Hans Krech
Endloser politischer Streit und Ränkespiele
am Hindukusch
Dubiose Geheimverhandlungen in
Afghanistan
Geheimverhandlungen haben in der afghanischen Geschichte eine
lange Tradition. Sie sind auch ein bestimmender Teil der
politischen Auseinandersetzung in der Gegenwart. Gestützt auf
veröffentlichte Quellen und Hintergrundinformationen des
pakistanischen Geheimdienstes ISI gibt es in Afghanistan drei
parallel verlaufende geheime politische Verhandlungsprozesse:
Erstens: Verhandlungen der Taliban-Führung um Mullah Muhammad
Omar mit den paschtunischen Warlords Hekmatyar und Haqqani zur
Bildung einer landesweiten politischen und militärischen Front
gegen Präsident Karsai und die US-Truppen, zweitens:
Verhandlungen der legalen politischen Opposition in Kabul mit den
wichtigsten paschtunischen Warlords im Untergrund in
Süd-Afghanistan, Hekmatyar und Haqqani, zur Bildung einer
gemeinsamen Front gegen Präsident Karsai und drittens:
Verhandlungen der Regierung Karsai mit der Taliban-Führung zur
Einbeziehung von gemäßigten Taliban-Repräsentanten
in die Regierung und der Legalisierung der Taliban als politische
Partei sowie mit Randgruppen des im Untergrund kämpfenden
Warlords Hekmatyar.
Die Geheimverhandlungen sind in der gegenwärtigen Phase des
Machtkampfes um die Kontrolle der Regierung in Kabul
vorentscheidend für die zukünftige politische Ausrichtung
Afghanistans. Die Phase der Geheimverhandlungen in Afghanistan
wurde im Frühjahr 2003 durch den Taliban-Führer Mullah
Muhammad Omar eröffnet, der sich seit dem Ende des
Afghanistan-Krieges im Umfeld der paschtunischen Metropole Kandahar
versteckt halten soll. Als die Taliban von den US-Truppen und der
kleinen Gruppierung um Karsai in Kandahar im November 2001
eingekesselt wurden, handelten die Taliban mit den regionalen
paschtunischen Warlords und Karsai eine Kapitulation aus. Die
Taliban-Krieger übergaben ihre Waffen an die paschtunischen
Warlords und sollten straffrei sein. Mullah Muhammad Omar sollte
als Prediger an die von ihm errichtete prächtige Moschee nach
Kandahar zurückkehren und dort ebenfalls straffrei als
geistiger Führer der Taliban leben. Die Taliban sollten nicht
verboten, sondern in die Regierung integriert werden.
Dies scheiterte jedoch am Widerstand der US-Regierung, die
Mullah Muhammad Omar wegen der Unterstützung von Osama bin
Laden vor Gericht stellen wollte. Hubschrauber der US-Marines
jagten den mit einem Motorrad flüchtenden Taliban-Führer,
der entkommen konnte. Er wird seitdem von paschtunischen
Stämmen im Umfeld von Kandahar versteckt und beschützt.
Danach sammelte Mullah Muhammad Omar etwa 1.000 Kämpfer um
sich, zog in die Berge des Hindukusch südlich von Kandahar und
nahm den bewaffneten Kampf gegen die Regierung Karsai und die
US-Truppen auf. Mehrere Provinzen im Süden Afghanistans werden
weitgehend von Taliban kontrolliert. Doch ihre militärische
Kraft reicht keinesfalls zur Rückeroberung ganz
Süd-Afghanistans aus. Gefährlich sind sie Taliban ihre
Selbstmordanschläge.
Mullah Muhammad Omar versuchte in dieser Situation, ein
Kampfbündnis mit den anderen beiden im Untergrund
kämpfenden paschtunischen Warlords zu schließen: mit
Gulbuddin Hekmatyar und Jallaludin Haqqani. Hekmatyar führt
die Hizb i-Islami I und war im Krieg gegen die sowjetischen Truppen
in Afghanistan der mächtigste von den USA und arabischen
Staaten unterstützte Warlord. Er hat nie ein Hehl daraus
gemacht, Präsident des neuen Afghanistans werden zu wollen.
Von allen paschtunischen Warlords und Politikern - insbesondere
Omar, Haqqani und Karsai - ist Hekmatyar der politisch
einflussreichste und machtgierigste Führer der paschtunischen
Bevölkerungsmehrheit. Doch er ist ein Todfeind der Taliban und
von Al-Qaida, er kämpfte gegen sie und verlor. Nur die Flucht
in den Iran rettete ihm das Leben. Als ihm nun der
Taliban-Führer Mullah Muhammad Omar im Frühjahr 2003 ein
Kampfbündnis anbot, soll Hekmatyar nach allen vorliegenden
Berichten abgelehnt haben.
Jedoch nahm er nun selbst Geheimverhandlungen mit dem
paschtunischen Warlord Jallaludin Haqqani auf, der mit seiner Hizb
i-Islami II im Südwesten Afghanistans erfolgreich gegen
US-Soldaten und afghanische Regierungstruppen kämpft.
Hekmatyar und Haqqani trafen sich Anfang Juli 2003 zu
Geheimverhandlungen und schmiedeten ein Kampfbündnis.
Dann führte Hekmatyar im Sommer 2003 auch
Geheimverhandlungen mit Burhannudin Rabbani, dem geistigen
Führer der Tadschiken. Beide trafen Absprachen über den
Aufbau einer landesweiten paschtunisch-tadschikischen Front gegen
Präsident Karsai.
Rabbani lag seit Monaten im politischen Streit mit Marschall
Fahim, dem tadschikischen Verteidigungsminister in Kabul. Fahim ist
die militärische und politische Hauptstütze von Karsai.
Nicht Karsai, sondern Fahim hat in Kabul die Macht. Marschall Fahim
stützt sich auf die sieggewohnten Tadschiken aus dem
Panshir-Tal am Salang-Pass. Russland unterstützt den
früheren tadschikischen Geheimdienstchef besonders massiv.
Dadurch hat sich Fahim jedoch innerhalb der Tadschiken zunehmend
isoliert. Diese hatten wie auch die Paschtunen unter großen
Opfern gegen die sowjetischen Besatzungstruppen gekämpft.
Zwischen der kleinen, kampfstarken Gruppierung Fahim und dem
größeren Teil der Tadschiken unter Führung von
Rabbani kam es 2003 zunehmend zu einem Zerwürfnis.
Rabbani sammelte in Kabul die legale politische Opposition, wie
den Usbeken-Führer Rashid Dostum und den
Wahhabiten-Führer Rassul Sayyaf, und sie traten auf der Loya
Dschirga gemeinsam gegen Karsai auf. Zugleich trafen sie geheime
Absprachen mit den paschtunischen Untergrund-Warlords Hekmatyar und
Haqqani. Dadurch verlor Karsai 2003/2004 in weiten Landesteilen
weiter an Einfluss und Macht. Nur wo ausländische Truppen
stehen, hat er auch Regierungsgewalt. Seine eigenen paschtunischen
Unterstützer können lediglich etwa 2.000 Kämpfer
aufbieten. Als besonders nachteilig erweist sich, dass Karsai
Mitglied der reaktionären monarchistischen Gruppierung ist,
die bereits 1973 die Macht verlor und ins Exil getrieben wurde. Die
Monarchisten haben kaum Rückhalt in der paschtunischen
Bevölkerung.
Die Regierung trat selbst in Geheimverhandlungen mit den Taliban
ein, um die Bildung einer landesweiten Anti-Karsai-Front zu
verhindern. Der in US-Haft sitzende frühere
Taliban-Außenminister Mullah Ahmad Mutawakil wurde
freigelassen, nachdem er sich in einem Brief aus dem Gefängnis
an Karsai als Unterhändler angeboten hatte. Ab Oktober 2003
nahm Mutawakil im Auftrag Karzais Geheimverhandlungen mit den
Taliban auf, und beide Seiten erzielten ein Ergebnis. Die Taliban
sollten als politische Partei zugelassen werden und in die
Regierung eintreten. Taliban-Führer Mullah Muhammad Omar
sollte nach Kandahar zurückkehren und als geistiger
Führer der Taliban auftreten. Dadurch sollte die Machtbasis
Karsais in Süd-Afghanistan erweitert werden. Doch die
US-Regierung lehnte die Rückkehr Omars ab. Karsai gelang
jedoch ein Teilerfolg bei Geheimverhandlungen mit einer
Randgruppierung der Hizb i-Islami I Hekmatyars, die sich im Mai
2004 von ihm lossagte und ins Regierungslager wechselte.
Größe und Einfluss dieser Abspaltung lassen sich schwer
bewerten.
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