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Klaus Dreher
Düstere Ahnungen und Erlebnisse
Reiseberichte aus Deutschland zwischen 1933 und
1945
Der Journalist Gösta Block kannte sich in Deutschland
mindestens so gut aus wie in seiner schwedischen Heimat. Im Ersten
Weltkrieg kämpfte er auf Seiten der Deutschen an der
Westfront, gab, nach Stockholm zurückgekehrt, eine
deutsch-schwedische Kulturzeitschrift heraus, war 1939 an der
deutschen Botschaft in Stockholm angestellt und siedelte 1942 nach
Berlin über, um beim Reichsrundfunk zu arbeiten. Bald danach
kehrte er jedoch enttäuscht nach Schweden zurück.
Dort fühlte er sich gedrängt, seinen Meinungsumschwung
in einem Buch im Eigenverlag bekanntzumachen. Die Verhältnisse
in Deutschland seien für niemanden paradiesisch, schrieb er,
"aber für einige sind sie die Hölle". Das gelte vor allem
für die Juden, die für die deutschen "Herrenmenschen"
jetzt "Freiwild" seien. Block zählte all die
Einschränkungen auf, denen sie unterworfen waren. Als das
Schlimmste empfand er, dass die Deutschen "abstumpften", dass sie
bei den Schikanen, die sich selbst in ihrer Nähe ereigneten,
einfach wegschauten.
Blocks Text ist einer von 50 Beiträgen ausländischer
Schriftsteller, Politiker und Diplomaten, die zu unterschiedlichen
Zeiten das "Dritte Reich" besucht hatten; einige werden zum ersten
Mal in deutscher Sprache veröffentlicht. Natürlich wurde
nach Beginn des Krieges nur noch "linientreuen" Beobachtern die
Einreise nach Deutschland erlaubt. Viele von ihnen, die anfangs
für die Deutschen eingenommen waren, änderten
während des Besuchs ihre Meinung, so wie Block es tat, und
wandten sich angesichts der Realitäten von dem Land ihrer
Sehnsucht ab.
Das Ideal gesucht
Charakteristisch für diese Haltung ist der Reisebericht des
Schweizer Schriftstellers Max Frisch, der sich verzweifelt
bemühte, über dem barbarischen NS-Regime das klassische
Deutschland von Goethe, Bach, Dürer und Kant nicht zu
vergessen. Er war 1935 in Deutschland und redete sich ein, die
Deutschen seien ein "junges, gärendes Volk", das noch zu der
"Ausgeglichenheit der Franzosen" und anderer älterer
Völker finden müsse. "Empörend" fand er den
"Selbstruhm", mit dem die Deutschen die eigene Rasse erhöhten,
"um alles andere in den Schmutz zu stoßen". Diesem
"übersteigerten Selbstwertgefühl" stehe eine Sucht nach
"Selbstbezweifelung" gegenüber, die in "Selbstzerfleischung"
ausarten könne.
Zu den Enttäuschten gehörte auch der amerikanische
Schriftsteller Thomas Wolfe, der in Deutschland ebenfalls seine
geistige Wahlheimat sah. Im Jahr 1936 kam er zur Olympiade nach
Berlin, wo er, da er bereits berühmt war, hofiert, bewundert
und umschmeichelt wurde. Seine Ernüchterung spiegelte sich in
der Kurznovelle "I Have a Thing to Tell You" wieder, in der er von
einer Bahnreise erzählt, bei der nach dem Grenzübertritt
einer der Mitreisenden von deutscher Grenzpolizei verhaftet und
unter flehentlichen Rufen abgeführt wurde. Es stellte sich
heraus, dass der Mitreisende ein Jude gewesen war. Deutschland sei
für ihn ein "Märchenland von betörender
Schönheit" gewesen, schrieb Wolfe, aber nun habe er es
"verloren" und werde nie mehr dorthin zurückkehren.
Der Herausgeber kann eine Liste beeindruckender Namen von
Autoren wie Jean Paul Sartre, Samuel Beckett, Virginia Woolf, Jean
Genet, Karen Blixen, Vladimir Nabokov, Albert Camus und Sven Hedin
aufführen. Nicht alle sind so aufschlussreich, dass man sich
ein Bild über ihre Meinung machen könnte, andere Namen
wie Knut Hamsun vermisst man. Sie erfüllten nicht die
Auswahlkriterien, die Lubrich an die Beiträge anlegte und bei
denen, wie er selbst einräumt, eine gewisse
Unvollständigkeit unvermeidlich ist. Immerhin vermittelt der
Sammelband den Eindruck, dass viele Deutsche im Dritten Reich
über Dinge hinwegsahen, die ausländische Beobachter
registrierten, und dass sie hätten erkennen können, was
sie selbst nach dem Krieg noch leugneten.
Eine der eindrucksvollsten Augenzeuginnen ist die Tochter des
damaligen amerikanischen Botschafters in Deutschland, Martha Dodd,
die von 1933 bis 1937 in Berlin lebte. Sie kam zu dem Schluss, die
Judenpolitik der Nazis werde in einer "planmäßigen
Vernichtungsaktion" enden. Hitler, dem sie bei einem arrangierten
Abendessen begegnete, arbeite seit der Machtergreifung "zielstrebig
auf die Liquidierung des deutschen Judentums" hin. In seinen
"brennenden, irrsinnigen Augen" wollte sie die "furchtbare Zukunft
Deutschlands" erkannt haben.
Es sind Beobachtungen qualifizierter Besucher, die den Vorteil
hatten, ein Land wieder verlassen zu können, das den eigenen
Staatsbürgern die freie Wahl der Ausreise verweigerte.
Oliver Lubrich (Hrsg.)
Reisen ins Reich 1933 - 1945. Ausländische Autoren
berichten aus Deutschland.
Die Andere Bibliothek, Band 240.
Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 2004; 400 S., 30,- Euro
Klaus Dreher war viele Jahre Bonner Büroleiter der
"Süddeutschen Zeitung".
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