|
|
Astrid Pawassar
Vernichtung und Verdrängung
Zerstörung Dresdens als Trauma
Bis heute scheiden sich die Geister an der Zahl der Opfer, die
der Bombenkrieg in Dresden forderte. Genauer: in jener Nacht vom
13. auf den 14. Februar 1945, die mit der Zerstörung des
historischen Kerns der Stadt zum Symbol für die Grauen des
Zweiten Weltkrieges schlechthin geworden ist. Seriöse
Historiker hatten sich zwar längst auf eine
Größenordnung von 25.000 bis 35.000 geeinigt. Doch immer
wieder werden sechsstellige Zahlen genannt, nicht nur von
Zeitzeugen, sondern jüngst auch von der NPD, die im
Sächsischen Landtag ein Forum sieht, in dem sie ihre Umdeutung
der deutschen Geschichte populär machen kann.
Um so wichtiger ist es, sich dem Phänomen der
Zerstörung Dresdens und seiner Perzeption mit dem
nüchternen Blick auf die Fakten zu nähern. Publizisten
aus der Erlebnis- und der Nachgeborenengeneration haben sich mit
diesem Buch dieser Aufgabe angenommen. Es bietet einen Blick auf
das Wie und Warum der Zerstörung; es analysiert, ohne
Betroffenheit auszublenden. Ein Überblick über die
technologischen Voraussetzungen und die zunehmende Bedeutung des
Luftkrieges im strategischen Denken seit dem Ersten Weltkrieg
beschreibt die Entwicklung hin zum "moral bombing", wie es dann im
Zweiten Weltkrieg mehr und mehr eskalierte.
Stärke zeigen
Dresden war für den britischen Luftstab lange Zeit kein
lohnendes Angriffsziel. Noch 1943 hieß es in einem
Informationspapier: "Es ist eine der schönsten Städte
Deutschlands", Verwaltungs- und Industriezentrum zwar, aber wegen
der geringen Bevölkerungsdichte und der großen unbebauten
Flächen "an unattractive blitz target". Aber angesichts der
Kriegsentwicklung konnte sich Arthur Harris als Chef des britischen
Bomber Command jedoch Anfang 1945 mit seinem Ansinnen durchsetzen,
die großen ostdeutschen Städte zu bombardieren, welche
Nachschub für die Ostfront bereithielten und die
Flüchtlingsströme aus dem Osten aufnahmen.
Dresden war also kein großes, kein vorrangiges
Angriffsziel, aber da die Alliierten den Krieg endlich zu Ende
bringen wollten, war die Stadt vor allem aus politischen
Gründen ein lohnendes Ziel, meint der Berliner Publizist
Götz Bergander, selbst Zeuge der Zerstörung seiner
Heimatstadt. Dabei hätten auch Überlegungen eine Rolle
gespielt, dem sowjetischen Verbündeten ein Zeichen eigener
Stärke zu geben.
Was in den militärischen Lageanalysen der Briten keine
Rolle spielte, haben seither offenbar auch viele Dresdner
verdrängt. Die "Schöne Stadt" war früh eine braune
Stadt mit eigener Gauleitung, deren Pläne, in Dresden ein
Gauforum zu errichten, zwar nicht umgesetzt wurden. Aber wo die
NSDAP 1932 bei der Stadtverordnetenwahl mit 34 Prozent der Stimmen
als Wahlsieger das Rennen machte, wurden 1933 erste Boykottaufrufe
gegen jüdische Geschäfte propagiert, brannten bereits im
März 1933 die Bücher unliebsamer Schriftsteller und gab
es 1935 die erste Ausstellung "entarteter Kunst".
Propaganda
So "unschuldig", wie von der NS-Propaganda nach den
Luftangriffen dargestellt, war Dresden also nicht. Gleichwohl
gelang es dem Propagandaapparat, unmittelbar nach der
Schreckensnacht des 13. Februar 1945 eine Bewertung des
Bombardements zu etablieren, die sich im wesentlichen bis heute
gehalten hat. Von "Kulturfrevel" war die Rede - und Arthur Harris,
der britische Lenker der Luftangriffe, wurde zum
"Bomber-Harris".
Über eine geschickte Beeinflussung der ausländischen
Presse wurden Opferzahlen in die Welt gesetzt, die durch
unkritische Übernahme zuerst von der schwedischen und dann
über die britische, amerikanische und kanadische Presse
verbreitet und durch den Verweis auf die vielen Flüchtlinge,
die sich zur Zeit des Bombardements in Dresden aufhielten, noch
einmal überhöht wurden.
Anhaltende Wirkung
Der Dresdner Lokalhistoriker Matthias Neutzner erkennt unter
anderem in dieser geschickten NS-Propaganda den Grundstock für
die Wahrnehmung der Zerstörung Dresdens als Chiffre für
die Grausamkeit und Ungerechtigkeit des Bombenkrieges der
Westmächte gegen Deutschland schlechthin. Unschuldig,
völlig überraschend, sinnlos und äußerst brutal
sei Dresden heimgesucht worden - diese Sichtweise hält sich
bis heute, nicht nur bei Zeitzeugen. Auf diese Chiffre baute die
DDR-Propaganda in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder auf:
zunächst gegen den Krieg der Faschisten, dann für den
Wiederaufbau als antifaschistische Aufgabe und schließlich im
Kalten Krieg, in dem die Zerstörung Dresdens als Versuch der
Westmächte, den Vormarsch des Sozialismus zu stoppen, ins Feld
geführt wurde.
Den Opfern selbst geriet die Chiffre Dresden zur
Verdrängung von Schuld und als Ventil für Trauer, meint
Neutzner. So gesehen ist "Das rote Leuchten" ein Versuch,
Eintrübungen eines Geschichtsbildes aufzuhellen, mit dem nicht
nur viele Dresdner aufgewachsen sind. Die umfassende Bebilderung
und zahlreiche Augenzeugenberichte vermitteln zudem einen Eindruck
von den traumatisierenden Erlebnissen, mit denen die
Überlebenden dieses Krieges fertig werden mussten.
Oliver Reinhard, Matthias Neutzner, Wolfgang Hesse (Hrsg.)
Das rote Leuchten.
Dresden und der Bombenkrieg,
Edition Sächsische Zeitung, Dresden 2005; 367 S., 22,90
Euro
Zurück zur
Übersicht
|