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Ute Grundmann
Die andauernde Faszination eines Mythos
Wahrheit und Legende über die "freie
Republik" Schwarzenberg
Und nichts blieb ihr von der kurzen Epoche im Gedächtnis,
von der Lust der Selbstbestimmung, dem Rausch der Gerechtigkeit".
So lautet einer von drei Anfängen in Volker Brauns "Das
unbesetzte Gebiet". Indem der Schriftsteller davon handelt, holt er
die Epoche wieder ins Gedächtnis und zeigt zugleich, dass sie
dort geschlummert hat. Die "kurze Epoche", das sind 42 Tage nach
Ende des Zweiten Weltkrieges, in denen der Ort Schwarzenberg im
Erzgebirge unbesetzt blieb. Die Amerikaner standen in Auerbach und
Zwickau, die Rote Armee in Annaberg. Dazwischen blieb ein
Niemandsland, daraus wurde eine der Legenden der DDR.
Denn aufrechte Kommunisten sollen dort putschartig die Macht
übernommen, Nationalsozialisten bekämpft ,
Flüchtlinge versorgt und eine selbstbestimmte Verwaltung
aufgebaut haben - bis die Besatzer dann doch kamen. Warum dieses
Niemandsland blieb, ist bis heute ungeklärt. Doch die
Vorgänge sind offenbar immer noch so faszinierend, dass sich
fast 60 Jahre danach gleich zwei neue Bücher damit
beschäftigen.
Zunächst also Volker Braun. Er beginnt seinen Text auf
dreierlei Art. Zunächst werden der Autor und sein Ansatz
eingeführt - "es bleibt, um dabei zu sein, davon zu
erzählen". Dann spielt er deutlich auf die DDR-Version der
Geschehnisse an. Und mit einem jungen Mann, der nicht zur Wehrmacht
eingezogen wurde, bezieht er die private Sicht und Seite mit
hinein.
Von diesen drei Ebenen aus erfährt der Leser aus immer
wechselnden Perspektiven, was aus Sicht von Volker Braun in diesen
42 Tagen geschehen ist. Der Leser steht mit einem Mädchen
inmitten von Flüchtlingen, wie von außen wird das
Gefühl der Zeit beschrieben: "Sie waren besiecht und werden
besetzt, dann sind sie befreit". Und als wäre man mitten im
Geschehen, raunt einer aus dem "Fähnlein der Aufrechten":
"Mehr als 15 warn mer nich." Mit solchen Dialekt-Einschüben
festigt Braun den Kleine-Leute-Blick, den sein Text vermittelt. Er
schildert die Schadenfreude, dass die "ganz Gewaltigen garnichte
mehr zu melden haben", ebenso wie die fast ungläubige
Machtübernahme.
Er halte sich an die Zeitzeugen, betont Braun und bezieht sich
auf Stefan Heyms Roman "Schwarzenberg" von 1984. Eine "schlichte,
wahrhafte Utopie" habe der aufgezeigt, nämlich die von einem
anderen Sozialismus, dessen Wurzeln in Schwarzenberg gelegen
hätten. Brauns wunderbar komponierter, faszinierender Text ist
zwar skeptischer, nachdenklicher und nachfragender gegenüber
dem angeblich Geschehenen, aber er verhandelt eindeutig "die
beispielloseste Antifa, wie sie nicht im Buche steht", von der
geborgten Freiheit und den Kräften des Gemeinwesens, das "sich
rappelt". Am Ende wird er bedauern, dass das unbesetzte Gebiet
nicht im Gerede blieb.
Alles falsch, alles Legende, sagt dagegen Leonore Lobeck. Sie
forscht schon seit längerem zu jenen 42 Tagen und kommt zu dem
Ergebnis, nichts daran sei außergewöhnlich gewesen.
Zunächst stellt sie die vier Variationen der Legende vor: Die
DDR-Version von den aufrechten Arbeitern, die noch am 30. Jahrestag
der DDR-Gründung mit Schulbenennungen geehrt wurden. Dann
Stefan Heyms 1984 im Westen erschienener Roman, der eine
basisdemokratische Machtübernahme und die Verwirklichung eines
alternativen Sozialismus suggeriere. Und schließlich zwei
Ereignisse aus dem Jahr 1995, als Mitglieder des Kunstvereins von
Schwarzenberg und der PDS nahestehende Vereine in einem Kolloquium
die "Freie Republik Schwarzenberg" feierten. Die Entmachtung und
Verhaftung des Bürgermeisters wurde da zum stellvertretenden
Sturz des ganzen NS-Regimes stilisiert.
Und dann pflückt Leonore Lobeck Stück für
Stück die Legende auseinander. Mit dem seit 1944 amtierenden
Landrat Hänichen habe es eine funktionierende Verwaltung
gegeben, aber kein leitungsloses Chaos und keine
Kriegsschäden. Amerikanische Militärfahrzeuge seien in
Stadt und Kreis präsent gewesen, von den Amerikanern seien
Passierscheine und auch die Besetzung erbeten worden. Aktions- oder
Antifa-Ausschüsse seien keine Seltenheit gewesen. Jener in
Schwarzenberg aber habe seinen Spielraum auch aus unlauteren
Motiven ausgenutzt: Mit der Absetzung des Bürgermeisters seien
alte Rechnungen beglichen, Unschuldige verhaftet und
ungerechtfertigte Beschlagnahmungen vorgenommen worden. Statt einer
Bürgerwehr aus "bewussten Arbeitern" habe es ehemals
städtische Polizisten gegeben, allesamt ehemalige Mitglieder
der NSDAP.
Der "Mythos Schwarzenberg", der eine lange Karriere gemacht
habe, sei durch "übersteigern, verschweigen, verkehren ins
Gegenteil" entstanden. Statt eines "opferreichen Kampfes der
Arbeiter im Erzgebirge" sei es auf die Errichtung der
kommunistischen Herrschaft gegangen. Volker Braun, so Lobeck, setze
trotz Zweifeln und Zwischentönen "wohlwollend ein weiteres
Denkmal".
Volker Braun
Das unbesetzte Gebiet.
Suhrkamp Verlag 2004; 126 S., 16,80 Euro.
Leonore Lobeck
Die Schwarzenberg-Utopie.
Geschichte und Legende im "Niemandsland".
Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2004; 190 S., 9,80
Euro.
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin vorwiegend zu
kulturpolitischen Fragen in Leipzig.
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