"Wir müssen uns hinter keiner Armee
verstecken"
Interview mit Bundesverteidigungsminister Peter
Struck
Peter Struck hält weiter an der Wehrpflicht
fest - seine politische Zukunft als Bundesverteidigungsminister
will er mit dieser Frage jedoch nicht verknüpfen. Von seiner
Partei erwartet der Sozialdemokrat jedoch, dass sie sich auf ihrem
Parteitag im November dieses Jahres auf ein einfaches "Ja" oder
"Nein" festlegt, auf ein Kompromissmodell möchte er sich nicht
einlassen. Doch ganz gleich ob Berufs- oder Wehrpflichtarmee, ihr
Einsatzgebiet bleibt für Struck "die ganze Welt".
Das Parlament: Herr Minister, mit
welchen Eindrücken sind Sie von Ihrer letzten Auslandsreise
nach Afghanistan, Usbekistan und die Vereinigten Arabischen
Emiraten zurückgekehrt?
Peter Struck: Zunächst einmal zum
Ausbildungsprogramm, das wir in Abu Dhabi für irakische
Pioniere durchführen: Die Irakis wie auch die Arabischen
Emirate sind sehr dankbar für diese Leistung, die wir dort
erbringen. Wir haben dem Irak ja nicht nur finanzielle Hilfe
versprochen, sondern auch tatsächliche Hilfe bei der
Ausbildung der Armee. Unsere Programme laufen sehr gut. In
Usbekistan geht es immer darum, mich mit meinem Kollegen über
die Zusammenarbeit auf unserem Luftwaffentransportstützpunkt
in Termes zu verständigen. Von dort aus versorgen wir unsere
Soldaten im afghanischen Kabul, in Feyzabad und Kundus. Für
Afghanistan muss ich immer wieder betonen, die Anwesenheit der
Bundeswehr ist ein wesentlicher Beitrag zur Stabilität des
Landes.
Das Parlament: Ist es absehbar, wie
lange die Bundeswehr dort noch bleiben wird?
Peter Struck: Nein, das kann niemand
vorhersagen. Im kommenden Herbst werden dort Parlamentswahlen
abgehalten nach der ersten freien Präsidentenwahl im
vergangenen Jahr. Dann könnte eine Stabilisierung eintreten.
Aber in absehbarer Zeit lassen die politischen Verhältnisse im
Land keinen Abzug der multinationalen Truppen mit ungefähr
7.000 Soldaten zu.
Das Parlament: Deutsche Soldaten
kritisieren - zum Beispiel im letzten Bericht des Wehrbeauftragten
-, dass die Bundeswehr über kein Mandat zur
Drogenbekämpfung in Afghanistan verfügt. Überspitzt
ließe sich formulieren, die Soldaten müssen damit
rechnen, dass diese Drogen eines Tages in die Hände ihrer
Kinder geraten und dass die Waffen, die aus dem Drogenhandel
finanziert werden, gegen die Bundeswehr in Afghanistan eingesetzt
werden. Glauben Sie, dass es bald zu einer Änderung des
Mandats kommen wird?
Peter Struck: Wir haben ein klares
Votum aller Fraktionen bekommen, dass die Bundeswehr nicht
unmittelbar gegen den Drogenanbau oder -handel einschreiten soll.
Das gilt im übrigen für alle ISAF-Nationen, wir
beschreiten da keinen Sonderweg. Was wir allerdings tun, ist mehr,
als es nach außen den Anschein erweckt. Wir leisten der
afghanischen Nationalarmee, die federführend beim Kampf gegen
den Drogenanbau- und handel ist, logistische Hilfe - auch
Ausbildungshilfe. Wir geben Informationen weiter, die wir
während der Patrouillenfahrten im Norden Afghanistan über
Opium- und Mohnfelder sammeln. Es ist nicht so, dass wir nichts
tun, sondern wir tun, was uns möglich ist und worum uns die
afghanische Regierung gebeten hat.
Das Parlament: Wenn aber die
afghanische Armee gegen die Drogenbarone vorgeht, müssen Sie
damit rechnen, dass es zu einer Gewalteskalation kommt. Dann
wäre die Bundeswehr doch auch betroffen.
Peter Struck: Nachdem Präsident
Hamid Karsai das Drogenbekämpfungsprogramm auf die
Prioritätenliste seiner Regierung gestellt hat, müssen
wir uns darüber im Klaren sein, dass die Situation für
deutsche Soldaten gefährlicher wird. Darauf sind sie
eingestellt und haben alle menschenmöglichen Vorkehrungen
getroffen. Wenn dieser Kampf ernsthaft geführt wird, und mein
Eindruck ist es, dass Kasai das tut, dann wird es
gefährlicher.
Das Parlament: Würde eine
Verschärfung der Situation in Afghanistan zu einer
Verstärkung des Bundeswehr-Kontigentes führen?
Peter Struck: Besonders betroffen vom
Drogenanbau sind die Regionen Kundus und Feyzabad. Dort können
wir bis zu 450 Soldaten stationieren. Jetzt haben wir rund 400
dort.
Das Parlament: Sie vermuten eine
breite Basis in den Fraktionen?
Peter Struck: Es gibt
glücklicherweise in diesen Fragen der Auslandseinsätze
einen breiten Konsens zwischen den Koalitionsfraktionen und der
Opposition. Die FDP ausgenommen, weil sie bisher bei den
Entscheidungen im Parlament gegen die Einsätze in Kundus und
Feyzabad gestimmt hat. Ich habe den FDP-Parteivorsitzenden Guido
Westerwelle mehrfach aufgefordert, sich selbst einmal die Situation
vor Ort anzusehen, weil ich glaube, dass er dann seine Meinung
ändern wird. Er ist jetzt in der Planung für einen Besuch
dort. Ich hoffe, dass er mit positiven Erfahrungen
zurückkommt.
Das Parlament: Haben Sie Sorge, dass
mit wachsendem Engagement der Bundeswehr im Ausland die Gefahr
terroristischer Anschläge im Inland wächst?
Peter Struck: Wir können
glücklich sein, dass wir in Deutschland noch keine
größeren Anschläge hatten.
Das Parlament: Wie in
Madrid…
Peter Struck: Wie in Madrid, Ankara
oder Kairo. Wir sind genauso Ziel von Al Qaida und anderen
Terrororganisationen wie die genannten Länder. Denn wir
engagieren uns stark im Kampf gegen den internationalen
Terrorismus. Wir verhindern mit unserer Arbeit in Afghanistan, dass
wieder ein System entsteht, in dem Terroristen ausgebildet werden
können. Wir sind am Horn von Afrika, um Nachschubwege von
Terroristen zu kontrollieren. Man darf sich aber keiner Illusion
hingeben, dass Deutschland nicht auch Ziel von Terroristen werden
könnte.
Das Parlament: Sie haben in einem
Interview mit dem "Stern" im vergangenen Jahr beklagt, dass
Deutschland noch keine richtige Debatte über die
Auslandseinsätze geführt hat. Abgesehen davon, dass es
eher ungewöhnlich ist, dass ein Minister eine kritische
Debatte über seine eigene Politik einfordert, was wollen und
können Sie denn tun, um diese Debatte in Gang zu
setzen?
Peter Struck: Ich kann nicht mehr tun,
als in Reden im Parlament und an anderen Stellen zu betonen, dass
man diskutieren muss. Ich möchte zwei Dinge beispielhaft
nennen. Der erste Satz ist, "Deutschland wird auch am Hindukusch
verteidigt", der zweite Satz ist, "das Einsatzgebiet der Bundeswehr
ist die ganze Welt". Diese neuen Aufgaben der Bundeswehr
müssen den Menschen in Deutschland klar gemacht werden. Es
wird auf erschreckende Weise deutlich, wenn etwas passiert. Dann
kommen natürlich die Fragen: "Was macht die Bundeswehr in
Afghanistan, was macht sie im Sudan?" Diese sicherheitspolitische
Debatte über die neuen Aufgaben der Bundeswehr wird in
Fachkreisen geführt, aber leider nicht in einer breiten
Öffentlichkeit.
Das Parlament: Haben Sie einen
Verdacht, woran das liegen könnte?
Peter Struck: Ich habe schon einen
Verdacht, ich war ja früher Fraktionsvorsitzender. Im
Vordergrund stehen derzeit die innenpolitischen Debatten. Die
Fragen der Sozialreformen, die Fragen der Lohnsicherheit. Die
äußere Sicherheit ist für den Einzelnen kein
drängendes Thema.
Das Parlament: Sie sprechen von
weltweitem Engagement der Bundeswehr. Welche Kapazitäten sind
denn für weitere Engagements im Ausland noch
vorhanden?
Peter Struck: Wir bauen die Bundeswehr
ja gerade um, um noch größeren Anforderungen gerecht
werden zu können. Wir haben uns international verpflichtet,
zum Beispiel bei der Schnellen Eingreiftruppe NATO Response Force
(NRF) ausgiebig mitzuwirken. Wir haben jetzt ungefähr 6.000
Soldaten im Einsatz. Als ich vor drei Jahren begonnen habe, hatten
wir 10.000 Soldaten im Auslandseinsatz. Wir haben also noch
Kapazitäten. Aber es muss in jedem einzelnen Fall genau
entschieden werden, gehen wir in einen solchen Einsatz oder nicht.
Da wir eine Parlamentsarmee haben, muss das Parlament zustimmen.
Ich lege Wert darauf, dass im Parlament eine breite Zustimmung
gesichert ist.
Das Parlament: Hinter vorgehaltener
Hand behaupten Offiziere, dass der Verteidigungsminister die Zahl
der Auslandseinsätze ja lieber restriktiver handhaben
würde. Doch dann würde der Außenminister bei seinen
Kollegen irgendwelche Zusagen machen, und die Bundeswehr müsse
wieder springen…
Peter Struck. Das ist definitiv nicht
so. Ich habe erstens ein sehr gutes Verhältnis zu Joschka
Fischer. Zweitens sprechen der Außenminister und ich intensiv
über möglicherweise bevorstehende Verpflichtungen
beziehungsweise Einsätze. Da gibt es keine
Differenzen.
Das Parlament: Die Bundeswehr
engagiert sich weltweit im Kampf gegen den Terror. Warum tut sie
sich im Inland damit so schwer?
Peter Struck: Wir haben eine klare
Verfassungslinie. Das heißt, die Bundeswehr ist für die
Sicherheit nach außen verantwortlich, die Polizei für die
Sicherheit nach innen. Es gibt nur eine ganz kleine Ausnahme, das
Gesetz für den Kampf gegen Luftpiraten, das so genannte
Luftsicherheitsgesetz. Ansonsten kann ich nur sagen, Soldaten sind
keine Polizisten, und die Bundeswehr ist keine Reservistentruppe
für die Länderpolizei.
Das Parlament: Im Januar wurde dieses
Luftsicherheitsgesetz von Bundespräsident Horst Köhler
unterzeichnet. Gleichzeitig hat er das Gesetz kritisiert und zur
Klage gegen das Gesetz aufgerufen. Bei den Piloten der Luftwaffe
könnte nun doch der Verdacht aufkommen, sie sollen ein Gesetz
ausführen, das umstritten ist. Wie sauer waren Sie auf den
Bundespräsidenten?
Peter Struck: Gar nicht. Ich habe
Verständnis dafür, dass es eine einschneidende
Maßnahme des Gesetzgebers ist. Meines Wissens gibt es ja
inzwischen eine Klage von Bayern, Hessen und mehreren
Privatpersonen in Karlsruhe. Als Jurist bin ich der festen
Überzeugung, dass das Gesetz rechtmäßig ist. Aber
natürlich kann man das überprüfen lassen. Mir ging
es darum, größere Klarheit zu schaffen. Nicht für
mich selbst, denn ich bin ja derjenige, der den Befehl geben muss.
Ich wollte aber nicht, dass der Pilot, der meinen Befehl
ausführt, hinterher mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen
muss oder zivilrechtlich mit Schadenersatzforderungen. Die Piloten
der Luftwaffe akzeptieren das, wir haben jetzt rechtliche Klarheit.
Wenn das Bundesverfassungsgericht sagt, das reicht nicht, was ihr
da geschrieben habt, dann müssen wir reagieren.
Das Parlament: Dennoch gibt es
Bedenken bei den Beteiligten. Bringen sie den "Staatsbürger in
Uniform" in einen Konflikt?
Peter Struck: Nein, weil es eine
rechtliche Regelung gibt. Es gilt, dass der Minister den Befehl
geben kann. Der Pilot muss nach den Regeln, die wir haben, den
Befehl ausführen.
Das Parlament: Portugal und
Griechenland haben während der Fußballeuropameisterschaft
und der Olympischen Spiele die NATO um Unterstützung bei der
Terrorabwehr gebeten. Wird es im kommenden Jahr bei der
Fußball Weltmeisterschaft in Deutschland ein ähnliches
Ersuchen der Bundesregierung geben?
Peter Struck: Ich denke schon, dass
wir den Luftraum überwachen werden. Wir haben es auch getan,
als der amerikanische Präsident in Mainz zu Gast war.
Natürlich kann ein solches Großereignis wie die
Fußballweltmeisterschaft ein mögliches Ziel
terroristischer Aktivitäten werden. Dem müssen wir im
Vorfeld begegnen.
Das Parlament: Sind Sie mit Herrn
Schily im Gespräch?
Peter Struck: Auf der Arbeitsebene
läuft das schon. Die Planungen sind begonnen worden, für
uns ist Luftraumüberwachung eine Routine.
Das Parlament: Eine kleine
Zwischenbilanz zur Transformation der Armee - wo steht die
Bundeswehr heute?
Peter Struck: Im Zusammenhang mit den
Stationierungsentscheidungen im November letzten Jahres haben wir
festgelegt, wann die 105 Kasernen geschlossen werden. Es liegen
noch 75 alte Entscheidungen meines Vorgängers Rudolf Scharping
vor. Wir werden bis 2010 insgesamt 180 Standorte in Deutschland
schließen. Das bedeutet Klarheit für die Bundeswehr. Jede
Soldatin, jeder Soldat der Bundeswehr weiß, wohin seine
Einheit kommt, ob sie aufgelöst wird, und er weiß, wo
sein beziehungsweise ihr nächster Standort sein wird. Für
die Zivilbeschäftigten gibt es eine Garantie, dass es keine
betriebsbedingten Kündigungen gibt. Wir sind jetzt dabei, die
einzelnen Strukturentscheidungen so umzusetzen, dass wir sagen
können, im Jahr 2010 haben wir 35.000 Eingreifkräfte,
70.000 Stabilisierungskräfte, 145.000
Unterstützungskräfte.
Das Parlament: Zum Umbau der
Bundeswehr gehört auch die Einführung neuer
Ausrüstung und Waffensysteme. Nun gab es gerade in den
vergangenen Wochen eine heftige Auseinandersetzung mit den
Grünen über die Beschaffung des neuen
Raketenabwehrsystems MEADS. Warum ist es so schwer, sich auf die
Anschaffung der benötigten neuen Ausrüstung zu
einigen?
Peter Struck: Ein Grund ist sicher,
dass das alles sehr viel Geld kostet, der A400M oder der
Eurofighter. Milliarden sind natürlich schon ein Brocken, den
man bewältigen muss in einem Zeitraum von zehn bis 15 Jahren.
Und andererseits stellt sich immer wieder die Frage angesichts der
neuen Bedrohungslage, die ja dadurch definiert ist, dass uns
niemand von draußen bedroht mit Panzerarmeen oder
Kampfflugzeugen, braucht man solche Waffensysteme? Natürlich
brauchen wir Flugzeuge, wir brauchen Plätze zum Üben
für solche Flugzeuge. Wir brauchen Schiffe, wir brauchen auch
Raketenabwehrsysteme wie MEADS. Sie sind zum Beispiel dafür
geeignet, ein Camp mit Soldaten an irgendeiner Stelle der Welt,
einen Flugplatz oder einen Hafen zu schützen. Viele Deutsche
sagen aber auch, gebt doch nicht so viel Geld für Waffen
aus.
Das Parlament: Sie sind einer der
wenigen Verteidigungspolitiker, der sich noch nicht über die
Höhe seines Etats beklagt hat. Das ist ungewöhnlich
für einen ehrgeizigen Minister.
Peter Struck: Ich bin nicht
ehrgeizig.
Das Parlament: Ach so?
Peter Struck: Ich war mit dem
Bundeswehr-Etat als Fraktionsvorsitzender einverstanden und jetzt
bin ich es auch als Verteidigungsminister. Natürlich habe ich
dem Finanzminister gesagt, dass ich mit seinem Plan nur schwer
zurecht komme. Als Sozialdemokrat akzeptiere ich es, wenn
überall gekürzt und gespart werden muss. Wir kommen mit
dem zur Verfügung stehenden Geld aus. Wir haben
Prioritätsentscheidungen getroffen.
Das Parlament: Die Erhaltung der
Wehrpflicht scheint Ihnen ein Herzensanliegen zu sein. Sie lassen
keine Gelegenheit aus, um für sie zu werben. Die Zahl der
Gegner in Ihrer Partei ist jedoch groß. Der
schick-salsträchtige Parteitag zu diesem Thema steht im
November an. Werden Sie die Kreise um Ute Vogt und Renate Schmidt
vorher noch einmal ins Gebet nehmen?
Peter Struck: Ich glaube, dass dieser
Parteitag in Karlsruhe schlicht über Ja oder Nein entscheiden
wird. Ich will mich auch nicht auf irgendein Kompromissmodell
einlassen.
Das Parlament: Werden Sie an diese
Frage Ihre Vertrauensfrage koppeln?
Peter Struck: Nein, ein Minister muss
für seine Position kämpfen. Wenn er unterliegt, dann muss
er damit fertig werden.
Das Parlament: Das hört sich
sportlich an!
Peter Struck: Ja, ich bin
Fußballer, jetzt kann ich nicht mehr spielen aus
gesundheitlichen Gründen. Aber wenn ich irgendwo antrete, dann
will ich auch gewinnen. Ich habe Gerhard Schröder und Franz
Müntefering auf meiner Seite. Die Frage soll mit offenem
Visier auf dem Parteitag ausgetragen werden.
Das Parlament: Das Ziel der
Umstrukturierung lautet 195.000 Berufs- und Zeitsoldaten und 55.000
Wehrpflichtige. Ist die ganze Diskussion um eine Beibehaltung der
Wehrpflicht angesichts dieses Zahlenverhältnisses nicht
ohnehin eine Scheindebatte? Haben wir nicht längst eine
Berufsarmee?
Peter Struck: Nach neun Monaten gehen
die Wehrpflichtigen raus aus der Armee, und neue kommen. Das bringt
immer wieder neues Leben. Debatten, die in der Gesellschaft
geführt werden, finden in der Bundeswehr auch statt. Zum
anderen ist es so, die Größe der Bundeswehr kann ja nicht
abhängen von einem Geburtsjahrgang. Das
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat entschieden, dass die
Größe der Bundeswehr von den Aufgaben abhängt, die
ihr die Politik vorgibt. Und die Wehrgerechtigkeit ist nach dem
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig gewährleistet.
Insofern bin ich auch juristisch auf der sicheren Seite. Also ich
denke, die Argumente, die ich vortragen werde auf dem Parteitag,
werden auch die Zweifler überzeugen. Ein Thema, das in meiner
Partei offen diskutiert wird. Die CDU versteckt sich, die beiden
kleinen Parteien sind für die Abschaffung der
Wehrpflicht.
Das Parlament: Sie sagen, die
Wehrgerechtigkeit ist gegeben. Das könnte ein junger
Deutscher, der wehrpflichtig ist, anders beurteilen. Wie
würden Sie denn einem Wehrpflichtigen mit wenigen Sätzen
erklären, dass diese Entscheidung richtig ist und auch
für ihn persönlich eine gute Entscheidung ist?
Peter Struck: Man geht von einer
Jahrgangsstärke aus in den nächsten Jahren von rund
420.000 Männern, davon fallen über 20 Prozent wegen
fehlender Eignung aus. Ich würde denjenigen sagen, die
für die Bundeswehr in Frage kommen: Die Bundeswehr ist eine
große Chance. Sie werden sehr gut ausgebildet, sie haben gute
Möglichkeiten für den weiteren beruflichen Weg, selbst
wenn sie nur neun Monate bleiben. Anders gesagt - die Bundeswehr
ist attraktiv.
Das Parlament: In der Diskussion
schwingt neben all den rationalen Argumenten eine sehr emotionale
Bindung an die Wehrpflicht mit. Die Deutschen haben im Gegensatz zu
Reichswehr und Wehrmacht gute Erfahrungen mit ihrer
Wehrpflicht-Bundeswehr gemacht. Ist das für Sie ein wichtiges
Argument für deren Erhaltung?
Peter Struck: Das, was Sie ansprechen,
ist eines der Hauptargumente für mich. Es gibt eine große
Anteilnahme an der Bundeswehr deshalb, weil viele die
Wehrpflichtarmee erlebt haben. Das würden wir sofort kappen,
hätten wir nur die Berufsarmee. Es würde sich eine
Mentalität breit machen nach dem Motto, für schwierige
Fälle haben wir Soldaten. Wenn in Afghanistan oder im Kongo
Soldaten sterben, dann heißt es, das ist ihr Beruf. Das
möchte ich nicht, dass so eine Situation in Deutschland
eintritt.
Das Parlament: Insofern hat die
Wehrpflicht zur Imageverbesserung der Bundeswehr
beigetragen?
Peter Struck: Auf jeden Fall. Wir
merken das bei den Vorbereitungen zu den Veranstaltungen
anlässlich des 50-jährigen Jubiläums. Es melden sich
viele, die vor zehn, 20, 30 Jahren bei der Bundeswehr waren. Die
Bundeswehr hat eine hohe Akzeptanz in der
Bevölkerung.
Das Parlament: Wie hoch ist der Anteil
der Bundeswehr am Image Deutschlands im Ausland?
Peter Struck: Nach den vielen
Auslandsreisen, die ich gemacht habe, würde ich sagen, dass
das Ansehen Deutschlands dort, wo die Bundeswehr im Einsatz ist,
sehr hoch ist. Das große Versorgungsschiff vor Sumatra, in dem
Einheimische nach der Tsunamikatastrophe im Dezember medizinisch
versorgt wurden, die reparierte Wasserstelle in einem entlegenen
Dorf - das alles trägt zum guten Image der Bundeswehr und
damit des Landes bei.
Das Parlament: Wie würden Sie die
Bundeswehr charakterisieren?
Peter Struck: Ich kenne inzwischen
viele Armeen. Die Bundeswehr ist die demokratischste Armee der
Welt. Das hängt mit dem Prinzip der Inneren Führung
zusammen. Unsere Soldaten sind sehr kritisch, sie treten nicht
martialisch auf. Sie sind technisch gut ausgerüstet und
ausgebildet. Wir müssen uns hinter keiner Armee der Welt
verstecken.
Das Parlament: Nach den bekannt
gewordenen Fällen der Misshandlungen von Soldaten in Coesfeld
und anderswo haben Sie angekündigt, die Auslandseinsätze
auf das Klima unter den Soldaten und die Ausbildung hin untersuchen
zu lassen. Liegen Ihnen bereits Ergebnisse vor?
Peter Struck: Wir haben nicht
feststellen können, dass Soldaten, die aus dem Auslandseinsatz
zurückkehren, martialischer auftreten. Uns sagen Soldaten auf
dem Balkan oder in Afghanistan, sie kommen mit einem anderen
Bewusstsein zurück. Sie sehen die Probleme in diesem Lande
besser. Sie haben ein höheres Empfinden für Leistungen im
Umweltschutz. Sie gehen auch anders miteinander um.
Auslandseinsätze finden unter widrigen klimatischen
Bedingungen statt, Soldaten schlafen dort nicht im Hotel, sondern
in Zelten oder einfachen Unterkünften. Die Kameradschaft
wächst deutlich. Die Soldaten vermitteln das auch zu Hause.
Die Ereignisse von Coesfeld waren Ausreißer. Die
strafrechtlichen Ermittlungen laufen noch.
Das Parlament: Wenn Sie die Situation
der Soldaten im Ausland so schildern, vermitteln Sie den Eindruck,
als fehle den Menschen im Inland bei aller Jammerei der
Fernblick.
Peter Struck: Wir sind ein
Sozialstaat, wir sind wirtschaftlich eines der stärksten
Länder. Die Deutschen jammern auf einem hohen
Niveau.
Das Parlament: Europäische Armee
- das Thema ist seit Konrad Adenauer ein politischer Dauerbrenner.
Wann können wir mit der Umsetzung rechnen?
Peter Struck: Wir sind eigentlich
schon auf einem sehr guten Weg. Es gibt ein
deutsch-dänisch-polnisches Korps, es gibt ein
deutsch-niederländisches Korps, es gibt ein
deutsch-amerikanisches Korps, es gibt ein
deutsch-französisch-belgisch-luxemburgisch-spanisches Korps
und schließlich die Deutsch-Französische Brigade. Wir
haben uns jetzt entschieden, mehrere Battle-Groups mit anderen
europäischen Staaten zu installieren. Eine europäische
Armee ist schon im Werden. Wir sind viel weiter, als manche
glauben. Allerdings wird es immer einen eigenen nationalen Anteil
geben bei einer solchen europäischen Armee.
Das Interview führten Almut Lüder und Alexander
Weinlein
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