|
|
Michael Hereth
Alfred Grosser at his best
Ein blendendes Frankreichbuch
Vor drei Jahren veröffentliche Alfred
Grosser sein Buch "Wie anders sind die Deutschen?", in dem er uns
Deutsche fast zu freundschaftlich-liebenswert schildert. Er wollte
und will besonders seinen französischen Landsleuten ein
Deutschland schildern, das diesen ein Zusammenleben möglich
und erstrebenswert macht. Nun erscheint das entsprechende Buch
über Frankreich.
Grosser beschreibt das besondere
Verhältnis der Franzosen zu ihrer Nationalgeschichte, die
politische Verfassung der französischen Nation sowie ihre
wesentlichen Institutionen und Organisationen. Weiter gibt er
einige wesentliche Informationen über die
Wirtschaftsentwicklung Frankreichs sowie über das, was man
neuerdings die "Zivilgesellschaft" nennt. Im Kapitel "Welche Kultur
für wen?" beschreibt Grosser die Besonderheiten des stark auf
Paris konzentrierten, aber sich dezentralisierenden
französischen Kulturlebens sowie die Schul- und
Universitätspolitik; am Ende geht es um die französischen
Außenbeziehungen, besonders um das Verhältnis zu
Deutschland und das französische Handeln in Europa.
Ich bilde mir ein, ein passabler Kenner der
französischen Innenpolitik zu sein. So befürchtete ich,
mich bei der Lektüre von Grossers neuestem Buch zu langweilen.
Ich wurde angenehm enttäuscht. Die lebendige Art, die
französischen Besonderheiten zu schildern, die Grosser eignet;
seine Methode, Geschichtliches heranzuziehen, wenn er etwa die
Schwäche der französischen Gewerkschaften begründet
oder wenn er die Ausweitung der Macht des französischen
Präsidenten in der Praxis und gegen den Verfassungstext
analysiert, ist mitreißend.
Der Rezensent gesteht, dass er das Buch in
einem Zug gelesen hat; mit wachsendem Vergnügen und
zunehmender Befriedigung. Es macht deutlich, welche Verarmung die
sich modern nennende "vergleichende Politikwissenschaft" von heute
darstellt. Grosser verfällt an keiner Stelle in diese
langweilige Interpretationslitanei amerikanischer Provenienz. Und
doch ist das Buch gespickt mit Fakten und guten Informationen. Dies
ist ein Buch über Frankreich, geschrieben für die
Deutschen! Es vergleicht, wo es für den deutschen Leser
hilfreich ist zum Verstehen Frankreichs, und manchmal auch, um
gewisse moralische Vorurteile zu relativieren.
Daneben und dabei werden kleine Spitzen
verteilt, die von großer politischer Erfahrung und einem
ebenso großen Engagement zeugen. Beispiel Einwohnerstatistik -
Grosser: "Sicher ist, dass ?les clandestins', die illegal
Eingereisten und schwarz Arbeitenden, nicht dazugehören. Die
Heuchelei ist dabei dieselbe wie in Deutschland. Wer würde die
Weinlese im Languedoc oder im Elsass besorgen, wenn es nicht die
Schwarzarbeit von Ausländern gäbe, die unterbezahlt
werden können? Es ist ähnlich wie mit den politischen
Illegalen in Deutschland: Wären die Grenzen offiziell offen,
so müsste man die Zehntausende korrekt entlohnen und sie
darüber hinaus sozialversichern."
Mit Herzblut geschrieben
Ob Grosser über die Feinheiten des
französischen Pressewesens berichtet oder ob er (und dies ist
unübersehbar sein mit dem meisten Herzblut geschriebener
Gegenstand) das facettenreiche Zusammenwachsen Frankreichs und
Deutschlands beschreibt, das Buch informiert blendend. Die
Partikularitäten des französischen Bildungssystems werden
ebenso einleuchtend dargestellt wie die Reserven Frankreichs
gegenüber einer möglichen amerikanischen Hegemonie, die
ja in Deutschland erst nach langem Blindsein einen
außenpolitischen Partner gefunden haben.
Auch zur europäischen Einigung hat
Grosser kritische Bemerkungen beizutragen. Zur Aufnahme Polens ins
sich einigende Europa schreibt er: "Die deutsch-polnischen
Beziehungen, die sich ständig verbessert hatten, sind 2004 von
nichtöffentlicher Seite erneut vergiftet worden. Das von Erika
Steinbach und Peter Glotz geplante Zentrum gegen Vertreibungen, das
das polnische Leiden gewissermassen mit einem ?die haben auch
gelitten' abtat, sowie die ?preussische' Forderung nach
Entschädigung und Rückerstattung haben viel Porzellan
zerschlagen. Auf französischer Seite war es der Präsident
selbst, der Polen eine tiefe Kränkung zufügte, als er im
Februar 2003 die Beitrittskandidaten, die sich in der Irak-Krise
auf die Seite der USA und Grossbritanniens gestellt hatten, als
?schlecht erzogen' und ?etwas kindlich' bezeichnet hat."
So mischt das Buch in anregender Weise
politische Kommentare und Informationen über den westlichen
Nachbarn Deutschlands. Es redet über den weiterhin wichtigsten
Bestandteil der europäischen Einigung, die
deutsch-französische Freundschaft, und trägt, weil es das
Verständnis vertiefen will und auch tut, zu seinem
Haupt-Gegenstand bei: den guten Beziehungen zwischen den Deutschen
und den Franzosen.
Alfred Grosser
Wie anders ist Frankreich.
Verlag C.H.Beck, München 2005; 240
S., 19.90 Euro
Professor Hereth war bis zu seiner Emeritierung Hochschullehrer an
der Bundeswehrhochschule in Hamburg; heute lebt er in
Aix-en-Provence.
Zurück zur Übersicht
|