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Dieter Smolka
Sozialer Mut will gelernt sein!
Zivilcourage im Alltag
Was fördert zivilcouragiertes Handeln? Welche Erfahrungen
und Lernprozesse, welche Motive und Werte bewegen Menschen,
Zivilcourage zu zeigen? Kann man sozialen Mut im Alltag lernen und
üben, oder ist Zivilcourage eine Charakterfrage, eine Sache
der Persönlichkeit? Wie kann man Zivilcourage durch eine
gesellschaftliche, politische und pädagogische Praxis
fördern? Das Buch von Gerd Meyer gibt darauf zukunftsweisende
Antworten.
Zivilcourage als demokratische Tugend ist ein zentraler Begriff
in der Auseinandersetzung mit Gewalt und Rechtsextremismus, meint
aber ebenso eine viele Lebensbereiche umfassende Alltagspraxis
sozial mutigen Handelns. Das Buch beginnt deshalb auch mit einer
Beschreibung von typischen Alltagssituationen.
Ein Beispiel: In der Straßenbahn, abends gegen 23 Uhr: Zwei
Halbstarke machen zwei Mädchen an. Die ignorieren
zunächst die Anmache. Als sich dann ein Junge einem der
Mädchen nähert und sie antatscht, wehren sich beide
entschieden. Fast jeder im Bus bekommt das mit, aber keiner tut
etwas.
Zivilcourage ist in vielen Lebensbereichen gefragt, besonders am
Arbeits- und Ausbildungsplatz, in privaten Betrieben wie in
öffentlichen Verwaltungen, in Vereinen und Parteien wie in
staatlichen Institutionen. Die Forderung nach sozialer
Verantwortung und couragiertem Eingreifen gilt an vielen Orten: auf
der Straße, im Bus, in der Firma, in der Disco, unter Kollegen
und Freunden, in kleinem Rahmen wie in der großen Politik, in
der Wirtschaft wie im öffentlichen Leben. Was
selbstverständlich zu sein scheint, ist jedoch nicht Alltag.
Denn nur wenige Menschen zeigen Zivilcourage, die meisten halten
sich zurück, reagieren eher gleichgültig oder mit
Schweigen, häufig aus Angst vor persönlichen Nachteilen,
betont Gerd Meyer.
Der Autor, Politikwissenschaftler und Professor an der
Universität Tübingen, gibt einen Überblick über
bisherige Forschungsergebnisse. Er analysiert
Handlungsspielräume, Leitbilder und Funktionen von
Zivilcourage in Gesellschaft und Politik. Die empirische Analyse
der personen- und situationsorientierten Beweggründe von
Zivilcourage wird in zwei übersichtlichen Handlungsmodellen
zusammengefasst. Weitere Forschungen zeigen, wie Zivilcourage durch
Bürgerengagement, pädagogisches Handeln und eine
interdisziplinäre Arbeit gefördert wird. Eine
umfangreiche Bibliographie rundet den informativen und lesenswerten
Band ab.
Pädagogisches Handeln
Das Buch verdeutlicht, dass Erziehung, vorgelebte Praxis und
positive Erfahrungen bereits im Elternhaus wesentlich dazu
beitragen, dass sich gerade auch junge Menschen mit Zivilcourage
gegen Ungerechtigkeit wehren und für andere einsetzen. Auch
die Schulen sollten sozial verantwortliches und zivilcouragiertes
Handeln intensiv fördern. Denn Zivilcourage kann man durch
eine veränderte Einstellung und ein flexibleres
Handlungsrepertoire lernen, so dass man schwierigen Situationen
nicht mehr hilflos gegenübersteht. Ein soziales
Kompetenztraining hat sich dabei als eine durchaus Erfolg
versprechende Arbeitsform bewährt.
Besonders die Schulen sind gefordert: Wenn hier die
tägliche Interaktion möglichst demokratisch gestaltet und
als förderlich für aufrechtes, konstruktiv-kritisches
Verhalten praktisch erlebt wird, dann kann Zivilcourage als
demokratische Tugend durch Erfahrung und Modell gelernt, erprobt
und nachhaltig verankert werden. Zivilcourage ist damit ein
bedeutsames Bildungsziel. Ein wichtiges Grundlagenbuch, das
Pädagogen, Eltern, Politikern und Oberstufenschülern sehr
zu empfehlen ist.
Gerd Meyer
Lebendige Demokratie: Zivilcourage und Mut im Alltag.
Forschungsergebnisse und Praxisperspektiven.
Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2004; 303 S., 34,-
Euro
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