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Geneviève Hesse
Ein Leben nach der Arbeit?
Das Stück "Eldorado" skizziert das
Doppelleben eines Arbeitslosen
Mitten in der Hartz-IV-Zeit zeigt eine Aufführung an der
Schaubühne Berlin, dass das Leben nach dem beruflichen Absturz
auferstehen kann - und vielleicht erst dann richtig aufblüht.
In "Eldorado" greifen Autor Marius von Mayenburg und Regisseur
Thomas Ostermeier den widersprüchlichen Zeitgeist zum Thema
Arbeitslosigkeit subtil auf. Ein erfolgreicher Geschäftsmann,
Anton, wird arbeitslos. Es ist keine freiwillig gewählte,
kreative Pause - Anton wird gefeuert, er hat schwerwiegende Fehler
begangen. Selber schuld. Jetzt tut er, als nichts wäre. Seine
Frau darf es nicht erfahren. Jeden Tag verlässt er das Haus -
doch Anton hat kein Büro mehr. Sein Schicksal endet mit
Selbstmord, so real, wie man es sich in Zeiten von Hartz IV
vorstellen kann. Anton stirbt, weil sein Selbstwertgefühl im
Privatleben nicht tief genug verankert ist, um den Super-GAU im
Beruf zu überleben. Doch auf der Bühne geht sein Leben
weiter, der Verstorbene tritt wieder auf und kann reden. Nach dem
Filter des Todes fallen die Mas-ken ab. Die Kommunikation von Anton
mit seiner Frau Thekla fängt endlich wirklich an. Sie reden
nicht mehr aneinander vorbei.
Anton muss durch den Tod, um wieder zum Leben zu kommen. Er ist
auf der Suche nach einer anderen Dimension, in der er sich hingeben
kann. Die Sehnsucht nach dem Land mit Gold - Eldorado. Es geht hier
um das Streben nach dem alles verheißenden Glück. Doch
davon hat jeder eine andere Vorstellung. Antons Chef Aschenbrenner
wirft Bomben, baut Häuser, und sehnt sich nach einer neuen,
durch die Menschen künstlich erbauten Landschaft. Er
verkörpert die kriegerische, konsumorientierte Gesellschaft.
Die sexgeile Mutter von Thekla strebt nach immer mehr Macht. Dank
ihres Vermögens kann sie alles kaufen und manipulieren. Erst
am Ende verliert die selbstverliebte Mutter. Sie schafft es nicht,
ihre verwitwete Tochter ins eigene Haus zurückzulocken. Sie
gehört zur alten, überholten Generation, deren Werte in
Zeiten der arbeitslosen Gesellschaft keine Zukunft mehr haben.
Das ist der Wendepunkt von Eldorado: Wie gehen Frauen mit dem
wirtschaftlich entwerteten Mann um? Thekla bricht mit der
herrschsüchtigen Haltung ihrer Mutter. Dadurch wird sie zur
zentralen Figur der Geschichte. Stephanie Eidt in der Rolle von
Thekla verkörpert durch ihre erdgebundene Art die aufbrechende
Generation. Sie steht auch da für die Erbengeneration, die
sich dagegen wehrt, seelisch gekauft zu werden. "Was du willst",
verspricht ihr die Mutter verführerisch. "Nein. Was du
willst", schreit Thekla zurück und entlarvt die
mütterliche Dominanz. Mit ihrem etwas naiven Spiel
übernimmt Stefanie Eidt die Rolle einer modernen Madonna. "Wir
werden das Haus verlieren, aber mich verlierst du nicht",
flüstert sie am Ende ihrem Mann zu. Schade nur, dass er
sterben musste, damit sie endlich die richtigen Worte findet. Am
Anfang schwärmte sie hauptsächlich von der Pergola im
neuen Haus. Zwar freute sie sich auch auf das in ihrem Bauch
wachsende Kind als die "funktionierende" Perspektive ihres
gemeinsamen Lebens. Aber die meiste Zeit beklagte sie sich
über den Verfall ihrer beruflichen Identität als
Pianistin.
Dank Theklas späterer Umkehr gibt es noch eine Chance
für Anton - trotz des Todes. Optimismus war bisher nicht
gerade die Stärke des Autors von "Eldorado". Doch in der
letzten Szene steckt viel Hoffnung. Thekla hält Anton
zärtlich in ihren Armen. Ihre letzten Worte wirken beruhigend
und zuversichtlich: "Du musst jetzt schlafen, alles andere kommt
später." Sanft umschlungen ist das Ehepaar auch am Anfang des
Stückes eingeschlafen, lagen allerdings hilflos auf dem Boden.
Nun stehen sie kraftvoll da, die beiden Figuren, die bisher als
therapiebedürftig abgestempelt waren. Raffiniert läutet
"Eldorado" eine moderne Auffassung von beruflichem und privatem
Glück ein. Es entwirft erste Schritte aus der Arbeits- und
Liebesmisere. Sicher ist es ein Luxus der neuen
Wohlstandsgeneration, nicht mehr in kriegerischen Begriffen denken
zu müssen. Sei es im Beruf oder in der Ehe. Aber vielleicht
ist es auch richtige Avantgarde.
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