Dirk Klose
Als Mariner der Crew "4/60" beim Bund von 1960
bis 1962
Erinnerungen
Zwei Tage vor meiner Musterung im Kreiswehrersatzamt Heidelberg
hatte ich den Film "Die Brücke" von Bernhard Wicki gesehen.
Ich war derart schockiert, dass ich drauf und dran war,
Kriegsdienstverweigerer zu werden. Da ich aber von Jugend auf
Kapitän werden wollte, überwog schließlich doch die
Sehnsucht nach Meer und weiter Welt.
Am 1. April 1960 rückte ich als (verlängerter)
Grundwehrdienstleistender beim dritten "Mausbattel"
(Marineausbildungsbataillon) in Glückstadt an der Elbe ein.
Viele unserer Offiziere waren noch Weltkriegsteilnehmer gewesen.
Sie wie wir Matrosen ("Matrose Klose" - alles lachte darüber)
waren mit dem für Militärs geradezu umstürzlerischen
Konzept der Inneren Führung von Wolf Graf Baudissin
konfrontiert. Manche lehnten das "innere Gewürge" ab; die
meisten aber gaben sich ehrlich Mühe, das Konzept des
Staatsbürgers in Uniform umzusetzen. Viele Ältere hegten
einen wirklichen Groll auf Hitler und schienen sich geschworen zu
haben, dass nie wieder eine deutsche Armee willenloses Werkzeug
eines Diktators sein sollte.
Zudem: Baudissin war umwerfend; er befeuerte und
beflügelte, wie man es selten erlebte. Er war voller Esprit
und Charme, kombinierte historisches und militärisches Wissen
wie wenig andere, formulierte knapp und entscheidungsreif, ein
idealer Offizier.
Unsere obligatorische Auslandsfahrt war hart. Sie führte
uns ins Mittelmeer und zu den Shetland-Inseln. Der Jahrgang vor uns
war noch mit kohlebefeuerten Schiffen - wie unser Geschwader alles
alte "Weltkriegsdampfer" - gefahren. In jedem Hafen musste
gebunkert werden, diese Schwerstarbeit blieb uns erspart.
Allerdings wurden wir, so ausdrücklich unser Kommandant, "an
die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit" herangeführt,
sprich tagelang allenfalls zwei Stunden Schlaf. Nach einer Weile
hatte er ein Einsehen,vier Stunden Schlaf.
In der Biscaya gab es den berüchtigten Sturm; wir
"reierten", bis nichts mehr in uns war. Auf der Rückfahrt
hatten wir im Skagerrak einen noch schlimmeren Orkan, zum
Glück von achtern, der uns völlig unberührt
ließ. Offenbar waren wir doch ein bisschen Seebären
geworden.
In Bordeaux wurden wir kühl empfangen. Die Erinnerung an
die deutsche Besetzung war noch zu frisch. Rasch hatte sich ein
Komitee aus Resistance und Kommunisten gebildet, das auf
Flugblättern "Deutsche raus!" forderte. Wir machten dann doch
ein paar schöne Ausflüge, vor allem ins Medoc mit seinen
berühmten Rotweinen. Bei "Chateau Lafitte de Rothschild"
weiß ich noch immer genau, woher die Nobelmarke kommt.
Von meinen zwei Jahren Militärzeit habe ich zehn Monate auf
Schulen zugebracht, vier auf der Technischen Marineschule
Bremerhaven und sechs Monate an der Marineschule Mürwik, der
Offiziersschule der Marine in Flensburg. Marine, das hieß
büffeln, büffeln, büffeln, das Abitur war nichts
dagegen. Mit dem Sextanten kann ich wohl vermutlich heute nicht
mehr umgehen; damals war ich stolz, dass es mir gelang, die Sonne
herunterzuholen und so eine genaue Ortsbestimmung zu machen.
In die Zeit in Mürwik fiel der Mauerbau in Berlin. Am 13.
August 1961 war Bilderbuchwetter, ideal zum Segeln auf der
Förde. Aber damit war nun nichts; die Kriegsgefahr stand
unleugbar vor Augen. Unser Kommandeur informierte uns, dass wir,
die jungen Seekadetten, dann Befehlshaber kleinster bewaffneter
Schiffe würden, Fischkutter, Beiboote "und dergl." Solche
"Dergel" hätte natürlich jeder feindliche Zerstörer
auf Distanz vernichtet; ein Crewkamerad schnaubte denn auch zornig:
"Als Kanonenfutter verheizt!"
Wegen der Berlinkrise wurde unsere Wehrdienstzeit auf 21 Monate
verlängert; ich machte dann zwei Jahre, weil man die letzten
drei Monate schon Offizier war. Meine erste WO-Stelle
(Wachoffizier) hatte ich auf einem neuen Minensucher, der
"Paderborn". Kaum an Bord, ging es in die Ostsee, um mehrere
Winterwochen zwischen Kiel und Fehmarn TN zu fahren. TN, das war
"taktische Nahaufklärung": Alle Schiffe aus dem Osten mussten
registriert und mit Namen an einen NATO-Stab gemeldet werden. Da
mehrere Schiffe ständig im Einsatz waren, hatte die NATO
vermutlich einen recht guten Überblick über den
Seeverkehr des Warschauer Pakts in der Ostsee.
Vor Fehmarn lag der berüchtigte "Krake". Das war ein
größerer Minensucher der DDR, der aufreizend nah an den
Hoheitsgewässern der Bundesrepublik ankerte und mit einen
überdimensionierten Kanonenrohr ausgestattet war. Unsere
Schnellboote, die mit fast 40 Knoten übers Wasser jagten,
machten sich einen Jux daraus, möglichst nahe an das DDR-Boot
heranzubrausen, um es durch den starken Wellengang ins Schaukeln zu
bringen. Einmal klappte das Wendemanöver nicht; ein Boot
krachte in voller Fahrt auf den Kraken; der Schaden war
beträchtlich. Griff jetzt die NATO an? Für einen Moment
stand der Ausbruch eines Krieges vor Augen. Dann wurde die Sache
ohne großes Palaver beigelegt; die Marineleitung verfügte
allerdings, dass das DDR-Boot im Mindestabstand von 500 Metern zu
passieren sei.
Rückblickend habe ich den Eindruck, dass uns jungen "Lords"
damals die brisante politische Lage zwischen Ost und West gar nicht
so recht bewusst war. Ohne größere Blessuren
überstand man die Zeit. Üble Schleifer oder
Menschenverächter gab es nur wenige; aber ich erinnere mich an
mehrere Offiziere und Bootsleute, die mir in schwierigen
Situationen nobel zur Seite standen.
Dirk Klose ist Redakteur der Wochenzeitung "Das Parlament".
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