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Annette Rollmann
Ein Dichter unter Menschen
24 Stunden Schillermarathon in der neuen
Akademie der Künste in Berlin
Natürlich hört sich Schiller nach
Bildung, nach intellektueller Durchdringung, nach hohem Streben an.
Man könnte so hübsche Sätze über ihn schreiben
wie: Schiller ist Hochkultur. Er ist Nationaldichter. Es gibt eine
Nationalausgabe. In jeder Stadt gibt es eine Schillerstraße,
eine Schillerschule. Stimmt alles. Aber genau in diesem
Hochfahrenden, in dieser wortklingenden Kulturschwere liegt auch
das Problem: Unwillkürlich setzt Ermüdung,
Erschöpfung, erwartete Langeweile ein. Die Erinnerung daran,
dass Schiller vor allem eine Aufgabe für beflissene
Deutschlehrer ist, ein Dramatiker für pflichtschuldige
Theaterabende, ein Dichter für die Vitrine - sozusagen.
Doch mitnichten. Dass dem nicht so ist, haben
wir vor allem Friedrich Schiller selbst zu verdanken, der mit
seinen Texten, in denen der Wille zur Freiheit, die Liebe zur
Rebellion jeden ansprechen, der nicht innerlich das Leben
längst hinter sich gelassen hat. Er erreicht die, die Anmut
und Schönheit lieben, die die Wahrheit suchen und doch an ihr
scheitern. Schiller ist der, der mit ästhetischer Sprachgewalt
kantige Personen formt und damit die Gegenwart reizt und erreicht
wie wenige.
Lebendig gemacht haben dies am 5. und 6.
März in einem furiosen 24-Stunden-Marathon in dem neuen Bau
der Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin etwa 80
Schauspieler, Politiker und prominente Vertreter aus Politik und
Theater. Jeder, der las, konnte sich einen Text aussuchen, nur
begrenzt durch den Wunsch eines anderen. Sie trugen Balladen und
Gedichte vor, wie auch Passagen aus den theoretischen Schriften und
aus den Szenen der Dramen von Schiller. Die Veranstaltung wurde
organisiert von der Kulturstiftung des Bundes, der Akademie der
Künste und dem Theaterkanal.
Schirmherrin Kulturstaatsministerin Christina
Weiss eröffnete mit dem Prolog zu "Wallenstein" die "Tour de
Schiller" mit den für das Gebäude passenden Worten: "O!
möge dieses Raumes neue Würde / Die Würdigsten in
unsre Mitte ziehn", Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) trug
Schillers "Kampf mit dem Drachen vor" und Bundesinnenminister Otto
Schily las "Über das Erhabene" und rezitierte kraftvoll: "Alle
andere Dinge müssen; der Mensch ist das Wesen welches will."
Der 90 Jahre alte George Tabori war sozusagen Ehrengast und trug
den wohl kürzesten Text mit Würze vor. "Der Name
Württemberg schreibt sich von der Wirt am Berg. Ein
Württemberger ohne Wein, kann der ein Württemberger
sein?"
Die Tagnachttaglesung war die offizielle
Auftaktveranstaltung zum Schillerjahr. Der Dichter starb vor 200
Jahren, 45-jährig von Fieberkrämpfen gepeinigt und doch
zuversichtlich. Einen Tag vor seinem Tod am 9. Mai 1805 hatte er
auf die Frage nach seinem Befinden geantwortet: "Immer besser,
immer heiterer."
Es hätte ihm gefallen: Überall
hallte und sprach es in der künftigen Akademie Schillerverse,
es waren Monitore aufgestellt, Leinwände aufgezogen, junge
Frauen hatten FC Schiller Fan T-Shirts an. Die 8.000 Besucher
drängelten sich im Vortragssaal, standen Schlange, saßen
im Foyer, an der Bar und ließen ihren Blick durch das
Gebäude schweifen, durch die Glasfront des Hauses auf die
Kuppel des Reichstages mit den im Wind wehenden Fahnen. Man
könnte denken, extra für den Nationaldichter.
Und was macht Schiller so gegenwärtig?
Der Shootingstar Matthias Schweighöfer, der im Mai im ARD-Film
"Schiller" mit flammendroten, abstehenden Haaren die Hauptrolle
spielt, formulierte das neue Schillerbild zum Schillerjubiläum
2005, das über ihn aller Orten geprägt wird. Schiller
soll nicht länger nur der große Dichter und Idealist auf
einem hohen Sockel sein, er soll endlich so werden, dass wir ihn
erkennen: "Er ist Mensch, wie wir alle", sagte
Schweighöfer.
Und auch der Theater- und Fernsehschauspieler
Heikko Deutschmann erzählte, ihn fasziniere an Schiller das
Sich-selbst-Vergessene, das Menschliche und berichtet von der
Szene, wie der 22-jährige Schiller die um 17 Uhr angesetzte
Uraufführung seiner "Räuber" in Mannheim fast
versäumt habe. In Schwetzingen war er hängen geblieben,
weil er sich mit einem Schankmädchen verlustierte. Damit
hätte Schiller fast seinen Triumph verpasst, wie es ihn bis
dahin kaum gegeben hatte: Ein junger Dichter und sein beginnender
Weltruhm. Wie in Quellen ein Zeuge der Uraufführung schildert,
brach nach der Vorführung die Hölle los: "Das Theater
glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste,
stampfende Füße, heisere Aufschreie im Zuschauerraume!
Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen
wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Türe. Es war eine allgemeine
Auflösung wie im Chaos, aus dessen Nebeln eine neue
Schöpfung bricht." Schiller, der hoch aufgeschossene,
schlaksige Kerl, bietet aber auch sonst allerlei Menschliches. Er
liebt mehrere Frauen gleichzeitig, er leidet, ist oft krank, er
jammert über zu wenig Geld, spielt Karten, trinkt Champagner,
nimmt Schnupftabak. Auch in diesem Sinn sagte der Schweizer
Schriftsteller und Präsident der Akademie Adolf Muschg zu
Beginn des Lesemarathons: "Wir wollen Schiller von vielen Seiten
zeigen, auch von seiner lockeren, sogar selbstironischen Seite."
Die Schauspieler, sie lasen Bekanntes und unbekanntes, rezitierten
mal donnernd oder auch selbstbespiegelnd. Esther Schweins versuchte
sich mit einem Text über Anmut und heischte beim Publikum um
dieselbe. Nach einem Seufzer hauchte sie: "Ich hoffe, das war
anmutig."
Die, die die ganze Nacht aushielten, wurden
belohnt durch Feldbetten, auf die sie sich müde legen konnten
und mit Beats, die von Tyron Ricketts, Ex-Vivamoderator, Rapper und
Schauspieler aufgelegt wurden. Er sang Schiller, "Kastraten und
Männer". Die, die Lider schon gesenkt hatten, wachten
spätestens da wieder auf. Am nächsten Morgen ging es
weiter, mit Leander Haußmann, der zusammen mit Detlev Buck aus
seinem Drehbuch "Kabale und Liebe" vortrug, das er verfilmen will.
Ganz am Ende, Sonntagmittag, sprachen die Veranstalteter, als
Schillers "Ode an die Freude" mit der Verszeile "Alle Menschen
werden Brüder" verklungen war, von einem "kollektiven Aufstand
gegen die sprachliche Verarmung und die Inhaltsleere einer
überinformierten Mediengesellschaft".
Das Akademiegebäude, in dem sich die
Menschen in diesen 24 Stunden zusammengefunden hatten, ist zur
Seite des Pariser Platzes mit seinen gläsernen Fassade luftig
und einsichtig von Günter Behnisch entworfen worden. Die
Fassade, um die lange im sogenannten "Fassadenstreit" gerungen
wurde, wirkt zum Platz hin offen und transparent, wie schon
Behnischs Bonner Plenarsaal und sein heiter, leichtes
Olympiastadion in München. Der Bau vermittelt eine einladende
Öffentlichkeit, die im Gegensatz zu den vielen steinernen
Fassaden am Platz steht. Er lädt ein zum Betreten. Darin weist
die Architektur auf den Sinn einer Akademie hin. Ihr früherer
Präsident György Konrád schrieb: "Die Stadt, die
Welt der Künstler und das Publikum - die sensible und
nachdenklich Öffentlichkeit - brauchen das Haus der Akademie
an diesem Ort." Doch das, was Behnisch im Bonner Plenarsaal so
vorzüglich gelang, die Offenheit mit einer großen
Klarheit auch im Innenraum zu verbinden, wird in der Akademie zu
einem großen Spiel für Erwachsene. Da sind Treppen und
Brücken, die sich inspitzen Winkeln durch den Raum schwingen.
Die luftigen Stiegen scheinen wie im Nichts zu verschwinden, wie
Himmelsleitern in Märchenwelten. Doch ob so Architektur die
Gegenwart erreicht? Gleich der Nachbar nebenan, der Entwurf von
Frank Gehry für die DG-Bank hat vorgemacht, wie man Glas mit
moderner Verheißung von Stadtsein zusammenführt, ohne
kitschig zu werden.
Das Gebäude Pariser Platz 4, wurde
erstmals 1734 errichtet. Als Akademie wurde es gerade in den 20er-
und frühen 30er-Jahren unter der Präsidentschaft von Max
Liebermann ein herausragender Ort für das künstlerische
Leben. Die Akademie wurde zum wichtigsten Forum für die
kulturpolitischen Fragen in der Zeit der Weimarer Republik. Von den
Nazis wurde das Haus zur Generalbaudirektion umfunktioniert, in der
jungen DDR diente es den Akademiemitgliedern als Atelier.
Später, in den letzten Jahren der DDR wurde das Gebäude
vor allem von Grenztruppen genutzt. Nachdem die Akademie der
Künste lange am Tiergarten, fast versteckt, residiert hatte,
ist sie nun wieder an ihrem historischen Ort angekommen, direkt am
Brandenburger To. Am 21. Mai wird sie offiziell eröffnet
werden.
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