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Sabine Kebir
Suche nach Sinn und Halt in einer kalt gewordenen
Welt
Karen Armstrongs fundamentales Werk über
christlichen, jüdischen und islamischen
Fundamentalismus
Wenn der Begriff Fundamentalismus fällt,
wird meist nur an den Islamismus gedacht. Das umfangreiche, im Jahr
2000 erschienene Werk "The Battle for God" von Karen Armstrong hat
den unschätzbaren Vorzug, die mehrhundertjährige
Geschichte des christlichen, jüdischen und islamischen
Fundamentalismus parallel darzulegen. Es liegt nun auf deutsch vor.
Die britische Autorin war sieben Jahre lang Nonne, bevor sie 1969
ihren Orden verließ und sich der wissenschaftlichen
Untersuchung der Religionen zuwandte. Sie lehrt am Leo Baeck
College Judaistik und erhielt 1999 den Muslim Public Affairs
Council Media Award.
Armstrong erzählt die Geschichte der
Fundamentalismen im Spannungsfeld eines im Vergleich zum
Mittelalter neuartigen Dynamismus zwischen "Mythos" und "Logos".
Unter Mythos ist das kollektive Gedächtnis einer Kultur zu
verstehen, in das ohne Anspruch auf historische Wahrheit die Frage
nach Transzendenz sowie nach Sinn und Bedeutung von Leben und Tod
eingewoben ist. Der Logos ist die zum praktischen Leben notwendige
Vernunft und Wissenschaftlichkeit.
In den vormodernen Agrarkulturen gab es kaum
Konflikte zwischen Mythos und Logos, alle Menschen hatten Anteil an
beiden Sphären. Erst als in Europa die technische Entwicklung
unendliche Reproduzierbarkeit möglich zu machen schien, bekam
der Logos die Oberhand. Diese Verschiebung erfaßte aber nie
alle Menschen. Fundamentalismen entwickelte sich als
Gegenbewegungen zum Säkularismus in jenen Teilen der
Gesellschaften, die von Vorteilen der rationalen Weltsicht
abgeschnitten blieben. Der Fundamentalismus versuchte, eine
Gemeinschaft von Menschen in einer bestimmten Disziplin zusammen zu
schweißen, die sich aus der Auserwähltheit von Gott
ergibt.
Der Jude Spinoza konnte als Säkularer
nur Wirkung entfalten, weil ihn die liberale Amsterdamer
Gesellschaft auch aufnahm und unterstützte. Wo Juden aus den
aufgeklärten Lebensbereichen ausgeschlossen und in Ghettos
gezwungen wurden, lebte der Mythos weiter und konnte auch zur
kämpferischen Intoleranz gegen die eigenen Leute werden, wenn
sie sich seinen Gesetzen nicht beugen wollten.
Armstrong gibt eine geradezu
enzyklopädische Darstellung der jüdischen
fundamentalistischen Bewegungen besonders des 19. und 20.
Jahrhunderts, wie sie kaum irgendwo anders zu lesen sein
dürften. Ebenso wenig bekannt sind die amerikanischen
fundamentalistischen Bewegungen, darunter die der Evangelikalen und
Pfingstler. Charakteristisch für amerikanischen christlichen
Fundamentalismus ist bis heute, dass er sich ins Gewand des Logos
kleidet. Das heißt zum Beispiel, dass die Aussagen der Bibel
für naturwissenschaftliche Wahrheiten erklärt werden.
Seit den 50er- und 60er-Jahren versuchten
fundamentalistischeGruppen über Wanderprediger wie Billy
Graham und über das Fernsehen, Einfluß auf die liberale
Mehrheitsgesellschaft auszuüben. Über die gemeinsame
Bindung an das alte Testament ergab sich in den USA eine
Annäherung von Teilen der christlich-fundamentalistischen und
jüdisch-fundamentalistischen Bewegungen.
Obwohl sich Armstrong nicht scheut, die
skurrilsten Erscheinungsformen der drei Fundamentalismen
darzustellen, zeigt sie auch Verständnis für sie,
insbesondere für den islamischen Fundamentalismus. Sie sah,
dass er in den beiden von ihr behandelten Länder Iran und
Ägypten durch die neokoloniale Abhängigkeit
befördert wurde, der für die islamischen Massen den
kalten Logos verkörpert. Mit dieser Empathie wollte die
Autorin gegen den von Samuel Huntington herbeigeredeten "Clash of
Civilisations" anschreiben. Weil ihr Buch vor dem 11. September
publiziert wurde, peilte sie Lösungen innerhalb der
Kulturgemeinschaften an, die heute naiv klingen:
Dialog und Kompromiss
Die Partisanen des Logos und des Mythos
müssten sich aufeinander zu bewegen; die ägyptische
Regierung müsste aufhören, Islamisten zu verfolgen. Aus
heutiger Sicht erfährt man zu wenig darüber, weshalb sich
die Entwicklungspotentiale der drei Fundamentalismen in der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts plötzlich nicht nur gegen die
aufgeklärten Teile der eigenen Kultur wandten, sondern immer
gewalttätiger auch gegeneinander Stellung bezogen. Die
Annäherung Fundamentalisten und Säkularen innerhalb der
Kulturen hat ja stattgefunden, wenn auch nicht in dem von Armstrong
gewünschten Sinne. Es drückte sich im Entstehen von
Ideologien aus, die zum Clash of Civilisations mißbraucht
werden konnten.
Das ganze enorme Feld der
Instrumentalisierung der Fundamentalismen durch politische
Begehrlichkeiten von politischen Klassen kommt bei Armstrong nur in
Andeutungen vor. Es fehlt zum Beispiel eine Untersuchung des
Hegemoniestrebens der Saudis in der islamischen Umma, das sie zu
Finanziers des weltweiten islamischen Fundamentalismus werden
ließen. Unerwähnt bleibt folglich, dass der iranische
Fundamentalismus nicht nur eine Eigendynamik entwickelte, sondern
in der islamischen Welt in Wettbewerb mit dem saudischen
Hegemonialstreben trat. Nur so ist Khomeinis Fatwa gegen Rushdie
überhaupt zu verstehen.
Doch auch der christliche Fundamentalismus
der USA, der zunächst das eigene Land und schließlich die
ganze Erde zu Gottes Land machen will, wird von der konservativen
Regierung für ihre Pläne zur Weltbeherrschung teilweise
assimiliert und instrumentalisiert. Und die Sackgasse, in die der
israelisch-palästinensische Konflikt geriet, wurde
mitverursacht durch die Aufnahme fundamentalistisch-jüdischer
Vorstellungen von der biblischen Ausdehnung Israels in die
Handlungskonzepte der Regierung.
Trotz mancher Einschränkung handelt es
sich um ein großartiges Werk, das im zivilgesellschaftlichen
Kampf, der mittlerweile auch in der Etappe, zwischen den Partisanen
des Logos in den drei Kulturen stattfindet, eine wichtige positive
Rolle spielen kann. Wer Karen Armstrong gelesen hat, dürfte
nicht mehr behaupten, dass in den anderen Kulturen mehr
intolerantes Potential stecke als in der eigenen.
Karen Armstrong
Im Kampf für Gott. Fundamentalismus in
Christentum, Judentum und Islam.
Aus dem Englischen von Barbara
Schade.
Siedler, München, 2004; 608 S., 28,-
Euro
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