Karl-Otto Sattler
Freie Verträge contra Gleichheit
Anhörung im Bundestag
An Sachverständigen herrscht bei Anhörungen nie
Mangel. Durch so gewaltige Papierberge wie beim Hearing zum
Antidiskriminierungsgesetz (ADG) müssen sich Interessenten
indes selten wühlen, 20 Wissenschaftler sind geladen, zudem 40
Verbandsvertreter. Der Medienandrang ist enorm. Der Widerstand von
SPD-Promis gegen dieses Projekt lädt die Stimmung
zusätzlich auf. Über dem Showdown der Experten liegt
Spannung: Wer hebelt wessen Position aus, welche Seite kann
Punktsiege landen? Gleichheitsgrundsatz contra Vertragsfreiheit:
Gekämpft wird um Verfassungsprinzipien.
Wie verbreitet sind Diskriminierungen? Heiner Bielefeldt vom
Deutschen Institut sagt, sie seien "alltäglich", so
hätten Bewerber allein wegen ausländisch klingender Namen
Probleme bei der Jobsuche. Der Sozialverband Deutschland meint, es
werde "immer wieder" bekannt, dass Behinderten der Zugang zu
Gaststätten verwehrt werde. Doch Professorin Ulrike
Wendeling-Schröter (Hannover) als engagierte Befürwor-
terin des ADG erläutert, die Arbeitswelt sei nicht von
Diskriminierung dominiert, gleichwohl kämen solche Fälle
vor. Die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände
(BDA), der das ADG ablehnt: "Diskriminierungen sind kein Problem
der betrieblichen Wirklichkeit." Der Hotel- und
Gaststättenverband betont, dass in dieser Branche schon ein
Drittel der Beschäftigten ausländische Pässe
habe.
"Überflüssig" sind aus Unternehmersicht in Deutschland
die EU-Richtlinien, über deren unvermeidbare Umsetzung man
jedenfalls nicht hinausgehen dürfe - weil damit unvertretbare
Konsequenzen verbunden seien. Der Paritätische
Wohlfahrtsverband hingegen erklärt, die bisherigen Regelungen
zum Schutz vor Diskriminierungen seien nicht ausreichend,
Betroffenen stehe "nicht in allen Fällen" ein effektiver
Schutz zu. Der Deutsche Frauenrat lobt das ADG als Schritt hin zur
"diskriminierungsfreien Zivilgesellschaft".
Für Bielefeldt ist das Verbot von Diskriminierung ein
"strukturelles Prinzip der Menschenrechte", so etwas müsse
auch Privatpersonen untersagt werden. Zwar hätten
Hauseigentümer oder Religionsgemeinschaften eigene
Freiheitsrechte, doch trage der Entwurf diesen Erfordernissen
differenziert Rechnung. Professor Eberhard Eichenhofer (Jena)
meint, das ADG leite sich aus dem deutschen Verfassungsrecht ab.
Als Anhänger des Gesetzes schätzt Matthias Mahlmann (FU
Berlin), dass die praktische Wirksamkeit der über das
Brüsseler Recht hinausgehenden Regelungen begrenzt sein werde,
Behindertenverbände sollten keine zu großen Erwartungen
hegen. Der Behindertenbeauftragte Karl Hermann Haack plädiert
denn auch für weitere Verschärfungen. Rainer Nickel (Uni
Frankfurt/Main) weist Befürchtungen wegen ausufernder
Regressforderungen zurück: Das Schmerzensgeldrecht sorge
dafür, dass bei Schadensersatzklagen "die Bäume nicht in
den Himmel wachsen".
Grundsatz der Unschuldsvermutung
Ein zentraler Streitpunkt des ADG ist die Beweislastumkehr:
Arbeitgeber, Vermieter oder Privatversicherer müssen als
Beklagte die Nichtdiskriminierung belegen, Kläger brauchen vor
Gericht nur die Vermutung einer Diskriminierung "glaubhaft" zu
machen. Den Sturm der Entrüstung versteht Sibylle Raasch
nicht: Es handele sich im Kern gar nicht um eine Beweislastumkehr,
sondern um eine Erleichterung der Beweisführung. Der
Landkreistag aber ist alarmiert: "Der rechtsstaatliche Grundsatz
der Unschuldsvermutung wird umgekehrt." Katharina Vera Boesche (FU
Berlin) verlangt, gemäß EU-Recht die Beweislastumkehr
strikt auf eine Benachteiligung wegen ethnischer Herkunft zu
beschränken. Die Anwältin Andrea Nicolai stuft das ADG
als "missbrauchsanfällig" ein: Schon heute würden
angebliche geschlechtsspezifische Diskriminierungen für
Schadenersatzklagen ausgenutzt. Der Deutsche Anwaltverein moniert,
die Beweislast werde in einer Weise geregelt, "die Missbrauch
Tür und Tor öffnet". Der Arbeitgeberverband fürchtet
eine enorme Bürokratie, wenn die Berufsbiographie jedes
Arbeitnehmers penibel dokumentiert werden müsse, um für
die Eventualität einer Klage die Nichtdiskriminierung belegen
zu können.
Professor Thomas Pfeiffer (Heidelberg) spricht von einer
"unbarmherzigen Radikalität" des ADG: Bei einer
Körperverletzung hafte der Verursacher nur bei schuldhaftem
Verhalten, bei Diskriminierungen solle diese Begrenzung nicht
greifen. Die Arbeitgeber empört auch die Haftung für
einen Dritten: Sie würden sogar für das Tun ihrer
Beschäftigten und von Geschäftspartnern oder Kunden zur
Rechenschaft gezogen. Zudem sollen Chefs Schulungen über
diskriminierungsfreies Verhalten organisieren: Betriebe als
Erziehungsanstalten in puncto political correctness?
Pfeiffer wertet das Gesetz als inakzeptablen Eingriff in die
Vertragsfreiheit: Der Staat dürfe nicht bestimmen, welche
Verträge etwa bei Vermietungen zustandekommen. Heide Pfarr von
der Hans-Böckler-Stiftung widerspricht: Die Vertragsfreiheit
beinhalte "kein Recht auf Diskriminierung". Jedoch kritisiert auch
der Deutsche Richterbund die "Abwendung vom Grundsatz der
Vertrgsfreiheit": Über Schadensersatzregelungen werde
"mittelbar ein weitgehender Kontrahierungszwang für große
Teile des wirtschaftlichen Lebens begründet".
Der Sozialverband hofft, dass sich die Perspektiven Älterer
auf dem Arbeitsmarkt verbessern - eben wegen des
Benachteiligungsverbots aus Altersgründen. Der Münchner
Professor Volker Rieble beleuchtet eine andere Konsequenz dieser
Vorschrift: Im Tarifrecht würden die zwischen Gewerkschaften
und Unternehmern ausgehandelte Entlohnung nach Berufsjahren wie
auch ein stärkerer Kündigungsschutz für ältere
Beschäftigte in Frage gestellt. Ob sich die Arbeitgeber wegen
der Aussicht auf Lohneinsparungen mit diesem Aspekt des ADG
anfreunden?
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