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Josef-Thomas Göller
Reich an Verordnungen und Regeln
Deutsche und Amerikaner diskutieren über
Lissabon-Strategie
Als die europäischen Staats- und Regierungschefs im
März 2000 die ehrgeizigen Ziele der Lissabon-Strategie
formulierten, waren ihre Blicke auch auf Amerika gerichtet. Denn in
Sachen Wirtschaftswachstum und Schaffung von Arbeitsplätzen
hätten die Europäer die USA bis 2010 nur zu gerne
überflügelt.
Im Rahmen der "Hayek Serie" - einem Brüsseler
Politik-Forum, benannt nach dem österreichischen
Nobelpreisträger Friedrich von Hayek, zogen vor kurzem
namhafte Europäer und amerikanische Beobachter der
Lissabon-Agenda Bilanz. "Wenn sich eine Firma am Markt als nicht
konkurrenzfähig erweist, geht sie bankrott. Wenn sich Europa
im globalen Wettbewerb als nicht konkurrenzfähig erweist, dann
wird einfach eine neue Vision aufgestellt", kritisierte der
einstige EU-Kommissar Frits Bolkestein. Er sieht Europas hohe
Anforderungen an den Schutz von Arbeitsplätzen sowie
Umweltschutzbedingungen massiv bedroht durch das amerikanische
"Power-Haus" im Westen und die "aggressiven
Niedriglohnkosten-Länder" im Osten, Russland und Asien. Darauf
müsse man seiner Meinung nach mit "verbesserter
Dienstleistung" innerhalb der EU reagieren. Bolkestein meint damit
zum Beispiel die Bezahlung polnischer oder türkischer Arbeiter
nach dem Lohnniveau ihrer Herkunftsländer, nicht nach dem
ihrer Gastländer.
Die gleiche Meinung vertrat der einstige Ministerpräsident
von Estland, Mat Laar. Mit Blick auf Deutschland und Frankreich
sagte Laar vor den Teilnehmern: "Einige Länder erfüllen
die Ziele der Lissabon-Agenda schlechter als andere. Das
größte Problem der Agenda sind die hochtrabenden
Absichten. Aber die Taten fehlen, wohin man blickt." Der Este
weiß, wovon er spricht. Als Regierungschef bewirkte er mit
strikter freier Marktwirtschaft, niedrigem Steuersatz und
Hochtechnologie für sein baltisches Land einen mächtigen
Wirtschaftsboom, der in Europa seines Gleichen sucht.
Selbst der deutsche Sozialdemokrat Günther Verheugen
überraschte Anfang des Jahres in Brüssel mit seinen
"Vorstellungen für künftige EU-Vorschriften". Verheugen
versprach, er würde "daran arbeiten, überzeugende
Rahmenbedingungen für eine blühende europäische
Wirtschaft" zu schaffen. Bezug nehmend auf EU-Vorschriften für
die Autoindustrie, kündigte Verheugen an, für kein
Unternehmen in der EU solle mehr gelten, "dass die Kommission
ehrgeizige Auflagen für bestimmte Industriezweige
verabschiedet ohne überhaupt zu wissen, welche Auswirkungen
diese Auflagen und Vorschriften auf die Unternehmen, ihre Kosten
und die Arbeitsplätze haben". Er sei bereit, mit der
Vergangenheit zu brechen, wenn es darum gehe,
Überregulierungen der EU abzuschaffen, sagte Verheugen. Auf
dieses Versprechen Verheugens bezog sich während der
Hayek-Konferenz der Chef von TechCentral Station, James K.
Glassman, aus Washington D.C. Er erklärte an einem praktischen
Beispiel, was für einige Amerikaner befremdlich sei, wenn sie
nach "Europa" blicken. So stellte Glassman fest, dass die einst in
der Welt führende europäische Pharma-Industrie zunehmend
zurückfalle. Noch vor zehn Jahren habe die US-Pharma-Industrie
nur 70 Prozent der vergleichbaren europäischen
Forschungsgelder ausgegeben. Heute sei der Prozentsatz genau
umgekehrt.
Glassman hat dafür eine Reihe von Erklärungen: Laut
EU-Vorschriften sei es der Pharma-Industrie in der Gemeinschaft
untersagt, für neue Produkte zu werben. Noch nicht einmal auf
der eigenen Internet-Website sei dies erlaubt. Amerikaner halten
diese Einschränkung der Informationsfreiheit für "extrem
verbraucherfeindlich".
Glassman weiter: "Wenn die europäischen Gesellschaften
immer älter werden und somit die Bürger der EU wohl
wieder länger arbeiten müssen, bedarf es einer
beträchtlich besseren Gesundheitspolitik als bisher, damit
diese Menschen auch tatsächlich länger fit bleiben. Dazu
zählt natürlich auch eine freie Informationspolitik im
Gesundheitswesen." Viele Amerikaner wundert es, dass die meisten
europäischen Staaten im Gesundheitswesen eine Politik des
"emergency management" (Notfall-Management) betreiben. Schon
alleine der immer noch sorglose Umgang mit dem Rauchen zeige: nicht
bevor ein Mensch krank ist, kümmere man sich um seine
Gesundheit. In den USA hingegen, wo seit Jahren eine
hartnäckige und in jeder Beziehung offene
Aufklärungspolitik betrieben wird, ist das Rauchen signifikant
zurückgegangen. Sprüche auf Zigarettenpackungen allein
seien keine ausreichende "Informationspolitik", solange den
EU-Bürgern der Zugang zu anderen Informationsquellen im
Gesundheitssektor versperrt werden, prangerte Glassman an.
Dieser Argumentation stimmten auch zwei sozialistische
Abgeordnete des Europa-Parlaments (MEP) zu. Während sich der
spanische MEP Manuel Medina Ortega in seiner Kritik allgemein hielt
- die Lissabon-Agenda versuche das "Paradies auf Erden zu schaffen"
und sei deshalb schon "unmöglich zu erfüllen" - fand der
britische MEP Peter Skinner deutlichere Worte. Skinner bezeichnete
die EU als "Weltmeister in Verordnungen". Er stimmte Glassman zu,
dass insbesondere zur Verbesserung der Gesundheitsaufklärung
in Europa auch das Verbot der Werbung für Pharma-Produkte
abgeschafft werden müsse. "Wenn wir Verordnungen und Verbote
verkaufen könnten, wären wir wohl der reichste
Wirtschaftsblock der Welt", so Skinner.
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