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Renate Rammelt
"Übriggeblieben zufällig"
Eine Biografie über die DDR-Autorin Inge
Müller
Wie kommt es, dass gerade in der heutigen Zeit so viele
Biografien veröffentlicht werden und das Interesse der Leser
daran so groß ist? Hillary Clinton, Friede Springer, Dieter
Bohlen, Franziska van Almsick - jede Lesergruppe "verschlingt" ihre
Protagonisten. Ist es Neugier, sind wir Voyeure? Schlüpfen wir
in die Haut Anderer, um zu ergründen, wie sie es schaffen, ihr
Leben zu meistern oder dabei auch über weite Strecken zu
scheitern?
Nach "Dann fiel auf einmal der Himmel um" von Ines Geipel liegt
nun die zweite umfassende Biografie über die Lyrikerin,
Theaterautorin und Schriftstellerin Inge Müller vor. Ihr Leben
hat etwas Exemplarisches: Kinderlandverschickung,
Luftwaffenhelferin, Schlacht um Berlin, drei Tage begraben unter
Bombentrümmern, traumatisiert - "übriggeblieben
zufällig" schrieb sie in einem späteren Gedicht.
Journalistische Artikel und Beiträge für Kinder, die
sie in der jungen DDR verfasst, können sie seelisch nur
scheinbar festigen. So entstanden viele ihrer Texte nicht mit dem
Ziel der Veröffentlichung, sondern aus dem inneren Zwang
heraus, sich schreibend mit dem Erlebten auseinander zu setzen.
"Dass gerade sie überlebt hat, während ihre Welt in
Schutt und Asche zerfiel, bleibt für Inge Müller ein
zwiespältiges Geschenk", schreibt Sonja Hilzinger. Dem Tod
noch einmal entkommen - für diese Erfahrung findet Inge
Müller später das Bild des Propheten Jonas, der drei Tage
und drei Nächte im Bauch des Wals zubrachte. Sie wählt
Jona als einen der Namen für die weibliche Hauptfigur in ihren
Texten.
Sonja Hilzinger rekonstruiert die Lebens- und Arbeitswelt des
Mädchens Ingeborg Meyer, das später in dritter Ehe mit
dem Dramatiker Heiner Müller verheiratet war. Sie setzt
Archivmaterial zusammen, interpretiert Textfragmente und sucht in
vielen Gesprächen mit Zeitzeugen Antworten auf Geschehnisse,
deren Geschichte nirgendwo fixiert ist.
Zehn Jahre nach ihrem Tod erschien eine erste kleine Auswahl von
37 Gedichten in der Reihe "Poesiealbum". 1985 gelang Richard
Pietraß die Veröffentlichung eines Auswahlbandes; aber
erst 30 Jahre nach ihrem Tod (und dem Ende der DDR-Kulturpolitik)
erlebte die Dichterin Inge Müller eine Wiedergeburt durch die
von Ines Geipel für den Aufbau-Verlag zusammengestellte
Werkausgabe, der sie später eine sehr einfühlsame,
vielleicht in einigen Passagen auch ein wenig lyrisch-spekulative
Biografie für den Henschel Verlag folgen ließ. Nun ist
eine weitere, eher sachliche Biografie erschienen. Es lohnt
vergleichendes Lesen, die Reihenfolge ist frei wählbar.
Sonja Hilzinger
Das Leben fängt heute an.
Aufbau-Verlag, Berlin 2005; 302 S.,22,90 Euro
Renate Rammelt ist freie Journalistin in Berlin.
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