Dirk Klose
"Eine Demokratie muss sich wehren"
Bundestag beschließt verschärftes
Straf- und Versammlungsrecht
Aufmärsche von Neonazis sollen in Zukunft leichter
verhindert und die Verherrlichung von NS-Gewalttaten schärfer
geahndet werden können. Dazu hat der Bundestag mit großer
Mehrheit in dritter Lesung am 11. März eine Erweiterung des
Straf- und des Versammlungsrechts beschlossen. Danach können
Volksverhetzung stärker bestraft und Demonstrationen an Orten,
die an die Opfer der NS-Diktatur erinnern, eingeschränkt oder
verboten werden. Lediglich die FDP-Fraktion stimmte gegen die
Neuregelungen; sie nannte das neue Gesetz einen Schritt zum
"Gesinnungsstrafrecht".
Koalition und Union hatten sich in den Tagen zuvor auf ein
gemeinsames Vorgehen geeinigt. Sie hatten dabei eine Formulierung
des Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof, Armin Nack, aus
einer Expertenanhörung des Innenausschusses wenige Tage zuvor
aufgenommen, wonach mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren
oder mit einer Geldstrafe bestraft werden soll, wer den
öffentlichen Frieden dadurch stört, dass er
nationalsozialistische Gewalt und Willkürherrschaft billigt,
verherrlicht oder rechtfertigt.
Auf der Anhörung hatte der Landrat des Kreises Wunsiedel
den Ausschuss eindringlich aufgefordert, stärkere
Abwehrmaßnahmen gegen Aufmärsche von Rechtsextremisten zu
ermöglichen. Wunsiedel sieht sich jedes Jahr mit Aufzügen
von Neonazis konfrontiert, die aus ganz Europa in die Stadt kommen,
um an den dort begrabenen Hitlerstellvertreter Rudolf Hess zu
erinnern.
In der Bundestagsdebatte hatten Redner aller Parteien zu mehr
Zivilcourage gegenüber neonazistischen Aktivitäten und
Demonstrationen aufgerufen. Nach Ansicht der SPD-Abgeordneten
Cornelie Sonntag-Wolgast hat die rechtsextreme Szene in Deutschland
weiterhin Zulauf; mit "perfider Sachkenntnis" mache die NPD im
politischen Bereich, etwa im sächsischen Landtag, auf sich
aufmerksam. Eine gefestigte Demokratie müsse Grenzen der
Toleranz ziehen können, wenn es um die Meinungsfreiheit und um
die Würde der Opfer von Gewaltherrschaft gehe. Wie auch andere
Redner rief sie dazu auf, am 8. Mai für die Demokratie Farbe
zu bekennen; an diesem Tag müsse die demokratische
Öffentlichkeit am Brandenburger Tor präsent sein.
Umstritten blieb zwischen Koalition und Unionsfraktion, ob das
Brandenburger Tor in die Bannmeile des Bundestags einbezogen werden
soll. Die CDU/CSU wie auch Bundesinnenminister Otto Schily (SPD)
sprachen sich dafür aus, die Koalitionsparteien lehnten dies
ab. Christian Ströbele von den Grünen: "Wir wollen keine
Bannmeile um das Brandenburger Tor. Wir sind Verteidiger des
uneingeschränkten Demonstrationsrechts, das wollen wir
bleiben."
Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach sagte, eine Demokratie
müsse sich auch wehren und den Feinden der Freiheit die
Grenzen aufzeigen können. Demonstrationen von Neonazis
beschädigten das Ansehen Deutschlands und verletzten die
Würde der Opfer. Er verwies darauf, dass nach den neuen
Bestimmungen der Bund nur in der Hauptstadt - für die
Gedenkstätte der ermordeten Juden Europas - eine Entscheidung
treffe; ansonsten sei es Sache der Länder, schützenswerte
Stätten festzulegen. Der bayerische Innenminister Günther
Beckstein begrüßte diese "Regelungsmöglichkeit" der
Länder.
Für die FDP-Fraktion lehnte der Abgeordnete Max Stadler die
verschärften Bestimmungen im Versammlungsrecht und im
Strafgesetzbuch ab. Sie seien nicht notwendig, von der Sache her
nicht geeignet und möglicherweise sogar verfassungswidrig. Die
geltenden Gesetze, so Stadler, reichten für eine wirkungsvolle
Bekämpfung der rechtsextremen Szene und für die
Bestrafung von Verleumdern der NS-Gewalttaten völlig aus: "Der
Rechtsextremismus kann nicht durch eine Einschränkung des
für alle Bürger geltenden Veresammlungsrechts
bekämpft werden." Es müsse jeder Eindruck eines
"Gesinnungsstrafrechts" vermieden werden.
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