anerkannter
Geschichtswissenschaftler. Ausbrüche in andere Bereiche gab es
dennoch. Aby Warburg zum Beispiel verzichtete auf eine
glänzende Karriere als Bankdirektor und entwickelte sich zum
bedeutenden Kulturwissenschaftler, ein Sohn Theodor Mommsens
ergriff den Bankiersberuf, wobei Erfolge vielfach erst über
das familiäre Beziehungsnetz ermöglicht
wurden.
Einige Familien haben es auch in der
Bundesrepublik zu großem Ansehen gebracht. Philipp von
Bismarck war langjähriger CDU-Abgeordneter und Präsident
des Goethe-Instituts, Klaus von Bismarck Intendant des WDR. Das
Bayreuther Festspielhaus ist nach wie vor fest in Händen der
Wagners. Ernst und Richard von Weizsäcker zählen
gegenwärtig zu den prominentesten Bundesbürgern
überhaupt.
Wirkliche Vorbilder sind die zwölf
vorgestellten Familien nur bedingt. Thomas und Heinrich Mann, der
eine Schöngeist, der andere Sozialist, waren sich lange
spinnefeind. Zwischen August Thyssen, dem eigentlichen
Firmenbegründer, und seinen Söhnen Fritz und Heinrich kam
es zu erbitterten Auseinandersetzungen. Nicht minder verbissen die
persönlichen Anfeindungen und Ausgrenzungen unter den Enkeln
und Urenkeln Richard Wagners bis heute. Aber vielleicht sind
Familiengeschichten gerade deshalb so faszinierend, weil man sich
in den Schwächen der Großen dankbar wieder
erkennt.
Volker Reinhardt (Hrsg.)
Deutsche Familien. Historische
Porträts von Bismarck bis Weizsäcker.
Verlag C. H. Beck, München 2005; 384
S., 24,90 Euro.
Thilo Castner ist freier Journalist; er lebt
und arbeitet im fränkischen Kalchreuth.
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