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Detlev Lücke
Aufgekehrt...
Wir leben in bewegten Zeiten. Wir bewegen uns zwar kaum,
dafür werden wir bewegt. Oder wie der Berliner sagt: "Du
denkst du schiebst, und wirst jeschoben." Da ist es gut, wenn der
gemeine Bürger die täglich von höheren Wesen
eingeforderte Flexibilität ein wenig in seinem vertrauten
Alltag übt. Was man beispielsweise in Betriebskantinen und
Restaurants, so man sie noch besuchen darf, erfährt. "Kann ich
statt Kartoffeln auch Nudeln haben." "Ich hätte lieber Reis
anstatt der Nudeln." "Für mich bitte einmal ohne Gemüse."
"Krieg ich statt Schnitzel auch kein Schnitzel?" Und so weiter und
so fort.
Schön, dass sich dieser Tauschzwang nun auch in anderen
Etagen fortsetzt. Und so sehen wir erstaunt und mäßig
interessiert im ZDF den CDU-Chef von NRW in einer fremden
Küche putzen. "Ich liebe es ein bisschen ordentlicher", teilt
Jürgen Rüttgers dem Publikum mit. Auch die SPD-Vizechefin
Ute Vogt und die sächsische Grünenabgeordnete Antje
Hermenau fragen sich öffentlich: Kann ich statt Politik mal
was anderes in fremden Wohnungen machen? Aber immer, meint das
Zweite Deutsche Fernsehen. Jetzt warten wir auf den Leninschen
Umkehrschluss, dass auch eine Köchin den Staat leiten
könne. Wie wäre es, wenn die Küchenfee, in deren
Reich gerade Jürgen Rüttgers eingekehrt ist, den
Vorschlag machte: Könnte ich statt Bratkartoffeln zu brutzeln
mal ans Rednerpult im Düsseldorfer Parlament?
Fernsehübertragung garantiert.
Der Bundeskanzler hat sein Verhältnis zum geplagten
Außenminister schon mal mit dem Satz vom Koch und Kellner
gußeisern gegen jeden Wechselkurs sanktioniert. Da verbieten
sich alle Fragen. Oder nicht? Schweifen wir doch im Schillerjahr
mal kurz ab. (Kann ich statt Schiller mal lieber?) Apropos Goethe.
Dessen Begriff der Weltschöpfung hat der Philosoph und
Zeitgenosse Friedrich Wilhelm Josef Schelling auf den Satz von der
"Dauer im Wechsel" gebracht. Darüber wäre
nachzudenken.
Derweil gibt es inzwischen die nötige Bewegung auch in der
deutschen Sprache, die schon ohne Rechtschreibreform durch Wandel
von Betonungen und Klangfarben in den Zustand der Kreolisierung
gerät. Am schönsten manifestiert sich das wiederum in
NRW, wo man einfach alle kurzen Vokale lang und alle langen kurz
spricht, also Wuuust statt Wurst und Thirrrse statt Thierse.
Määährwäärt statt Mehrwert oder Ommma
statt Oma. Intellektuelle Gemüter bringen gleichfalls ihren
Beitrag zur nötigen Mobilität. Gerade sie litten
häufig in öffentlichen Diskursen unter einem Äh, das
sich in ihre wegweisenden Statements schlich. Diese Zeit ist
vorbei! Wer etwas auf sich hält, schließt nach dem
Äh bedeutungsvoll kurz den Mund zu einem Ähhmm. Hört
sich gut an, ist innovativ und ministrabel. Bringt große wie
kleine Leute zusammen. Ähhmm, was ich noch sagen wollte:
Ähhmm schließt den Mund und Käse den Magen. "Kann
ich statt Käse eventuell...?" Aufhören!
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