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Hermann Glaser
Die Bundeskanzler und die Kunst
Was selten ein Buch schafft: Wissensvermittlung
und Vergnügen zugleich
Die Beziehung der deutschen Bundeskanzler zu den
Künsten sei komplizierter und facettenreicher, als es das
Klischee von den notorischen Amtsbanausen einerseits und den ewig
missverstandenen Schöngeistern andererseits wissen will. Der
verantwortliche Redakteur der "Neuen Gesellschaft/ Frankfurter
Hefte" legt ein Buch vor, dessen Gewichtigkeit sein knapper Umfang
zunächst nicht vermuten lässt. Hier ist ein Autor am
Werk, der die Kunst aphoristischer Darstellung bestens beherrscht,
und zwar so, dass das Geflecht, aus dem die Erkenntnisse
sprießen, stets wahrnehmbar bleibt. Das heißt: die
zunächst eng begrenzte, bislang völlig
vernachlässigte Thematik wird in einen politik- wie
kulturgeschichtlichen Kontext gestellt.
Die einzelnen Bundeskanzler werden
hinsichtlich ihres Kulturverständnisses treffend
porträtiert (ein weiterer Exkurs wird zusätzlich Carlo
Schmid gewidmet), was schon die einzelnen Überschriften
deutlich machen: Der Kanzler entspannt sich bei ernster Musik - Wie
Adenauer ohne den Geist auskam / Pinscher im Bungalow - Ludwig
Erhard zwischen Ambition und Abstieg / Schöngeist in
Herrscherpose - Kiesingers Traum vom Dichterdasein / Ein Kanzler
sitzt Modell - Willy Brandts Leiden am Charisma / Wenig Trost im
Teufelsmoor - Helmut Schmidt, die Musen und das Macher-Image /
Bauen fürs Geschichtsbuch - Helmut Kohl und die fehlende
Staatsästhetik / Vernissagen als Visionen - Gerhard
Schröder hofiert die Szene.
Bei Adenauer fand sich das Wort "Kunst" in
keiner seiner vier Antrittsbotschaften; doch hatte er Interesse an
den alten Klassikern der Malerei; auch hörte er gerne ernste
Musik. Ludwig Erhard rief zwar die "schöpferischen Menschen"
zur Mitarbeit auf, doch wenn sie wie Rolf Hochhuth, vielfach zu
Unrecht, seine Politik kritisierten, hörte bei ihm der Dichter
auf und fing der "ganz kleine Pinscher an, der in dümmster
Weise kläfft". "Sein Hang zur modernen Architektur
korrespondierte mit seiner strengen ordnungspolitischen
Vorstellung." - Kurt Georg Kiesinger, ein früheres
NSDAP-Mitglied, parlierte gerne mit Bundesratsminister Carlo Schmid
am Kabinettstisch von Plato über Descartes bis
Tocqueville.
Willy Brandt verehrten linke Künstler
als großen Moralisten, der endlich Geist und Macht
versöhnen würde. Doch letztlich "halten alle Legenden,
aus denen sich das Charisma Willy Brandts zusammensetze, keiner
kritischen Betrachtung stand, vor allem jene nicht vom
Ästheten, Hedonisten oder Förderer der 68er." Helmut
Schmidt sah in Brandt die charismatische idealistische Figur der
60er- und 70er-Jahre. Er selbst war in der Politik der
nüchterne Macher, aber privat, etwa als Pianist und mit seiner
Leidenschaft für den deutschen Expressionismus, ausgesprochen
musisch orientiert.
Helmut Kohl fühlte sich als
"jungdynamischer Regent von Rheinland-Pfalz in der Rolle des
,Mentors und Protektors der schönen Künste', machte Geld
locker, band Leute an sich". Während er seinem Freund
François Mitterand, der große Bauwerke in Auftrag gab,
nachzueifern suchte, meinte der konservative Publizist Alexander
Gauland, dass bei ihm immer das Wie das Was zunichte gemacht habe.
"Er blieb der ,Antiheld', eine triviale unästhetische
Erscheinung." Gerhard Schröder schließlich lasse keine
Gelegenheit aus, "um sein Kunstinteresse aufblitzen zu lassen",
wobei er ziemlich wahllos zwischen Hemingway ("für mich der
Größte"), Martin Walser und Friedrich Christian Flick
changiert. Ansonsten: der Vorhang ist noch nicht geschlossen, aber
schon bleiben viele Fragen offen.
Über solche Portraits hinaus zeichnet
dieses Buch eines sehr belesenen und findig-fündigen
Zeitgenossen ein phänomenologisches Panorama der
Bundesrepublik zwischen der Ästhetisierung des Politischen und
der Politisierung des Ästhetischen. Ein Beispiel nur (pars pro
toto - eigentlich müsste man jede Seite ob ihres Gedanken- und
Beobachtungsreichtums zitieren): "Im Kampf um die ,kulturelle
Hegemonie' hatten die Brandt-Enkel Mitte der 90er-Jahre viel
Terrain verloren, da sie den politischen Paradigmenwechsel seit der
Deutschen Einheit verfehlen sollten. ,Toskanafraktion' wurde zum
hedonistischen Profilierungslabel einer sozialdemokratischen
,Enkel-Schickeria', die das kulturelle Modernisierungsdefizit ihrer
Partei mit Geschmäcklerischem auszugleichen versuchte. Aber
der feinsinnige Parteichef Engholm bediente mit seinem
Plädoyer für einen ,genussfähigen Menschen' nur das
böse Klischee, sich mehr mit italienischem Schuhdesign als mit
maroden Betrieben in Ostdeutschland zu befassen, während sein
lyrisch begabter Fraktionschef Klose seine lahmer gewordenen Lenden
elegischer Verse für würdig erachtete."
Die etwas abgegriffene Feststellung, dass in
der Kürze die Würze liege, wird durch dieses
Büchlein verifiziert - in dem Sinne nämlich, dass nur
einer, der so "gewürzt" zu schreiben vermag, sich Kürze
leisten kann. Statt getretenem Quark, der nach Goethe breit, aber
nicht stark ist, eine reizvolle Speise, die dem deutschen Magen,
der ständig Sprech-Luft-Blasen schlucken muss, gut
tut.
Norbert Seitz
Die Kanzler und die
Künste.
Die Geschichte einer schwierigen
Beziehung.
Siedler Verlag, Berlin 2005.; 192 S., 18,-
Euro
Hermann Glaser, unermüdlicher Analytiker des deutschen
Kulturbetriebs und auch Beteiligter dabei, lebt nach langen Jahren
als Kulturreferent der Stadt Nürnberg jetzt im
fränkischen Roßtal.
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