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Almut Lüder
Die Mauer in der Sold-Tüte
15 Jahre Armee der Einheit
Noch in der Nacht zum 3. Oktober 1990 wurden die
alten DDR-Fahnen eingezogen. Die Dienst habenden Wachoffiziere
tauschten in den Kasernen ihre NVA- (Nationale Volksarmee) gegen
die Bundeswehruniform aus. Aus Bundeswehr und NVA sollte die Armee
der Einheit werden. Der Leiter des Bundeswehrkommandos Ost, General
Jörg Schönbohm, warb bei seinem Dienstantritt einen Tag
später bei den Soldaten um Vertrauen: Wir kommen nicht als
Eroberer, sondern als Deutsche zu Deutschen.
Offiziere, die für die Staatssicherheit
(Stasi) gearbeitet hatten, wurden abgewickelt. Etliche gingen aber
auch freiwillig und unaufgefordert. Die schrottreife
NVA-Ausrüstung wurde aussortiert, marode Kasernen schrittweise
renoviert. Schon bald würdigte der damalige
Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg die Entwicklung der neuen
Bundeswehr als "Schrittmacher der deutschen Einheit."
Wie denken ehemalige NVA-Angehörige
über die Armee der Einheit heute, wie haben sie den
Zusammenschluss beider Armeen erlebt, unterscheiden sie sich von
den Kollegen aus dem Westen? Fragen wir zwei Bundeswehroffiziere,
die den überwiegenden Teil ihrer Dienstzeit in der NVA
geleistet haben. Beide stehen kurz vor der Pensionierung, beide
waren SED-Parteigenossen, beide machen aus ihren Herzen keine
Mördergruben. Thomas Hausmann, Jahrgang 1950, war bei der NVA
zuletzt Oberstleutnant und ist heute nach anfänglicher
Zurückstufung bei der Bundeswehr wieder
Oberstleutnant.
Manfred Usczeck, Jahrgang 1948, war bei der
Volksmarine zuletzt Kapitän zur See und ist heute bei der
Marine Fregattenkapitän.
Strausberg. Am östlichen Rand von
Berlin, noch im Einzugsbereich der S-Bahn. Heute Standort der
Bundeswehrakademie, vor der Wende Sitz des Ministeriums für
Nationale Verteidigung der DDR. Hausmann erinnert sich, vor der
Wende trieben sie im Reliefsaal Kommandostabsübungen und
Kriegsspiele auf allerhöchster Ebene sowie im engsten Kreise,
wie es bei der NVA hieß. Nach der Wende wurde in dem Saal bis
Mitte 1991 die künftige Stationierung der Bundeswehrstandorte
im Osten Deutschlands dargestellt. Früher war die Fassade des
Baus aus dem Jahr 1985 mit Klinker verkleidet, heute leuchtet sie
in königsblauer und weißer Farbe. Die Kennzeichen der
Autos auf dem großen Parkplatz deuten auf die Herkunft der
Soldaten aus Ost und West hin. Ringsum haben sich Aldi und Lidl
angesiedelt. Die Plattenbauten mit den privaten Wohnungen sind
weitgehend renoviert. Hausmann blickt zurück auf seine
beruflichen Veränderungen nach dem 9. November 1989: "Die
Wende war ein gewaltiger Einschnitt." Immer wieder habe er sich
kneifen müssen und sich sagen müssen: Das ist die neue
Realität. Vieles sei fair gelaufen und durchaus
überzeugend, Ergebnisse seien schnell erkennbar gewesen.
Manfred Usczeck hingegen hat am Anfang manches nicht wahrgenommen.
Die Entwicklung zur Armee der Einheit sei ein Prozess gewesen,
darauf legt er Wert.
Die Innere Führung als demokratische
Errungenschaft der Bundeswehr nach ihrer Gründung im Jahr 1955
war ein Motor für das Zusammenwachsen beider Armeen nach 1990.
Deren eine Säule ist der Staatsbürger in Uniform. Dem
Soldaten werden die gleichen Grundrechte zugestanden wie einem
Zivilbürger, so sie nicht mit dem militärischen Auftrag
kollidieren. Die Innere Führung war ein Leitfaden für die
Soldaten in der Armee der Einheit und der Kitt beim Zusammenwachsen
beider Streitkräfte: "Das war das erste, was man versucht hat,
mir bei zu bringen. So nach dem Motto, du kennst die Innere
Führung nicht, du weißt ja gar nicht, was das ist. Warum
auch? Ich bin halt in einem anderen System groß geworden",
erklärt Usczeck. Er habe eine andere Art der
Menschenführung gelernt. In der NVA herrschte das Prinzip
Befehl und Gehorsam, in der Bundeswehr werden Aufträge
erteilt. Usczeck resümiert: "Die Innere Führung ist
sicherlich ein Grund dafür, weshalb es die Bundeswehr leichter
hatte mit der Einheit als andere Bereiche."
"Für mich ist es heute noch ein kaum
erklärbares Wunder, dass ausgerechnet die Soldaten, die zum
Hass aufeinander erzogen wurden, sich relativ schnell geeinigt und
verstanden haben", stimmt Usczeck Stoltenbergs Schrittmacher-These
auch aus menschlicher Sicht zu. Die hohe Gefechtsbereitschaft in
der NVA mit einer ständigen Präsenz der Soldaten von
mindestens 85 Prozent in den Kasernen für den Fall eines
Krieges habe nur durch die Erziehung zum Hass auf den Feind im
Westen funktioniert, weiß Usczeck noch sehr genau. Der Sohn
eines Marinesoldaten aus Vorpommern habe damit keine Probleme
gehabt. Er wäre sogar so weit gegangen, für die
Staatssicherheit zu arbeiten, wenn man ihn herangetreten wäre.
"Das hätte ich für mein Vaterland getan", gibt er
freimütig zu. Heute sei er mit den Kameraden, die für die
Stasi gearbeitet haben, nicht mehr befreundet. Wahrscheinlich der
Grund, weshalb man ihn nicht um eine Zusammenarbeit geworben
hat.
Usczeck erinnert sich, wie das tiefe
Feindbild vom Westen allmählich abgelegt wurde. Er spricht vom
Abtasten, vom vorsichtigen Annähern an den früheren
"Feind". "Als man merkte, das waren Menschen wie du und ich, die
nicht mit dem Messer im Mund nur darauf warteten, einem den Dolch
in den Rücken zu stechen, sondern genauso arbeiteten, wie wir
das auch gemacht haben, wurde das Verhältnis zu den
West-Offizieren besser. Später haben mir Soldaten aus anderen
Nationen gesagt, Soldaten machen auf der ganzen Welt den gleichen
Job." Schuld daran, wenn aufeinander geschossen werde, sei die
Politik. Deshalb erwarte man von ihr, dass sie verantwortungsvolle
Entscheidungen trifft. Schließlich hängen daran
Menschenleben.
Usczecks Aufgaben in Strausberg bestehen
heute unter anderen darin, in Seminaren NATO-Partnern als
Vorbereitung für einen gemeinsamen Einsatz die Bundeswehr zu
erklären sowie deutsche Geschichte und Mentalität zu
erläutern. Zum Berlinprogramm der Seminarteilnehmer
gehören auch ein Besuch des
Stasi-Untersuchungsgefängnisses in Hohenschönhausen und
die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße. Besonders das
Stasi-Untersuchungsgefängnis ist der Beweis, mit welcher
Widerwärtigkeit erklärte oder tatsächliche
Systemgegner gequält und unter Folter zu Geständnissen
gezwungen wurden. Betroffene übernehmen dort die
Führungen durch den Terrorapparat. "Davon habe ich nichts
gewusst", beteuert Usczeck heute. Ob diese Erkenntnis für ihn
die DDR im Nachhinein relativiert habe? "In dieser Hinsicht
ja."
Kurz nach der Wende wurde Usczeck sehr bald
stellvertretender Kommandeur in Rostock, später Kommandeur in
Glücksstadt nordwestlich von Hamburg. Anfangs kündigten
Soldaten an, lieber von der Bundeswehr wegzugehen, als sich von
einem NVA-Offizier kommandieren zu lassen. "Ich versichere, keiner
hat meinetwegen die Bundeswehr verlassen. Sie haben schnell
erkannt, dass ich von meinen fachlichen, militärischen und
menschlichen Leistungen gut rüberkomme. So habe ich es
zumindest empfunden. Es war für mich die schönste Zeit."
Er habe einige Freunde in dieser Zeit gefunden, zu denen er nach
wie vor Kontakt habe.
Hausmanns Erfahrungen verliefen in
ähnlichen Wellenbewegungen. Er erinnert sich, wie im September
1990 ein Oberstleutnant der Bundeswehr an seine Bürotür
klopfte und ihn um seine Hilfe bat. "Das war für mich die
Schlüsselbegegnung zwischen einstigen Feinden." Hausmann
verschlug es von Strausberg zunächst in den Berliner Westen
nach Steglitz und dann für dreieinhalb Jahre nach Köln.
"Das war überall sehr angenehm. Ich habe immer gesagt, wer ich
war. Es hat sich niemand unfair verhalten. Meine Fähigkeiten
sind immer geachtet worden, ich habe aber auch nie die
Auseinandersetzung gescheut. Ich habe unter den Soldaten aus dem
Westen viele Kameraden und Freunde gewonnen", sagt der Vater zweier
Kinder, der in Mos-kau zum Militärwissenschafter ausgebildet
wurde. Die Unterschiede zwischen Soldaten Ost und West seien als
Kollegen heute nicht mehr auszumachen. In der Truppe funktioniere
die Zusammenarbeit gut.
Trotzdem brodelt es in Hausmann gewaltig.
Umso mehr, je näher er auf die Pensionsgrenze zugeht. Wenn er
in knapp drei Jahren aus der Bundeswehr ausscheiden wird,
beträgt sein Ruhegehalt nicht 75 Prozent seines jetzigen
Gehaltes wie bei einem Westoffizier sondern etwas mehr als 50
Prozent. Seine 22 Jahre Zugehörigkeit zur NVA werden nicht in
der gleichen Höhe berechnet wie die Jahre bei der Bundeswehr
nach der Wende - teilweise im Westen. Wie ein Sprecher des
Bundesverteidigungsministeriums mitteilte, geht das auf eine
Grundentscheidung im Eini-gungsvertrag zurück, wonach alle
DDR-Biografien gleich behandelt werden sollen. "Die im
Sonderversorgungssystem der ehemaligen NVA erworbenen
Anwartschaften wurden deshalb in die gesetzliche Rentenversicherung
übergeleitet." Ein Berufssoldat der Bundeswehr mit
NVA-Vordienstzeiten erhalte ein Ruhegehalt für die Zeit in der
Bundeswehr und regelmäßig ab dem vollendeten 65.
Lebensjahr. Des Weiteren erhält er eine Altersrente aus der
gesetzlichen Rentenversicherung, insgesamt jedoch nicht mehr als
71,75 Prozent des Gehalts. Wann es zu einer Angleichung bei den
Ruhegehältern von Berufssoldaten mit NVA-Vordienstzeiten und
den übrigen Berufssoldaten kommen wird, dazu
Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD): "Im Fall der
Ruhegehälter wurde durch den Einigungsvertrag verbindlich eine
Regelung festgelegt. Berufssoldaten mit NVA-Dienstzeiten erhalten
ein Ruhegehalt für die Zeit in der Bundeswehr und eine
Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung für die
Dienstzeiten in der NVA. Auch wenn diese Entscheidung aus heutiger
Zeit nicht jedem einleuchtet, gilt der Einigungsvertrag auch in
diesem Fall!"
Hausmann stellt verbittert fest: "Die Armee
der Einheit ist eine Losung für mich. Die NVA ist am 2.Oktober
1990 aufgelöst und von der Bundeswehr aufgesogen worden. Wir
sind Deutsche zweiter Klasse." Seine Jahre in der NVA galten bis
vor wenigen Tagen nach Paragraf 8 des Wehrpflichtgesetzes als
"gedient wie in fremden Streitkräften". Zwar ist der Passus
nun abgeändert worden in "Wehrdienst außerhalb der
Bundeswehr", dennoch kritisiert Hausmann: "Diese Formulierung ist
zutreffender als die vorherige. Jedoch ändert sie nichts an
der Tatsache, dass im Jahre 15 der Deutschen Einheit wir mit der
wirtschaftlichen Einheit der Menschen immer noch nicht weiter
gekommen sind." Für Hausmann gilt: Die Armee der Einheit hat
noch lange nicht einen Status quo erreicht, obwohl es doch im
Artikel 3 des Grundgesetzes heißt: "Alle Menschen sind vor dem
Gesetz gleich."
Im Moment scheinen allen Verantwortlichen die
Hände gebunden zu sein. Der gerade ausgeschiedene
Wehrbeauftragte Willfried Penner war über die unterschiedliche
Besoldung stets unglücklich. Der Beauftragte für
Sonderaufgaben Werner E. Ablaß lässt keine Gelegenheit
aus, um auf diesen Zustand aufmerksam zu machen. Das
Verteidigungsministerium argumentiert: "Die regionale
Differenzierung in der Besoldung zwischen den alten und neuen
Bundesländern auf der Grundlage des Bundesbesoldungsgesetzes
hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 12. Februar 2003
ausdrücklich bestätigt. Die Aufrechtherhaltung zweier
verschieden hoher Besoldungen ist danach im Hinblick auf die
allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse in
den neuen Ländern noch gerechtfertigt, weil insbesondere die
Wirtschaftskraft und die finanzielle Leistungsfähigkeit aller
neuen Länder weiterhin deutlich hinter den alten
Bundesländern zurückbleiben."
Hausmann und Usczeck hätten sich im Jahr
15 der Deutschen Einheit gewünscht, dass die Gehälter und
Pensionen Ost den westlichen endlich angeglichen werden. Erst wenn
es dazu kommt, dass die Einheit nicht nur unter den Menschen und
den beiden Armeen sondern auch in der Besoldung erreicht sein wird,
werden die beiden erst von einer rundherum gelungenen Armee der
Einheit sprechen können.
Almut Lüder arbeitet als freie Journalistin in
Berlin.
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